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In die Waagschale legen. Die Argumente für ein Hochschulstudium wiegen schwer. Eine Studie vergleicht sie mit denen für Fortbildungen zum Techniker oder Master und kommt zu dem Schluss, dass diese durchaus mithalten können – etwa beim Gehalt.

© Armin Weigel/picture alliance / dpa

Weiterbildungsstudie: Karriere ohne Abitur und Studium

Auch nach einer Fortbildung zum Meister, Fachwirt oder Techniker kann man Führungskraft werden. Viele wissen das nicht. Die Wirtschaft wirbt für solche Bildungswege und sagt, dass die Absolventen sogar besser als Akademiker sein können.

Wer Karriere machen und Führungskraft werden will, sollte eine Hochschule von innen gesehen – und sie mindestens mit einem Bachelor abgeschlossen haben. Das ist die gängige Meinung. Der deutsche Industrie und Handelskammertag (DIHK) ist nun ausgezogen, das Gegenteil zu beweisen: Dass man es mit einer Ausbildung plus Fortbildung mindestens genauso leicht an die Spitze schafft, wenn nicht sogar besser. Beim Institut der Deutschen Wirtschaft Köln hat die DIHK eine Studie bestellt, um „zu überprüfen, welche Beschäftigungs- und Karrierepotenziale für Personen mit Fortbildungsabschluss offen stehen“. Damit sind vor allem Absolventen der so genannten Aufstiegsfortbildungen zum Meister, Fachwirt oder Techniker gemeint, die ohne Abitur in die Lehre gestartet sind, laut DIHK absolvieren jedes Jahr mehr als 50 000 Deutsche eine solche Weiterbildung. Die Studie vergleicht ihre Potenziale mit denen von Akademikern mit einem Bachelor- oder Masterabschluss. Jetzt stellte der DIHK die Studie in Berlin vor, für die die Autoren bereits vorhandene Datensätze auswerteten: eine Befragung von rund 20 000 Erwerbstätigen aus dem Jahr 2012 (vom Bundesamt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin) und eine eigene Unternehmensbefragung von 2015.

Die Marke "Höhere Berufsbildung" stärker in Deutschland etablieren

Für den DIHK gibt es ein eindeutiges Fazit der Studie: „Für eine Beschäftigung mit Führungsverantwortung ist ein Hochschulabschluss keinesfalls Pflicht – im Gegenteil: Berufliche Fortbildung führt sogar häufiger in direkte Personalverantwortung“, so Achim Dercks, stellvertretender DIHK-Hauptgeschäftsführer. Er spricht von einem „Erfolgsmodell Höhere Berufsbildung“. Die Autoren der Studie nennen es die „Marke Höhere Berufsbildung“ und raten, sie „stärker in Deutschland zu etablieren“. Und genau das tut Dercks, in dem er Zahlen aus der Studie hervorhebt: 47 Prozent der Fortbildungs-, aber nur 39 Prozent der Hochschulabsolventen bekleideten eine Position mit direkter Personalverantwortung im Beruf. Außerdem seien Meister oder Techniker gegenüber Kollegen öfter fachlich weisungsbefugt als Akademiker (80 versus 69 Prozent). „Das heißt, gerade bei Fragen der konkreten betrieblichen Umsetzung geben beruflich Qualifizierte häufiger den Ton an als ihre Kollegen aus den Hochschulen.“ Außerdem verdienten Fortbildungsabsolventen mindestens genauso viel wie Bachelorabsolventen – im Stundenlohnvergleich teilweise sogar „mehr als ein durchschnittlicher Akademiker“. Und die Arbeitslosenquote sei unter „beruflich Qualifizierten“ sogar geringer als unter Akademikern, so Dercks.

Als Konsequenz daraus stellt Dercks die Finanzierung des bestehenden Hochschulsystems infrage: Es dürfe „kein Tabu sein, die Kostenlos-Kultur des Hochschulstudiums generell zu hinterfragen – und den hohen Investitionen der Unternehmen sowie des Einzelnen in berufliche Aus- und Weiterbildung einmal kritisch gegenüberzustellen.“

Die berufliche Bildung attraktiver machen

Mit solchen Aussagen fordert er Widerspruch heraus, etwa vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGW): „Es ist ein Irrweg, die duale Ausbildung stärken zu wollen, indem man junge Menschen durch Studiengebühren von der Hochschule fernhalten will“, sagte die stellvertretende DGW-Vorsitzende Elke Hannack. Bei der Entscheidung für oder gegen ein Studium oder eine berufliche Ausbildung „geben persönliche Interessen, die Qualität des Studiums oder der Ausbildung sowie Karriereperspektiven den Ausschlag. Die Arbeitgeber haben es selbst in der Hand, die berufliche Bildung wieder attraktiver zu machen.“

Genau das bezweckt der DIHK mit der Veröffentlichung der Studie, zu der sie sogar ein eigenes Video gedreht hat. Dercks sagt, die Studienergebnisse seien „ein deutliches Signal an junge Leute“ „bei der Wahl ihres Berufsweges“ dann beschwört er „volle Hörsäle“ und einen „Ansturm auf die Hochschulen“. Auch die gängige Meinung, dass es aber schon mindestens das Abitur als Schulabschluss sein müsse, bevor man in den Beruf startet, hinterfragt Dercks: Von den „Spitzenverdienern unter unter den Fortbildungsabsolventen“ hätten mehr als 70 Prozent nur einen Haupt- oder Realschulabschluss. Wer daraus jetzt aber schlussfolgert, Abitur und Hochschulstudium lohne sich überhaupt nicht mehr, sollte sich die Studie genauer ansehen (wer selbst weiterlesen möchte, findet sowohl die vollständige sehr detaillierte und aufschlussreiche Studie als auch eine weniger informative Kurzfassung unter www.dihk.de/presse/meldungen/ 2016-01-28-iw-studie). Denn ganz so deutlich ist das „Signal“, von dem Dercks spricht, nicht.

Die Autoren der Studie differenzieren

In der Studie ist etwa folgender Satz zu finden: „Weder Hochschulabsolventen noch Fortbildungsabsolventen haben durchweg bessere Einkommens- und Arbeitsmarktperspektiven.“ Die Autoren, Regina Flake, Dirk Werner und Michael Zibrowius differenzieren stärker als Dercks: „Beide Gruppen sind in sich sehr heterogen, sodass Durchschnitte über die Gesamtgruppen nur bedingt aussagefähig sind. Es gibt große Unterschiede bei der Beschäftigungssituation und den Karriereperspektiven zwischen Absolventen verschiedener Berufsfelder, Branchen, Fachrichtungen sowie Berufs- und Tätigkeitsfelder.“ Zwar gebe es zwischen Fortbildungs- und Bachelorabsolventen nur „vergleichsweise geringe Unterschiede“, wobei die „Nähe zu Akademikern im kaufmännischen Bereich am größten“ ausfalle. Beim Master sieht das anders aus.

Außerdem komme es auf die Tätigkeit und Branche an: Fortbildungsabsolventen sind seltener in der in der Unternehmensführung, im Marketing und in Forschung und Entwicklung tätig als Akademiker. Kaum Unterschiede gibt es in den Tätigkeitsfeldern Qualitätssicherung, Finanzen, Controlling und Rechnungswesen. In der Kundenbetreuung, dem Vertrieb und in der Produktionssteuerung werden deutlich mehr Fortbildungsabsolventen beschäftigt. Auch sind sie wesentlich häufiger in produzierenden und technischen Berufen im Bereich von Industrie, Handwerk und Bauwirtschaft tätig. Sie seien zwar „häufiger weisungsbefugt“, leiteten aber „ durchschnittlich kleinere Teams“. Und: „Fortbildungsabsolventen bekleiden seltener höchste Führungspositionen, was auch damit zusammenhängt, dass sie seltener in großen Unternehmen arbeiten.“

Kaum Gehaltsnachteile

Auch beim Gehalt differenziert die Studie: Fortbildungsabsolventen hätten zwar „kaum Gehaltsnachteile zu Bachelorabsolventen, jedoch größere Gehaltsunterschiede zu Masterabsolventen. Allerdings gibt es auch unter den Fortbildungsabsolventen eine vergleichsweise große Gruppe, die zu den Spitzenverdienern zählt“, schreiben die Autoren der Studie: „Als ultimatives Argument für die Vorteilhaftigkeit des akademischen Ausbildungsweges wird dann häufig gesagt: ’Akademiker verdienen ja auch mehr als Fortbildungsabsolventen.’ Doch so einfach ist es nicht: Ja: Das durchschnittliche Gehalt aller Akademiker liegt über dem durchschnittlichen Gehalt aller Personen mit Fortbildungsabschluss. Aber nein: Bei weitem nicht jeder Akademiker verdient mehr als ein Fortgebildeter. Je nach Fachrichtung, Branche und Beruf zeigen sich hier enorme Unterschiede.“

Für besonders wichtig halten die Autoren der Studie Folgendes: Eine Fortbildung sei ein „alternativer Zugang zu hochqualifizierten Fachaufgaben, der bestimmen Personengruppen Türen öffne, die ihnen vielleicht sonst verschlossen geblieben wären.“ Viele Ergebnisse deuteten darauf hin, „dass die verschiedenen Abschlüsse in der Wirtschaft überwiegend komplementär sind – es geht also nicht vorrangig um ein entweder oder, sondern Unternehmen benötigen beide Gruppen.“ Ein anderes Fazit, dass die Autoren der Studie ziehen, leuchtet deshalb ein: „Es gibt nicht immer nur ein besser oder schlechter, sondern häufig auch einfach ein „anders“. (mit dpa)

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