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Die deutsche Wirtschaft schwächelt: Das Bruttoinlandsprodukt wuchs von April bis Juni nur noch um 0,1 Prozent im Vergleich zum ersten Vierteljahr.

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Update

Wachstum: Deutsche Wirtschaft in der Krise angekommen

Das Bruttoinlandsprodukt ist im Vergleich zum Vorquartal nur um 0,1 Prozent gestiegen. Weniger Konsum- und Bauinvestitionen sollen Schuld sein. Dahinter steht aber auch ein anderes Problem.

Die Krise, so suggerieren es die Zahlen, ist in Deutschland angekommen. Schulden, das war bekannt, gibt es in Deutschland auch genug. Aber lange Zeit sonnte sich Deutschland in robusten und guten Wachstumszahlen. Nun der Einbruch. Das Bruttoinlandsprodukt wuchs von April bis Juni nur noch um 0,1 Prozent im Vergleich zum ersten Vierteljahr, teilte das Statistische Bundesamt am Dienstag in einer Schätzung mit. "Das ist das langsamste Wachstum seit Jahresbeginn 2009, als die Finanzkrise ihren Höhepunkt erreichte", sagte ein Statistiker. Das Plus im ersten Quartal wurde zudem von 1,5 auf 1,3 Prozent korrigiert. Experten schließen weitere Rückschläge nicht aus.

Es ist wohl vor allem der letzte Beleg dafür, dass Deutschland den einsamen Ritter der Stabilität in Europa nicht spielen kann. Die Schuldenkrise von Griechenland und Co. ist eben auch die deutsche Krise. Die Exporte sorgen zwar nach wie vor für die wichtigsten Impulse, aber längst nicht mehr in dem Maße wie noch zuletzt. Klar: Jedes harte Sparprogramm in einem Krisenland bedeutet auch weniger Geld für Produkte Made in Germany. Viel wichtiger aber noch ist das Gefühl, die Psychologie. Es mögen selbsterfüllende Prophezeiungen sein, aber wer ständig von Krisen umgeben ist, bekommt sie irgendwann selbst. Und dass sinkende Konsum- und Bauausgaben den deutschen Aufschwung im zweiten Quartal fast zum Erliegen gebracht haben, wie Statistiker konstatieren, ist ein Beleg dafür. Allein diese Zahlen sollten der deutschen Politik klar machen: Es ist an Deutschland, die Schuldenkrise in Europa zu lösen - aus purem Eigeninteresse. Angela Merkel hat sich vor ihrem Abflug nach Paris, wo sie sich am Dienstagnachmittag mit Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy treffen wird, die jüngsten Wachstumszahlen noch angesehen.

Weil die Importe schneller stiegen als die Exporte, kamen auch vom Außenhandel negative Impulse. "Wir sind eine Schicksalsgemeinschaft: Wenn die USA und Europa in Schwierigkeiten sind, spüren wir das", sagte der Wirtschaftsweise Schmidt. "Die Schwellenländer allein können die Lücke auf Dauer nicht vollständig schließen." Dagegen investierten die Unternehmen wieder mehr und hielten die Wirtschaft damit auf Wachstumskurs. Details wollen die Statistiker am 1. September nennen.

"Die privaten Konsumausgaben und die Bauinvestitionen bremsten die deutsche Wirtschaft im zweiten Vierteljahr 2011", begründeten die Statistiker den Tempoverlust. Während ein Rückgang der Bauinvestitionen nach dem Boom zu Jahresbeginn noch erwartet worden war, überraschte die Kaufzurückhaltung der Verbraucher. "Das passt nicht zu den guten Rahmenbedingungen", sagte DekaBank-Experte Andreas Scheuerle angesichts der Rekordbeschäftigung und steigender Löhne. Vermutlich habe die hohe Inflation die Kauflaune gedrückt. Die Teuerungsrate hatte im April mit 2,4 Prozent den höchsten Stand seit Oktober 2008 erreicht.

"Wir sind noch lange nicht am Ende der Krise", warnte auch der Wirtschaftsweise Christoph Schmidt. "Es wird ein Auf und Ab geben, zu dem eben auch Rückschläge gehören." Die Flaute überraschte alle Experten: Die 45 von Reuters befragten Analysten hatten im Schnitt mit einem Plus von 0,5 Prozent gerechnet, wobei ihre Prognosen von 0,2 bis 0,8 Prozent reichten. Setzt sich der Trend fort, könnte sich Deutschland damit von der Wachstumslokomotive zum Bremsklotz der Euro-Zone entwickeln. Die Währungsunion insgesamt schaffte mit 0,2 Prozent ein doppelt so starkes Wachstum. Selbst die mit einer schweren Schuldenkrise kämpfenden Staaten Italien (0,3 Prozent) und Spanien (0,2 Prozent) schlugen sich besser - allerdings kommen die auch aus einem tieferen Tal. Der Dax, zuletzt einigermaßen erholt vom Kurssturz der vergangenen Wochen, verzeichnet mittlerweile wieder Verluste - über zwei Prozent zwischenzeitlich.

Trotz des unerwarteten Rückschlags warnen Experten vor Panikmache. "Das ist zwar ein deutlicher Dämpfer, bedeutet aber kein Ende des Aufschwungs", sagte der Konjunkturchef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Ferdinand Fichtner. "Der Trend weist in der Industrie weiterhin aufwärts, wenngleich sich ein Tempoverlust abzeichnet." Auch der Konsum werde wieder anspringen. "In der zweiten Jahreshälfte werden aber die sinkende Inflation und anziehende Löhne den privaten Verbrauch stützen", sagte Fichtner. Noch immer sei 2011 ein Wachstum von rund drei Prozent möglich, nachdem es 2010 zu einem Plus von 3,7 Prozent gereicht hatte. Selbst wenn die Wirtschaftsleistung im zweiten Halbjahr stagniere, wäre noch ein Plus von mehr als 2,5 Prozent möglich, sagte auch Schmidt, der dem Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) vorsteht. "Das sieht im langfristigen Vergleich gar nicht schlecht aus." Auch in anderen führenden Industriestaaten hat sich das Wachstum im Frühjahr merklich abgekühlt. Die weltgrößte Volkswirtschaft USA schaffte ein Plus von rund 0,3 Prozent, während die japanische Wirtschaft sogar um 0,3 Prozent schrumpfte. In Frankreich - dem wichtigsten deutschen Handelspartner - stagnierte die Wirtschaft.

Im Vergleich mit dem Vorjahresquartal legte das Bruttoinlandsprodukt um kräftige 2,8 Prozent zu. Zu Jahresbeginn waren es allerdings noch 5,0 Prozent. Die meisten Institute hielten in diesem Jahr bislang ein Wachstum von deutlich mehr als drei Prozent für möglich. Ausgeschlossen ist das auch trotz der aktuellen Zahlen nicht. Aber es liegt jetzt auch an der europäischen Politik, die richtigen Zeichen zu setzen. ( Mit dpa)

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