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Thilo Sarrazin, 1990 Referatsleiter im Bundesfinanzministerium für "Nationale Währungsfragen".

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Wegbereitung der deutschen Einheit: Ein großes Gedankenexperiment

Der spätere Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin entwickelte im Januar 1990 im Bonner Finanzministerium das Konzept für die Währungsunion.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Dass die Mauer fiel, hat Thilo Sarrazin erst am 10. November, beim Frühstück, dem Bonner Generalanzeiger entnommen. Denn Fernsehen schaut er selten, das lohne sich nicht. Die verspätete Wahrnehmung eines historischen Umbruchs änderte nichts daran, dass der damalige Referatsleiter für Nationale Währungsfragen im Bundesfinanzministerium eine maßgebliche Rolle bei der Einführung der D-Mark in der DDR spielen sollte. „Ich wusste, ich hatte mein Thema gefunden“, sagte er später.

Und Sarrazin ging das Problem mit derselben Methodik und inneren Haltung an, mit der er von 2002 bis 2009 als Berliner Finanzsenator die völlig überschuldete und hoch defizitäre Hauptstadt grundsanierte. Mit dem, wie er selbst von sich sagte, „mir angeborenen Maß an Zynismus und Kälte plus Sachkunde plus intensiver Sachbeschäftigung – und ohne Wunschdenken“. Im engen Zusammenspiel mit seinem Vorgesetzten, dem Abteilungsleiter Horst Köhler, der 15 Jahre später Bundespräsident wurde. Nach Sarrazins Erinnerung hatte bis Januar 1990 niemand einen Plan, wie mit dem beschleunigten Niedergang der DDR nach Öffnung der Grenzen wirtschaftlich und finanzpolitisch umgegangen werden sollte. Ihm sei zu jener Zeit erst durch ein einfaches Gedankenexperiment klar geworden, warum die Lage unhaltbar geworden sei und nach einer radikalen Lösung der Probleme schrie.

Seine Überlegung: Die Sozialhilfe für eine DDR-Familie betrug 800 bis 1000 DM, bei einem Umtauschverhältnis von Ost- und Westmark von 1 zu 7 sei die Sache klar. „Man fuhr beispielsweise von Magdeburg nach Wolfsburg, mietete eine Unterkunft, meldete sich beim Sozialamt an und hatte Anspruch auf Sozialhilfe, die 50 Kilometer weiter 7000 Ostmark wert war.“ Hätten das hunderttausende DDR-Bürger gemacht, und warum auch nicht, wäre die DDR sofort leer gekauft gewesen und das System am Ende.

Es sei denn, man hätte das Residenzrecht von DDR-Bürgern in der Bundesrepublik und den Sozialhilfeanspruch gestrichen oder die Einfuhr von Devisen reguliert. Alles politisch undenkbar, denn spätestens dann wären die DDR-Bürger massenhaft in den Westen ausgewandert. „Dann würde irgendwann der größere Teil der DDR bei uns sitzen.“ Für den kühl denkenden Fachbeamten im Finanzministerium lag die Lösung des Problems nun auf der Hand: „Wir müssen zahlen.“

Das einig Vaterland brauchte auch eine gemeinsame Währung.
Das einig Vaterland brauchte auch eine gemeinsame Währung.

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Am 26. Januar 1990 erhielt Sarrazin von Köhler, der zum Staatssekretär aufgerückt war, den Auftrag, seine Überlegungen höchst vertraulich aufzuschreiben. Drei Tage später war der 14-seitige Vermerk fertig, der dem Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) vorgelegt und dann an den Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) herangetragen wurde. Die Grundidee: Wechselkurs eins zu eins, sofortige Freigabe aller Preise, Umwandlung der volkseigenen Betriebe in privatrechtliche Unternehmen und die Übernahme des westdeutschen Wirtschaftsrechts. Die Führung der Bundesbank wurde zu deren Verdruss erst später eingeweiht. Der Kanzler wiederum nutzte das Konzept in der folgenden Woche für die Gespräche mit dem DDR-Ministerpräsidenten Hans Modrow.

Sarrazin wurde daraufhin zum Leiter der ministerialen Arbeitsgruppe „Innerdeutsche Beziehungen“ ernannt, die für die Vorbereitung der Währungsunion zuständig war. Im Nachhinein lobte er die Kollegen aus dem DDR-Finanzministerium, mit denen er zusammen saß. „Das waren ausgeschlafene, wendige Leute, mit denen man in fachlichen Belangen wunderbar zusammenarbeiten konnte. Die kannten die Hierarchien und die Sprache der Macht.“ Den einen oder anderen Fehler in diesem Prozess räumte Sarrazin hinterher ein. Aus seiner Sicht wäre ein zeitweiliger Lohnstopp nötig gewesen. Denn die forcierte Einkommensentwicklung im Osten „mit Hilfe der westdeutschen Gewerkschaften“ hätte den ökonomischen Zusammenbruch extrem beschleunigt. Der zweite Fehler sei die Restitution des vom DDR-Regime enteigneten Vermögens gewesen. V

öllig alternativlos war aber für Sarrazin die schnelle Einführung der D-Mark „im Tausch gegen einen marktwirtschaftlichen Ordnungsrahmen“ – und der Umtauschkurs. Weniger gnadenlose Scharfdenker wären möglicherweise zurückgeschreckt vor dem, was dann kam. Und was Sarrazin in seinem Papier damals schon prognostizierte: Der Zusammenbruch der industriellen Produktion im Osten und mindestens 1,6 Millionen Arbeitslose in einem Land mit nur 17 Millionen Einwohnern. Und ein Transfer von 170 Milliarden D-Mark jährlich über mindestens zehn Jahre vom Westen in den Osten.

Nicht in jedem Detail, aber in den Größenordnungen lag Sarrazin richtig. Aber er bestreitet bis heute, dass die gravierenden ökonomischen und sozialen Probleme in den neuen Ländern nach der Vereinigung Deutschlands eine Folge der Währungsunion waren. Die DDR-Volkswirtschaft, der Sarrazin 1990 nur noch „Schrottwert“ zurechnete, sei nicht zu retten gewesen. Und letztlich sei es doch darum gegangen, auf dem Weg zur deutschen Einheit rechtzeitig „vollendete Tatsachen“ zu schaffen. Mit der Währungsunion ab Juli 1990 sei die DDR-Führung vollständig entmachtet worden.

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