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Wirtschaft: Warten auf den nächsten Knall

Analysten rechnen im Sommer mit einem Kursrutsch an den Börsen – für Anleger eine Chance zum Einstieg

An den Aktienmärkten haben die Bullen, die auf steigende Kurse setzen, wieder das Sagen. Vorbei die Zeiten, als die Stimmung schlechter nicht sein konnte, als täglich neue negative Nachrichten die Runde machten. Auf dem Börsenparkett herrscht fast schon wieder Euphorie und mancher Anleger fragt sich bereits panisch: „Habe ich den Beginn eines kräftigen Aufschwungs verpasst?“

Rolf Elgeti mag diese Hochstimmung nicht unbedingt teilen. Der Leiter des Bereichs Strategy der Commerzbank Securities in London sieht zwar bis zum Monatsende noch manchen Portfolio-Manager auf den Zug aufspringen und damit auch weiter steigende Kurse. Schließlich wollten doch auch die Berufshändler zeigen, „dass sie bei Aufschwung voll dabei gewesen sind“. Dann aber könnte es zu schmerzhaften Kurskorrekturen kommen. „Beim Dax besteht dann eine Rückschlagsgefahr von 200 bis 300 Punkten“, sagt Elgeti dem Tagesspiegel. „Und wenn die Unternehmen im Juli ihre neuesten Zahlen vorlegen, könnte uns manche negative Überraschung blühen.“

Warnung vor Technologiewerten

Wie auch andere Analysten erwartet Elgeti in der kommenden Woche eine Zinssenkung durch die US-Notenbank Fed unter ihrem Chef Alan Greenspan. Elgeti weist aber auch darauf hin: „Greenspan kann die Zinsen nicht ewig senken, und dann könnte es zu gegenteiligen Signalen kommen.“ Ausdrücklich warnt er vor Medien- und Technologiewerten. „Die haben viel zu hohe Gewinnschätzungen eingepreist. Ich bin da skeptisch.“

„Die Märkte sind heiß gelaufen“, sagt auch Hans Jacob, Leiter des Asset Managements beim Privatbankhaus Löbbecke. „Bereits im Juli könnte es zu einer massiven Korrektur des Dax bis auf 2800 Zähler kommen“, warnt er. Doch Jacob hat auch Trost für die Anleger: „Das wäre ein günstiger Zeitpunkt für einen Wiedereinstieg, denn danach besteht Aufwärtspotenzial.“ Von langlaufenden Rentenwerten sollten die Anleger lieber die Finger lassen. „Bei den Zinsen erwarte ich massive Zinserhöhungen am langen Ende in den kommenden sechs bis 18 Monaten“, sagt Jacob. Die Fed werde die Zinsen allenfalls um weitere 0,5 Prozentpunkte senken, „dann aber ist für lange Zeit Schluss“.

Für Gunter Eckner, Leiter des Research der Baden-WürttembergischenBank (BW-Bank) ist nicht das Ausmaß der Zinssenkung die Nachricht. „Viel wichtiger werden die Kommentare von Greenspan zur Konjunkturentwicklung in den USA sein“, sagt der Chef der Analysten-Truppe, die jüngst von der amerikanischen Analysegesellschaft Starmine zur besten für den deutschen Aktienmarkt gekürt worden ist. „Wir haben einen Stand von 3200 bis 3400 Punkten bereits vor Monaten vorausgesagt“, kann Eckner deshalb auch stolz sagen, aber jetzt braucht der Markt neue Impulse. Die Zinssenkung durch die Fed werde es nicht sein, „die ist eingepreist“. Sie könnte sogar mit 0,25 Prozentpunkten relativ bescheiden ausfallen. Aber für die Entwicklung der US-Konjunktur ist der BW-Bank-Analyst etwas zuversichtlicher. Die Zahlen einiger US-Firmen könnten im Juli überraschend positiv ausfallen.

Stefan Keitel, Leiter der Vermögensverwaltung der Credit Suisse in Deutschland, spricht von einem „Hoffnungszyklus“, in dem sich die Börsen derzeit befinden. Zwar sei zum Beispiel der Deutsche Aktienindex Dax seit seinen Tiefständen um rund 50 Prozent gestiegen – und dies sei sicherlich extrem –, doch müsse auch berücksichtigt werden, dass der Markt deutlich überverkauft und unterbewertet gewesen sei, sagt Keitel. Die Investoren setzten nun darauf, dass insbesondere in den USA durch verschiedene geld- und fiskalpolitische Maßnahmen der Aufschwung in Gang komme. Unterstützt werde der gegenwärtige Aufwärtstrend auch durch eine Umschichtung aus Barbeständen und festverzinslichen Wertpapieren in Aktien.

Auch in den kommenden Wochen rechnet man bei der Credit Suisse, von kurzen Korrekturen abgesehen, noch mit moderat steigenden Kursen. Aber auch Keitel geht davon aus, dass die Anleger eine Zinssenkung durch die US-Notenbank um mindestens 0,25 Prozent bereits vorweg genommen haben. Die Zinssenkung werde deshalb an den Aktienmärkten wohl zu „einem klassischen No-Event“.

Aber der Chefstratege der Credit Suisse in Deutschland warnt auch: „Wir dürfen nicht vergessen, dass wir bisher nur positive vorlaufende Indikatoren wie zum Beispiel Zahlen zum Verbrauchervertrauen und zum Vertrauen der Industrie bekommen haben. Im Sommer müssen harte Fakten, also zum Beispiel nachhaltig steigende Auftragseingänge und eine Zunahme der Investitionstätigkeit folgen, sonst könnte es zu Enttäuschungen kommen. Für den Fall könne man sich bei der Credit Suisse vorstellen, das eigene Engagement in Aktien deutlich zurückzufahren.

Gegenwärtig setzt die Credit Suisse vor allem auf Titel aus dem Finanzbereich, dem Gesundheitswesen und den Telekomausrüstern. Für die klassischen Zykliker sei es allerdings noch zu früh, warnt Keitel. Und auch die Biotechnologietitel, die eine Hausse erlebt haben, seien nur als Beimischung zu empfehlen. Das Segment sei „stramm bewertet“. Auch sollte der private Anleger wegen der hohen Schwankungsbreite nicht in einzelne Werte investieren, sondern so genannte Basketskaufen, in denen mehrere Werte kombiniert werden.

Doch die Anleger sind risikobereiter geworden. Klaus Kaldemorgen, Anlagestratege von Deutschlands größter Fondsgesellschaft DWS Investment, stellt fest: „Es wurden sehr eindeutige Wetten eingegangen.“ Verstärkt seien auch Biotech-Titel gekauft worden.

US-Euphorie schwappt nicht über

In Deutschland hat vor allem die Münchner Biotech-Firma GPC von der gewachsenen Risikobereitschaft profitiert. Die Aktie des Unternehmens, das mit Satraplatin ein hoffnungsvolles Medikament gegen Prostatakrebs entwickelt, legte seit Jahresbeginn um bis zu 80 Prozent zu. Doch von der Euphorie, die US-Biotechs in den letzten Wochen nach guten Nachrichten über Krebsmedikamente in gefährliche Höhen trieb, sind die deutschen Biotech-Notierungen weit entfernt. „Dass die positive Stimmung nach Deutschland überschwappt, ist kaum zu erwarten“, sagt eine Merck&Finck-Analystin. Die deutschen Firmen seien von marktreifen Medikamenten noch viel zu weit entfernt.

Daniel Rhee-Piening

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