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Haben gut lachen: Kassenwart Jürgen Kerner (l.) sowie die beiden Vorsitzenden Jörg Hofmann und Christiane Benner nach der Wahl am Dienstag.

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Vorstandswahlen bei der Gewerkschaft: IG Metall wagt die Revolution

Die Gewerkschaft hat Jörg Hofmann erwartungsgemäß zum Vorsitzenden gewählt. Als Vize beriefen die Delegierten erstmals in der 125-jährigen Geschichte für eine Frau - Christiane Benner.

Für große Emotionen ist die IG Metall nicht bekannt. Doch am Dienstagmorgen war das anders auf dem Frankfurter Messegelände. Freudentränen, Jubel und Stehapplaus erfüllte die fußballfeldgroße Halle 11, nachdem das neue Führungsduo gewählt war. Die Delegierten freuten sich über das gute Wahlergebnis (91,3 Prozent) ihres neuen Vorsitzenden Jörg Hofmann. Noch größere Begeisterung kam auf, als Christiane Benner mit 91,9 Prozent gewählt wurde. Eine Frau! Mehr als 80 Prozent der 2,3 Millionen Mitglieder der IG Metall sind Männer – entsprechend sah bislang die Führung aus.

„Ich bin so stolz, als erste Frau an der Spitze der IG Metall stehen zu können“, bedankte sich Benner bei den 480 Delegierten, die sie gerade zur zweitwichtigsten Person in der größten Männerorganisation weit und breit gewählt hatten. Am besten schneidet bei den Wahlen traditionell der Hauptkassierer ab, der auf das schätzungsweise drei Milliarden Euro betragende Vermögen aufpasst. Und so war das auch am Dienstag, Kassenwart Jürgen Kerner erreichte mit 98,5 Prozent eine Zustimmungsquote, wie man sie sonst nur in gelenkten Demokratien kennt.

Hofmann legt "Regierungsprogramm" vor

Der IG Metall geht es gut. Und sie hat, gerade auch mit dem neuen Duo Hofmann/Benner, einiges vor. Eine Art Regierungsprogramm stellt Hofmann an diesem Mittwoch in seinem „Zukunftsreferat“ vor, später spricht die Bundeskanzlerin auf dem „Parlament der Arbeit“, wie der alle vier Jahre stattfindende Kongress auch genannt wird. Der überaus erfahrene Tarifpolitiker Hofmann wird sich in den kommenden vier Jahren um die großen Linien kümmern: Weitere Modernisierung des Flächentarifs mit dem Ziel, die Tarifbindung zu erhöhen. Mehr Zeitsouveränität für die Beschäftigten und bessere Strukturen für mehr Weiterbildung und lebenslanges Lernen, damit der Kern der IG Metall, die Facharbeiterschaft, die bereits laufenden Digitalisierungsprozesse gut übersteht und sogar mitgestaltet. An diesem Punkt kommt Benner ins Spiel. Die 47-jährige ausgebildete Fremdsprachenkorrespondentin sitzt bereits seit vier Jahren im IG-Metall-Vorstand und hat sich schwerpunktmäßig um das Thema Industrie 4.0 gekümmert, vor allem Crowdworker, ein Internetproletariat, das die IG Metall vertreten möchte. Ein Zukunftsprojekt.

Aktuell beschäftigt die Gewerkschaft mehr die ganz reale prekäre Arbeit – Werkverträge. Das Problem wird beispielhaft deutlich in Leipzig, wo in den vergangenen zehn Jahren mit dem Porsche-Werk und der BMW-Fabrik der modernste Automobilstandort Europas entstand. Rund 18 000 Personen sind in Leipzig mit dem Bau diverser Porsche- und BMW-Modelle beschäftigt. Aber: Nach Angaben der IG Metall arbeiten inzwischen genauso viele Beschäftigte in den Werkvertragsfirmen, die für BMW und Porsche tätig sein, als bei den Endherstellern selbst. „Früher hat ein Zulieferer Achsen geliefert, heute übernimmt er gleich die Montage und den kompletten Unterbau. Unsere Leute setzen dann nur noch die Karosserie drauf“, beschreibt Jens Köhler, BMW-Betriebsratschef in Leipzig, die neue Form der Arbeitsteilung. Den Auftrag, die Achsen zu montieren, habe eine Werkvertragsfirma, die zur Abarbeitung des Auftrags dann wiederum drei Leiharbeitsfirmen anheuert. Am unteren Ende der Nahrungskette stehen die Leiharbeiter. Bei der Produktion des Porsche-Luxus-Geländewagens Cayenne, bekamen diese Leiharbeiter nach Angaben der IG Metall einen Stundenlohn von 6,61 Euro, inklusive Zulagen.

Stimmung in den Fabriken ist durchwachsen

BMW und Porsche profitieren von geringen Kosten und der hohen Flexibilität in einer „atmenden“ Fabrik, die schnell und flexibel auf Nachfrageschwankungen reagiert. In den Fabriken selbst ist die Stimmung durchwachsen: Die Beschäftigten, die als Werkvertragsarbeitnehmer am Band stehen, bekommen deutlich weniger Geld als die „echten“ Mitarbeiter von BMW und Porsche. Die IG Metall hat in den vergangenen vier Jahren rund 6000 neue Mitglieder in Leipzig gewonnen und inzwischen bei einem Dutzend Dienstleistern von Porsche und BMW Firmentarifverträge mit Einkommenserhöhungen durchsetzen können. Und BMW hat sich inzwischen sogar verpflichtet, Aufträge künftig vorrangig an solche Dienstleister zu vergeben, die einen Tarifvertrag mit der IG Metall geschlossen haben.

Es geht also voran in Leipzig, aber was ist mit Wolfsburg, wo die Gewerkschaft so viele Mitglieder hat wie in keiner anderen Stadt? IG Metall und VW-Betriebsrat äußerten sich am Dienstag gemeinsam zum Abgas-Skandal und reklamierten eine neuen Unternehmensstruktur und -kultur, mit dezentralen Entscheidungen und geteilter Verantwortung, mit mehr Transparenz und einem offenen Umgang mit Fehlern. Und mit Mitbestimmung. „VW ist ein Leuchtturm der Mitbestimmung, der das deutsche Modell an seine internationalen Standorte trägt und damit ein Stück Demokratie in der Wirtschaftwelt realisiert.“

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