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Vorfreude ist die schönste Freude. Vor allem, wenn das Geschenk schlecht ist.

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Weihnachtsgeschenke: Ich gebe, damit du gibst

Einfach etwas schenken? So einfach ist das nicht. Geschenke sind ökonomisch relevant und die sozialen Regeln, nach denen wir schenken, äußerst kompliziert.

Schauspielerin Katja Flint sorgte Anfang Dezember bei ihren Gastgebern für Stirnrunzeln. Zur Eröffnung einer internationalen Schuhmesse in Düsseldorf sagte sie – vermutlich nicht in geschäftsschädigender Absicht: „Ich höre immer, man darf keine Schuhe verschenken, sonst rennt der andere weg. Deswegen tue ich es nicht, oder lasse mir fünf Cent dafür bezahlen, damit mein Geschenk kein Geschenk mehr ist und so kein Unglück bringt.“ So hatten sich die Veranstalter das nicht vorgestellt. Die prominente Flint sollte doch eigentlich werben – für mehr Schuhe unterm Weihnachtsbaum.

Schenkende und Beschenkte haben es wirklich nicht leicht: Geld, Glaube, Aberglaube und jetzt sogar Geschenke, die keine sein dürfen? Da kann man schnell den Überblick verlieren.

Seit gut 90 Jahren untersuchen Wirtschafts- und Sozialforscher das Thema mit wissenschaftlichen Methoden. Der französische Ethnologe Marcel Mauss führte den Begriff der „Schenkökonomie“ mit einem 1923 veröffentlichtem Aufsatz in die Debatte ein. Der Neffe und Schüler von Émile Durkheim, dem Begründer der empirischen Soziologie, hatte Schenkrituale bei nordamerikanischen Indianerstämmen beobachtet und dokumentiert. Andere, wie der polnische Anthropologe Bronislaw Malinowski, studierte Inselvölker im Pazifik. Dort suchten sie nach den Ursprüngen des Schenkens.

Mauss beschrieb die beziehungsstiftende Funktion von Geschenken, wie auch die Möglichkeit, damit sozialen Abstand auszudrücken. Er plädierte für eine strenge Trennung zwischen Gabentausch und Warentausch: Schenken sei persönlich und eine eigenständige Wirtschaftsform, Warenhandel sei unpersönlich und diene völlig anderen Zwecken. Kritiker halten das indes für ethnozentristische Romantik.

In industriellen Gesellschaften ist das Geschenk Bestandteil der Wirtschaft insgesamt. Teile des Handels existieren nur, weil geschenkt wird. Wie will man dem nach dem Besuch eines Einkaufszentrums dieser Tage widersprechen? Laut aktueller Studien gibt jeder Deutsche 400 Euro im Jahr für Geschenke aus.

Mauss und seine Zeitgenossen gaben allerdings vor rund einhundert Jahren den Anstoß für grundsätzlichere Fragen: Warum schenken wir überhaupt? Wie kann es Sinn machen, etwas zu geben, ohne gleichzeitig etwas dafür zu nehmen? Ist der Mensch nicht dem Menschen ein Wolf oder zumindest ein Homo oeconomicus, der stets seinen eigenen Vorteil sucht – auch gegenüber Freunden und Familie? Oder sind wir nicht vielleicht doch auch selbstlos, gibt es in Wirklichkeit auch die wahre Gabe ohne Hintergedanken?

Das selbstlose Geschenk gibt es nicht

Geschenke bringen in Idealfall Freude - und sind ökonomisch wertvoll.
Geschenke bringen in Idealfall Freude - und sind ökonomisch wertvoll.

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Wohl nicht. Forscher unterschiedlicher Disziplinen und Denkschulen sind sich heute weitgehend einig, dass es das selbstlose Geschenk nicht – oder nur in seltenen Ausnahmen – gibt. „Es gibt keinen Altruismus ohne Egoismus“, bringt es der Ökonom Georg von Schnurbein vom Centre for Philanthropy Studies der Uni Basel auf den Punkt. Denn wer schenkt, erhält fast immer eine Gegenleistung – und sei es nur ein „Danke“, das von Herzen kommt, und das Gefühl ausdrücken soll, dass man in jemandes Schuld steht.

So erfüllt ein Geschenk eine wichtige soziale Funktion: Es schafft Abhängigkeiten, was im besten Sinne dem Zusammenhalt einer Gemeinschaft oder einer Beziehung dient. In einigen Fällen kann diese Sitte Gemeinschaften aber geradezu verkleben oder so dicht machen, dass es unmöglich – weil lebensgefährlich – wäre, sich daraus zu lösen. Beispielsweise spielen in Mafia-Organisationen Geschenke eine große Rolle.

Gut, dass es da den Weihnachtsbaum gibt. Denn das Ritual des Geschenketausches unterm Baum ermöglicht es uns, unangenehme Abhängigkeiten, die theoretisch entstehen könnten, innerhalb weniger Minuten durch ein Rückgeschenk abzubauen. Schenken und schenken lassen. Das entspannt.

Die Schenktradition, wie wir sie heute in der christlichen Welt zu Weihnachten oder Geburtstagen kennen, ist erst im 19. Jahrhundert aufgekommen. Religionswissenschaftler erklären dieses Phänomen mit der Industrialisierung. Beobachten lässt sich das auch am Osterfest, bei dem es früher traditionellerweise Schokolade und Eier gab. Heute liegen auch Sachgeschenke im Körbchen. Der Wohlstand verändert religiöse Traditionen – nicht nur in christlichen Kulturkreisen.

Weltweit folgen Schenkrituale meist dem lateinischen Rechtsprinzip do ut des (Ich gebe, damit du gibst): So sollten etwa Opfergaben, die heute noch im Hinduismus praktiziert werden, Götter dazu bewegen, Gutes für den Menschen zu tun. Schenkökonomie ist auch ein Thema für Unternehmen, Verlage oder Plattenfirmen. Denn ihr Geschäft verlagert sich weiter ins Internet – eine Sphäre, in der Menschen den freien Tausch von Daten und Informationen gelernt haben und diese Freiheit verteidigen. Inhalte, die etwa Verlage teuer produzieren, wurden und werden im Internet verschenkt – auch weil sie scheinbar im Überfluss vorhanden sind und eine Preisgebung sich den üblichen kapitalistischen Mechanismen entzieht. Wo Informationsanbieter plötzlich Geld verlangen, ändert sich die Geschäftsgrundlage, das Internet verliert seine anarchische Romantik.

Geschenkregeln ändern sich ständig

Diese Regeln, nach denen wir schenken, sind auch so kompliziert, weil sie sich permanent ändern. So ist es vor allem in der Oberschicht Usus geworden, dass sich Jubilare von ihren Gästen keine Sachgeschenke mehr wünschen, sondern Geldspenden für einen guten Zweck. Was selbstlos klingt, kann aber leicht für atmosphärische Verwerfungen sorgen. Denn wenn die Höhe der Spenden für alle Gäste öffentlich ist, kann mancher Gast sich genötigt fühlen, mehr Geld zu geben, als er bereit gewesen wäre, für ein Sachgeschenk auszugeben. Wer will sich schon ertappen lassen, wie er bei krebskranken Kindern knausert?

Lässt der Gastgeber diskret spenden, brüskiert er niemanden. Allerdings kommt dann weniger Geld zusammen, haben Studien gezeigt. 2,3 Milliarden Euro tragen private Spender laut Deutschem Spendenrat jährlich zusammen und finanzieren so auch die Fundraising-Industrie.

Geld zu schenken war lange tabu, weil es nicht durch andere Handlungen – etwa die Mühe, eine persönliche Idee zu entwickeln – aufgewertet worden ist. Allerdings vereinfacht Bargeld einige Abläufe enorm. Denn die Sachgeschenkewahl ist nicht nur mühsam, sondern auch riskant, wie ein konstruiertes Beispiel zeigt: Ein Mann schenkt seiner Frau einen Ring. Ist die Beziehung intakt, hat der Ring für die Frau einen Wert, der den materiellen Wert des Schmuckstücks übersteigt. Liebt die Frau den Mann nicht, schätzt sie den Wert des Rings geringer ein, als er tatsächlich ist.

Das ist auch die Kernthese des vielleicht profiliertesten Weihnachtsmuffels aus dem Kreis der Wirtschaftswissenschaftler: Der US-Ökonom Joel Waldfogel von der University of Minnesota hatte 1993 erstmals empirisch nachgewiesen, dass Beschenkte selbst weniger ausgeben würden als der Schenkende bezahlt hat – und zwar im Schnitt 16 Prozent. Geschenke seien aus volkswirtschaftlicher Sicht nach Ansicht Waldfogels blanker Unsinn, „eine Orgie der Wertvernichtung“, schreibt er in seinem Buch „Warum Sie diesmal wirklich keine Weihnachtsgeschenke kaufen sollten“. Zu spät, Waldfogel, mag nun mancher rufen: Wir schenken weiter, weil auch Unsinn manchmal Sinn machen kann. (mit jmi)

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