zum Hauptinhalt
In Bewegung. Bei der Ausbildung zum Ta-Ke-Ti-Na-Rhythmus-Therapeuten in Bad Kissingen setzt man den ganzen Körper ein.

© promo

Weiterbildung: Mit Tönen helfen

In Fortbildungen lernen Pflegekräfte, Musikschullehrer und Psychologen, wie sie Rhythmen und Lieder in der Therapie einsetzen.

Der Morgen begann bei den Littys mit einem Lied. „Die Sonne scheint, sie lacht uns an. Jetzt wollen wir aufstehen", sang Joachim Litty seiner Mutter vor. Die alte Dame lag noch im Bett, das Aufstehen war mühsam, die Beine wollten nicht mehr so, wie sie sollten. Während er sang, half er seiner Mutter sich langsam aufzurichten, die Beine über die Bettkante zu schwingen. Dann klatschte Joachim Litty in die Hände, bestimmte den Rhythmus des Liedes und bewegte sich rückwärts Richtung Badezimmer. Seine Mutter folgte mit langsamen Schritten, ein Lächeln umspielte ihre Lippen. Littys Mutter war dement, selbst einfachste Bewegungen und alltägliche Abläufe wie Aufstehen, Essen, Waschen, zur Toilette gehen wurden im Laufe der Zeit immer beschwerlicher. Die Musik war eine Art Türöffner, in die Welt, in die die Krankheit die alte Dame immer weiter hineinzog. „Das hat Vieles im Alltag leichter gemacht“, sagt Litty. 2013 starb seine Mutter.

Joachim Litty ist Leiter der Landesmusikakademie Berlin. Die Krankheit seiner Mutter brachte ihn auf die Idee, seine Erfahrungen auch an andere weiterzugeben. Seit 2006 hat die Landesmusikakademie Seminare und Weiterbildungen im Angebot, die Musik speziell in der Arbeit mit alten, kranken oder sterbenden Menschen einsetzen. „Mit Musik soll nochmal mehr Lebensqualität in diesen Lebensabschnitt gebracht werden“, sagt Litty.

An den Kursen der Akademie nehmen vor allem Pflegekräfte teil, die bereits in Alten- oder Pflegeheimen arbeiten. Aber auch Musikschullehrer bilden sich mit dem Angebot weiter. Für viele ältere Lehrer oder Musiker, die bisher mit Kindern gearbeitet haben, bietet beispielsweise der Senioren-Schwerpunkt neue Perspektiven. Gefragt sind alle, die ein Faible für Musik haben und bereit sind, sich auf neue Techniken in der Therapie einzulassen. Zudem hält Litty eine Spezialisierung auf Menschen mit Migrationshintergrund für sinnvoll. So gehört etwa in türkischen Gemeinschaften Musik noch viel stärker zum Alltag als in anderen Kulturen.

Musik ist eine Kommunikationsform

Littys Mutter arbeitete als Musiklehrerin, auch zuhause wurde gesungen und musiziert. Also ist es nicht verwunderlich, dass sie auf musikalische Reize auch im Alter und trotz Krankheit reagierte. Generell sei die Generation der heute 75-Jährigen und Älteren offen für Musik, sagt Litty. „Hier findet man eine Brücke. Musik ist eine Kommunikationsform, die hier greifen kann.“ Er hält ein solches Angebot vor allem für die Altenheime interessant, aber auch für die entsprechenden Abteilungen für ältere Menschen in den Krankenhäusern. Didaktik und Methodik, Musikpsychologie, Gerontologische Grundlagen, Alterspsychologie, Biografiearbeit im Zusammenhang mit Musik und Sitz-Tänze stehen auf dem Lehrplan des Kurses „Musikgeragogik“. Ein weiteres Thema ist „Stimme und Gehör im Alter/Spezielle Aspekte der Kommunikation“.

Im Vergleich mit anderen Fortbildungen ist der Lehrgang an der Landesmusikakademie jedoch nicht ganz preiswert. Für 15 Tage müssen die bis zu 16 Teilnehmer mit Kosten von rund 1400 Euro rechnen. Die Seminare finden an den Wochenenden oder außerhalb der Dienstzeiten statt. Fördermöglichkeiten gibt es bisher nur wenige. Litty rät dazu, auch bei den Arbeitgebern anzufragen, ob die Zusatzqualifikation bezuschusst werden kann. Um einen Einblick in die musikalische Arbeit mit Senioren und Schwerstkranken zu bekommen, hat die Akademie auch Kurzseminare im Angebot. Diese finden am Wochenende statt und kosten zwischen rund 90 Euro und 130 Euro.

Rhythmisch. Der Musikbogen Berimbau und die Surdo-Trommel – beides aus Brasilien.
Rhythmisch. Der Musikbogen Berimbau und die Surdo-Trommel – beides aus Brasilien.

© promo

Angaben des zuständigen Berufsverbands zufolge gibt es deutschlandweit rund 64 000 Psychologen. Mehr als die Hälfte davon haben eine psychotherapeutische Ausbildung. Der Bedarf an Fachleuten mit qualifizierter Ausbildung ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Diese Bewerber hat Frank Rihm, Leitender Kreativtherapeut an der Fachklinik Heiligenfeld in Bad Kissingen, im Blick. Gemeinsam mit zwei weiteren Fachärzten leitet er die Ausbildung zum TaKeTiNa-Rhythmustherapeuten an der medizinischen Akademie. Die Silben Ta - Ke - Ti - Na sind eine Art Rhythmussprache.

Alle Körperfunktionen funktionieren auf Basis von Rhythmus

Das Herz, der Stoffwechsel, Gehirnströme – alle Körperfunktionen funktionieren auf Basis von Rhythmus. Was physisch funktioniert, lässt sich auch auf die psychische Verfassung übertragen. „Rhythmus ist ein Spiegel, der den Menschen zeigt, so gehe ich auch mit meinem Leben um“, sagt Rihm. „Die Ausbildung eignet sich für alle, die mit Menschen arbeiten“, sagt Rihm. Ärzte, Psychologen, Körperpsychotherapeuten, Sozialarbeiter oder auch Logopäden nehmen genauso teil, wie Heilpraktiker oder Coaches für Lebens- und Karriereplanung.

Die Therapieform lässt sich bei vielen Krankheitsbildern anwenden, bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Psychisch Erkrankte gehören genauso dazu, wie Krebspatienten. Auch in der Sterbebegleitung arbeiten Rihms Kollegen mit Rhythmus und Musik. „Viele Patienten spüren ihren Körper gar nicht mehr – und damit auch nicht mehr ihre Emotionen", sagt der Kreativtherapeut. Ursachen können Missbrauch, Gewalterfahrungen, Tod, Krankheit oder andere schlimme Erlebnisse sein. Musik und die Arbeit mit dem Rhythmus lösen die Blockaden.

Obertonsingen und freies Sprechen beim Trommeln stehen auf dem Stundenplan

Dazu lernen die Teilnehmer den Umgang mit mehreren Instrumenten: etwa mit dem brasilianischen Saiteninstrument Berimbau, einem Musikbogen aus einem langen Stück Holz, einem Draht und einem ausgehöhlten Flaschenkürbis oder mit dem Cajòn, einer Kistentrommel aus Peru und der Surdo, einer großen Samba-Trommel. Hinzu kommt Obertonsingen, freies Sprechen beim Trommeln, Psychotherapeutische Gesprächsführung, Stimmbildung und spezielle Meditationstechniken, aber auch „Neurobiologische Grundlagen über Wirkfaktoren in der Psychotherapie aus körpertherapeutischer Sicht“. Der Umgang mit all diesen Elementen der Therapieform wird in der Gruppe geübt, und das mit vollem Körpereinsatz. Die Teilnehmer versuchen sich selbst an verschiedenen Rhythmen, einfache, kompliziertere, mit Unterbrechung und ohne. Die Hände geben den Takt vor oder die Füße, manchmal arbeiten sie zusammen.

Die Ausbildung muss in den Arbeitsalltag integriert werden

Zwischen 20 und 30 Teilnehmer absolvieren die Ausbildung. Über zwei Jahre lang treffen sich die zukünftigen Rhythmustherapeuten regelmäßig, über 100 Kurstage sind veranschlagt. „Das Programm ist sehr intensiv“, sagt Rihm. Kern der Ausbildung ist die Musik und die Erfahrungen, die die Patienten mit ihr machen. „Dann ist auch ein Gespräch mit Menschen möglich, die über ihre Probleme nicht oder nicht so leicht sprechen können“, sagt Rihm.

Das Angebot ist bundesweit nahezu einmalig. Etliche der Teilnehmer kommen von außerhalb und reisen zu den Seminaren nach Bad Kissingen. „Die Ausbildung muss in den Arbeitsalltag integriert werden“, sagt Rihm. „Das muss den Teilnehmern klar sein.“ Und auch, dass die Arbeit mit den Kranken eine Herausforderung sein kann. Vieles kann geübt werden, aber wie in jeder therapeutischen Arbeit müssen sich die künftigen Rhythmustherapeuten auch auf Unbekanntes gefasst machen.

„Wir bieten einen Handwerkskasten mit vielen Werkzeuge an“, sagt der Kreativtherapeut. „Jeder Teilnehmer findet dann seine eigene Form, wie er das Erlernte in der Therapie anwenden will.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false