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Walter Eucken

© Walter-Eucken-Institut

Walter Eucken: Der vergessene Architekt des deutschen Wirtschaftswunders

Kaum ein anderer Ökonom hat die Wirtschaftspolitik in der Ära Adenauer stärker geprägt, als der Freiburger Professor Walter Eucken

Deutschland im März 1943: In einer Wohnung in der Freiburger Goethestraße trifft sich eine Gruppe von Ökonomen, um über eine neue Wirtschaftsordnung zu diskutieren – für die Zeit nach dem Fall des nationalsozialistischen Regimes. Auf das erste Zusammentreffen folgen neun weitere, immer konspirativ, immer im Geheimen. Doch im September 1944 fliegt die Gruppe auf. Die Gestapo durchsucht die Wohnungen der Teilnehmer; zwei von ihnen, der Volkswirt Constantin von Dietze und der Nationalökonom Adolf Lampe, werden verhaftet.

Ebenfalls Teil der Gruppe ist der Freiburger Professor Walter Eucken. Die Lenkung der Wirtschaft durch den Nationalsozialismus war dem freiheitlich denkenden Ökonomen ein Gräuel, schon früh geht er deshalb auf Distanz zum Regime. An der Freiburger Universität gilt er als Gegenspieler des dort lehrenden Philosophen Martin Heidegger, der mit Hitlers Machtergreifung Uni-Rektor und NSDAP-Mitglied wurde. Die von Eucken und seinen Mitstreitern erarbeitete liberale Denkrichtung geht später als „Freiburger Schule“ oder „Ordoliberalismus“ in die Wirtschaftsgeschichte ein – und wird zur Blaupause der Wirtschaftspolitik in der Ära Adenauer.

Der Staats als Marktwächter

Anders als die Anhänger des klassischen Liberalismus drängen die Verfechter des Ordoliberalismus dabei nicht auf eine klassisch-liberale „Laissez-faire“-Politik. Im Gegenteil, Eucken forderte einen starken Staat, der als Monopolwächter und Wettbewerbsaufseher die Funktionsfähigkeit des freien Marktes garantieren soll. „Eucken sah die entscheidende Aufgabe des Staates darin, dass er die Spielregeln für den Markt definiert und auch durchsetzt“, sagt Viktor Vanberg, Vorstand des Walter-Eucken-Instituts in Freiburg. Mit den Anhängern des klassischen Liberalismus teilte Eucken jedoch die Abneigung gegen partikulare Interventionen des Staates, also etwa Subventionen oder Steuerprivilegien für einzelne Branchen und Unternehmen. Denn: „Wenn der Staat mit spezifischen Maßnahmen in die Wirtschaft hineinwirkt, würde er zur Zielscheibe von Interessensgruppen, die ihrerseits wieder auf die Politik einwirken, um Sonderbehandlungen zu erwirken“, fasst Vanberg die Überzeugungen Euckens zusammen.

Nach dem Weltkrieg finden Euckens Lehren Gehör in der Politik. „Wirtschaftsminister Ludwig Erhard unterhielt enge Beziehungen zur Freiburger Schule und berief Eucken später in seinen Beraterkreis. Die Ordoliberale-Schule spielte daher eine tragende Rolle in der Wirtschaftspolitik zu Zeiten des Wirtschaftswunders“, sagt Vanberg.

Keynes verdrängt Eucken

Mit dem frühenTod Euckens 1950 verläuft sich allerdings schon sehr bald der Einfluss der Ordoliberalen auf die deutsche Wirtschaftspolitik. Im Dezember 1966 zieht die FDP ihre Minister aus dem Kabinett zurück, um gegen Steuererhöhungen und die Haushaltspolitik von Erhard – mittlerweile zum Bundeskanzler gewählt – zu protestieren. An die Stelle der konservativ-liberalen Bundesregierung tritt die erste große Koalition der Bundesgeschichte, der Bundestag wählte Kurt Georg Kiesinger (CDU) zum Kanzler. Und unter Kiesinger findet in der Wirtschaftspolitik eine Hinwendung zu den Lehren von John Maynard Keynes statt, der, anders als Eucken, Staatsintervention zur Konjunktursteuerung ausdrücklich fordert.

Und heute? Anfang Januar wäre Eucken 125 Jahre alt geworden. Zu den geladenen Gästen der Festveranstaltung in Freiburg zählte auch Kanzlerin Angela Merkel. Und die hatte nichts als warme Worte über den Ökonomen zu verlieren. Eucken sei ein „Glücksfall der Geschichte“ gewesen, lobte Merkel. Im politischen Alltag finden die Lehren des Ökonomen freilich nur noch selten Beachtung – zu dominant sind mittlerweile die Lehren des wirtschaftstheoretischen Gegenspielers Keynes in der Politik verankert. Nur selten stößt man daher heute im politischen Tagesgeschäft auf Euckens Erbe. Während der Euro-Krise etwa wurde im Ausland das rigide Beharren Berlins auf Regeln, Schuldengrenzen oder Haushaltsdisziplin mit Kopfschütteln zur Kenntnis genommen. „Dieser deutsche Hang zur Ordnungspolitik“, sagt Vanberg, „das sind die Nachwirken Euckens.“

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