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Wirtschaft: Warum die Bürgerversicherung nicht hält, was sie verspricht

Eine Kopfpauschale für das Gesundheitssystem wäre gerechter Von Gert G. Wagner

Die Ergebnisse der SPDArbeitsgruppe um Andrea Nahles zeigen, dass die Idee der Bürgerversicherung, die an das Beitragssatzsystem der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) anknüpft, nicht funktioniert. Beiträge auf Mieten lohnen sich nicht, und durch die Einbeziehung von Kapitalerträgen und sonstigen Einkommen ist für die Krankenversicherung nicht viel zu holen – weder in Form von speziellen Beiträgen noch durch eine Erhöhung der Kapitalertragsteuer. Die CDU triumphiert, da sie das schon immer gewusst haben will.

Zugleich wird deutlich, dass auch die Pauschalzahlung für die Absicherung des Zahnersatzes, auf die sich Regierung und Opposition einst auf Drängen der Union geeinigt hatten, wohl nicht kommen wird. Man hat die Verwaltungskosten unterschätzt. Die SPD frohlockt, da damit die „kleine Kopfpauschale“ vom Tisch ist, die den Einstieg in die Finanzierung des Krankenversicherungssystems durch Kopfpauschalen hätte bedeuten können. Dieses System favorisiert Angela Merkel, und daher tut sie sich schwer, die Zahnersatz-Pauschale rückgängig zu machen.

Muss also die Finanzierung der Krankenversicherungen bleiben, wie sie ist? Nein. Die SPD-Idee der umfassenden Bürgersolidarität ohne Trennung zwischen gesetzlichen und privaten Kassen lässt sich nicht nur mit dem traditionellen System umsetzen, sondern – viel besser – mit der CDU-Idee der Kopfpauschalen. Und das Hickhack um die Zahnpauschale zeigt nicht, dass Pauschalprämien nicht machbar sind, sondern es macht deutlich, dass Kopfpauschalen ohne sozialen Ausgleich keinen Sinn machen. Aber es lohnt sich natürlich nicht, wegen einer Zahnpauschale von nur wenigen Euro pro Monat ein spezielles System des sozialen Ausgleichs zu schaffen. Deswegen gab es zu Recht viel Murren über die Zahnpauschale, und es ist sinnvoll, sie in einen dem Einkommen proportionalen Beitrag umzuwandeln. Aber damit ist nicht gleichzeitig gezeigt, dass Pauschalprämien in der gesamten Krankenversicherung unsinnig wären.

Pauschalprämien würden das Gesundheitssystem von den Lohnnebenkosten abkoppeln. Sie wären nicht nur gerecht, das Gesundheitswesen könnte sich auch mehr an den Wünschen der Versicherten ausrichten, da die Gesundheitsleistungen nicht automatisch die Lohnkosten hochtreiben würden. Aber dazu – das zeigt der Streit um die Zahnpauschale – gehört ein steuerfinanziertes System des sozialen Ausgleichs. Damit würden automatisch alle Einkommen, die das Finanzamt erfasst, zur Finanzierung herangezogen.

In eiligen Kompromissverhandlungen ist eine große Reform aber nicht machbar. Trotzdem ist es der Politik wieder einmal gelungen, alle Wähler zu verärgern. Sie orientieren sich nicht an abstrakten Gerechtigkeitsüberlegungen, sondern am Status quo und dessen Veränderung. Nach dem Zahnpauschalen-Kompromiss haben sich Geringverdiener über gestiegene Kosten geärgert. Jetzt werden sich Gutverdiener aufregen, dass man ihnen die für sie günstige Pauschale wegnimmt.

Professor Gert G. Wagner ist Forschungsdirektor am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und war Mitglied der Rürup-Kommission.

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