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Wirtschaft: Warum der Präsident der AHT-Group aus Essen als Unternehmer in Russland aktiv wurde

Es war erst nur eine Wette. So eine verrückte Wette, wenn man der Typ dafür ist.

Es war erst nur eine Wette. So eine verrückte Wette, wenn man der Typ dafür ist. Gerardius van Wissen ist so einer. Der Präsident der AHT-Group aus Essen, mag Ziele, zu denen der Weg ein bisschen abenteuerlich ist. Die Idee dazu bekam er in einer Moskauer Küche. Das war 1989. Der gebürtige Holländer besuchte seinen Bruder, der als Botschaftsattaché in der russischen Hauptstadt lebte. Van Wissen arbeitete in Deutschland. Seit gut 20 Jahren stand er im Dienst der AHT, die weltweit Rat und Hilfe für landwirtschaftliche Betriebe anbietet. Er hatte mit Russland nie etwas zu tun haben wollen. Aber in dieser Küche behauptete der Unternehmer gegenüber dem Diplomaten, er könne eine gut laufende Firma in Russland aufbauen. Der Bruder lachte. Sie wetteten um ein paar Flaschen Bordeaux.

Die sind längst ausgetrunken. Mitten in Russland, in einer Millionenstadt an der Wolga namens Samara, steht in einem Hinterhof ein kleines Haus. Das ist die Zentrale der Management & Production Systems (MPS), der russischen AHT-Tochter. Von dort spinnt van Wissen zusammen mit seiner russischen Managerin Ludmila Orlowa seit über sieben Jahren ein dichtes Netz an Geschäftsbeziehungen. Sie besorgen Achsen, Blechplatten und andere Teile von deutschen und von russischen Herstellern, um daraus Landmaschinen bauen zu lassen und diese an die Bauern vor Ort zu verkaufen. Dabei machen sie Gewinn.

Die Investition hat sich amortisiert

Wenn van Wissen manchmal über diese Arbeit nachdenkt, kommt sie ihm allerdings immer noch verrückt vor. Aber die 70 000 Mark, mit denen er einst den Sitz der MPS kaufte, haben sich doch amortisiert. Er ist froh, dass ein Teil dieses Gewinns jetzt zu Stein geworden ist, damit er Besuchern aus dem Westen etwas vorführen kann. Vor vier Monaten hat er eine Fabrikhalle gekauft, in der seine Techniker künftig Landmaschinen zusammenbauen können.

Van Wissens Fahrer bringt uns in einem Lada-Bus in das östliche Industriegebiet Samaras, vorbei an Baustellen für Bürohäuser und stillgelegten Industriekombinaten. Eine verrostete Rakete stakst in den Himmel. Die Statue zeugt noch von der Sowjetzeit, in der Samara Kujbyschew hieß und eine verbotene Stadt war, wo die Maschinen Geschosse für den Krieg und für den Kosmos ausspuckten. "Da, sehen Sie", ruft ungeduldig der Holländer, während der Fahrer auf eine Fabrikhalle zusteuert, vor deren Eingang eine neue Landmaschine rot leuchtet. Der Bus parkt daneben. "Da wären wir", sagt der 58jährige stolz. Er deutet auf die Maschine. Von solchen Fahrzeugen hätten sie bisher 480 Stück produziert und 400 verkauft.

Ein guter Draht zu den Behörden

An der Eingangsfront steht in kyrillischen Lettern der Name der Firma: "Ewrotechnika". Wer auf diesem Markt etwas sein will, gibt sich russisch. Die Schoko-Pralinen zum Tee vorhin in Ludmila Orlowas Büro hießen "Rossia", stammten aber aus der Nestlé-Fabrik vor Ort. Längst schon tummeln sich hier auch andere ausländische Unternehmen. Schließlich konkurriert der Standort Samara heute mit Nischnij Nowgorod nach Moskau und Sankt Petersburg um Platz drei in Russland, nicht zuletzt dank seines reformfreudigen Gouverneurs Konstantin Titow.

So steht keine zweihundert Meter von der "Ewrotechnika" entfernt ein rotes Gebäude mit dem weißen Logo von Coca Cola. Dort laufen seit zwei Jahren die braunen Flaschen über die Fließbänder, im Wettkampf mit denen von Pepsi Cola am anderen Ende der Stadt. Eine Weile flogen auch Swissair und Lufthansa um die Wette, erzählt van Wissen. Nach der Rubelkrise im August 1998 allerdings blieb nur die deutsche Gesellschaft übrig. Sie hatte den längeren Atem.

Den freilich braucht man. Mit prüfendem Blick marschiert van Wissen in sein Gebäude hinein und stellt fest: "Sie haben den Stahl immer noch nicht abgeholt." Der Stahl, das sind mehrere tausend Tonnen Rohre und Platten, die Unternehmen zu Sowjetzeiten als eiserne Reserve lagern mussten. Jetzt ist diese letzte Instanz der Planwirtschaft für jeden Ballast, und der frühere Besitzer der Halle wartet mit dem Abtransport. Aber van Wissen lächelt zuversichtlich. Er sieht das so: "Über die Hälfte ist schon weg, nun muss Ludmila mal wieder richtig böse werden."

Van Wissen nimmt solche Schwierigkeiten aber ebenso gelassen hin wie die Tatsache, dass Unternehmer offiziell hundert Prozent ihres Gewinns versteuern müssen. Das sei natürlich nicht praktikabel, sagt er schlicht, und darum praktiziere das auch keiner. Wie geht das? Das ist in Russland ein Betriebsgeheimnis. Man rede, erklärt van Wissen, in dieser Sache mit Rechtsanwälten, mit der Steuerbehörde. So etwas kann offenbar Ludmila Orlowa. Die 43jährige Russin sitzt im Moment in einem Ledersessel des Ministers für Landwirtschaft von Samara, um mit ihm einen Vertrag über staatliche Bürgschaften für 15 Landmaschinen auszuhandeln.

Im Inneren der Fabrikhalle ist es warm. Ab Januar sollen hier 24 Mann schrauben und bohren. Im Dezember könnten 300 Landmaschinen fertig sein, hofft van Wissen. Wer wird sie bezahlen? Er holt einen Zettel aus der Tasche und beginnt auf einem Fenstersims zu zeichnen. Ein Schaubild mit verwirrend vielen Pfeilen entsteht, die alle Verflechtungen zwischen der "Ewrotechnika", Bauern, einer Leasing-Gesellschaft sowie einem landwirtschaftlichen Ausbildungszentrum zeigen. Fazit: Die MPS organisiert alles. Wer von den Bauern schon zahlen kann, der zahlt. Andere bringt die MPS zusammen, damit sie gemeinsam eine Maschine kaufen oder leasen können. Sie zahlen am Ende einer Erntesaison mit Getreide oder Kartoffeln. Für diese Bauern organisiert die MPS Bürgschaften vom russischen Staat. Damit dürften Ludmila Orlowa noch viele Stunden auf staatstragenden Ledersesseln bevorstehen.

Draußen ertönt Motorengeräusch. Das ist der Fahrer, der uns aufs Land bringen soll, wo Ludmilla Orlowas Bruder zum Abendessen einlädt. Bald brausen wir vorbei an den lebendigen und toten Industriestätten, bis nur noch vereinzelte Bäume die Straßen säumen. Zehn Jahre sei er nun schon hier, sagt van Wissen. "Wer hätte das gedacht, dass ich heute Nacht bei Mondenschein in dieser russischen Savanna sein würde?"

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