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Wirtschaft: Warum die Jugend heute die Nase vorn hat

Haben Sie sich jemals gefragt, warum pfiffige amerikanische Technik-Freaks, die noch keine dreißig sind, heutzutage Millionen scheffeln? Um die Frage zu beantworten, ist es nützlich, etwas über Andy Warhol, Mark Rothko und Jasper Johns zu wissen.

Haben Sie sich jemals gefragt, warum pfiffige amerikanische Technik-Freaks, die noch keine dreißig sind, heutzutage Millionen scheffeln? Um die Frage zu beantworten, ist es nützlich, etwas über Andy Warhol, Mark Rothko und Jasper Johns zu wissen.David Galenson, Wirtschaftswissenschaftler an der Universität Chicago, hat Arbeitsmarktforschung und die Analyse moderner Kunst miteinander verknüpft.Die daraus entwickelte Theorie gibt Antwort auf die Frage, warum manche mit zunehmendem Alter besser arbeiten und andere nicht.

Die herkömmliche Wirtschaftslehre besagt, daß der Mensch im allgemeinen mit zunehmendem Alter und größerer Erfahrung produktiver wird.Auf dieser Logik basieren Lohnskalen und Tarifverträge.Manchmal ist aber die Maxime, die Arbeit nach dem alten Schema zu erledigen, eher ein Nachteil.In Zeiten technologischer und kultureller Umwälzungen braucht man Leute, die neue Ideen haben und das Allerneueste herstellen.In solchen Zeiten sind unerfahrene Neulinge gefragt.Auf sie hört man.So habe der Maler Jasper Johns die Spitze im Alter von 25 Jahren erreicht, sagt Galenson, ebenso wie Marc Andreessen von Netscape und Jerry Yang von Yahoo schon legendären Ruhm in der High-Tech-Szene genossen, obwohl sie gerade erst von der Universität kamen.Ihre Unerfahrenheit "könnte sich in einen Vorteil verwandelt haben", sagt Galenson.Jemand, der schon drei Jahrzehnte im Beruf gestanden hat, "mag weiterhin gute Leistungen bringen, aber es ist sehr unwahrscheinlich, daß er auf einmal einen völlig neuen Ansatz entwickelt."

Wirtschaftswissenschaftler haben lange versucht, genau zu erforschen, wie sich die Produktivität von Beschäftigten im Laufe ihres Arbeitslebens und in verschiedenen Berufen entwickelt.Galenson hat einen verborgenen Datenschatz gehoben, indem er an Hand der Preisentwicklung für moderne Kunst herausgefunden hat, wie es sich im Arbeitsleben verhält.Monatelang durchforstete er Aufzeichnungen von Auktionshäusern, vertiefte sich in die Literatur über Kunstgeschichte und befragte Kunsthändler.So rekonstruierte er die Tendenzen der Preisentwicklung auf dem Kunstmarkt seit 1980.Dabei entdeckte er ein überraschend konsistentes Muster: Moderne amerikanische Maler, die zwischen 1880 und 1940 geboren wurden, produzierten im allgemeinen ihre besten Werke im Alter über 40.Das Durchschnittsalter, in dem die früheren Generationen am erfolgreichsten waren, betrug 52 Jahre, das der späteren Generationen dagegen 32 Jahre.

Galenson hat mit seinem Befund einige hervorragende Ökonomen verblüfft."Man sieht nur selten solche eindeutigen Ergebnisse", sagt Gary Becker, Nobelpreistäger von der Universität Chicago."Das ist wesentlich mehr als eine Untersuchung über Künstler, es ist eine Forschung über die Marktwirtschaft." Aber manch einer hat doch Fragen."Ich mißtraue jedem, der versucht, in der Kunst derartige Muster zu entdecken, vor allem solche wirtschaftlicher Art", rümpft Robert Rosenblum, Kurator des Guggenheim Museums und Professor an der Universität New York, die Nase.Robert Storr, Kurator des Museum of Modern Art in New York, fügt hinzu: "Wir sind keine Arbeitskräfte, das ist das Problem." Der Erfolg eines Künstlers sei "überhaupt nicht quantifizierbar", sagt er.Galenson kümmert solche Kritik nicht.Er ist viel zu beschäftigt, die Gründe für eine derart plötzliche Veränderung in der Kunstwelt zu ergründen.Auf dem Gebiet der Technologie war es der Personal Computer, der den Markt grundlegend veränderte; jetzt rauscht eine junge Generation von Software-Entwicklern ihren Vorgängern davon, die sich mit der Hardware befaßten.

Die entsprechende Umwälzung in der Kunst vollzog sich in den vierziger und frühen fünfziger Jahren, als der Krieg zu Ende war und die guten Zeiten begannen.Galerien in New York fingen an, erfrischend neue amerikanische Kunst zu zeigen, und es gab den Drang, eine Lösung für das zu finden, was einflußreiche Kritiker die "formalen Probleme" der Kunst nannten, die mit Größe, Form, Struktur und Rhythmus zu tun haben.Der Kritiker Clement Greenberg forderte die Künstler zum Beispiel heraus, die Tiefe aufzuheben.Jasper Johns antwortete darauf mit durch und durch flachen Objekten auf flachem Untergrund - einer Scheibe, einer Fahne, die eben nicht im Wind flatterte.So wurde er im Alter von 27 Jahren zum Genie erklärt, sagt Galenson.Die boomende amerikanische Kunstwelt warf sich auch anderen jungen Künstlern, die sie als Problemlöser anerkannten, an die Brust: Frank Stella hatte seine erste Einzelausstellung im Alter von 24 Jahren, Helen Frankenthaler mit 23.

Die moderne Malerei kann am besten als eine "Technologie in der Entwicklungsphase" verstanden werden, schrieb der Kunstkritiker Leo Steinberg 1972."Der Künstler als Ingenieur und Forschungstechniker wird wichtig, sofern er Lösungen für die richtigen Probleme vorlegt." In solchen Zeiten haben die Jungen einen entscheidenden Vorteil, fügt Galenson hinzu: Sie können "ganz einfache Dinge wahrnehmen, weil sie nicht auf den ausgetretenen Pfaden gehen".Das war für die Künstler, die vor 1920 geboren sind, anders.Als sie jung waren, während der Weltwirtschaftskrise und dem Zweiten Weltkrieg, wurde die französische Kunst als überlegen eingeschätzt, und kaum jemand kümmerte sich um amerikanische Kunst.Deshalb malten die amerikanischen Künstler in erster Linie für sich selbst und ein paar Kollegen und hielten es für "ausgeschlossen", Erfolg zu haben, sagt Galenson.Sie hatten ihre erste Einzelausstellung in mittlerem Alter: der gebürtige Niederländer Willem de Kooning war 44, Wayne Thiebaud 42, Franz Klime 40.Diese älteren Meister befaßten sich auch intensiver als die nachfolgenden Generationen mit Maltechniken, die erst in geduldiger Übung perfektioniert werden können, argumentiert Galenson.Mark Rothko etwa hat jahrelang an den Schattierungen seiner Farbflächen gefeilt, bis er die gewünschte spirituelle Tiefe erzeugte.Deshalb schuf er seine besten Werke erst mit etwa 57, als seine Fähigkeiten ausgereift waren.

Galensons Interesse an Kunst und Wirtschaft wurde geweckt, als er 1973 als junger Harvard-Student einen Kurs in moderner Kunst belegte, der auf dem Campus unter der Bezeichnung "Fleck und Klecks" lief.Im dunklen Hörsaal fiel ihm plötzlich auf, wie jung die Künstler waren.Im vergangenen Sommer war der heute 46jährige Ökonom und Hobby-Kunstsammler dabei, die Karriere-Spitzen all dieser Künstler zu analysieren.An einem Nachmittag entdeckte er schließlich, nachdem er die Daten auf unterschiedliche Arten gruppiert hatte, daß die Künstler der Jahrgänge vor 1920 in höherem Alter den großen Erfolg hatten als jene, die später geboren wurden."Das war ein großer Moment", erinnert sich Galenson.Seine Gefühle für die Kunst gehen über das rein Ökonomische hinaus.Als er im Mai auf der Jahresausstellung zeitgenössscher Kunst in Chicago herumstreunte, verliebte er sich zum ersten Mal in ein Gemälde von Sam Francis."Es war wie das erste Mal, daß ich beim Chinesen Schweinefleisch im Teigmantel mit Hoisin-Pflaumensoße probierte", sagt Galenson."Ich dachte: Ich weiß nicht, was es ist, aber ich weiß genau, daß es perfekt ist."

CHRISTINA DUFF

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