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In Gefahr. Der Amazonas-Regenwald ist eins der drei größten Ökosysteme Brasiliens. Foto: Reuters

© REUTERS

Weltnachhaltigkeitsgipfel: Viel Prosa, wenig Substanz in Rio

Bevor der Nachhaltigkeitsgipfel in Rio begonnen hat, legt Brasilien schon eine Abschlusserklärung vor. Die Antwort der Diplomaten auf die dramatische Krise der Weltökosysteme fällt denkbar bescheiden aus.

Der Weltgipfel Rio+20 ist vorbei. Dabei hat er noch gar nicht angefangen. Am Dienstagabend beschloss das Plenum des Weltnachhaltigkeitsgipfels das Abschlussdokument. Wenn an diesem Mittwoch die Staats- und Regierungschefs anreisen, sollen sie nur noch ihre Reden über die schwer wiegenden globalen Umwelt- und Sozialprobleme abliefern. Diskutieren sollen sie auf keinen Fall mehr. So hat es die Gipfelchoreographie der brasilianischen Gastgeber vorgesehen. Dabei herausgekommen ist ein Dokument, das den kleinsten gemeinsamen Nenner der Weltgemeinschaft beschreibt – und der ist viel kleiner als beim ersten Erdgipfel für Umwelt und Entwicklung 1992 ebenfalls in Rio.

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Das 49 Seiten lange Dokument enthält viel Prosa und wenig Substanz. Dem Beschluss war eine dramatische Nachtsitzung vorangegangen. Am späten Montagabend hatte die brasilianische Gipfelpräsidentschaft einen neuen Text vorgelegt und den Delegationen bedeutet, sie sollten den Entwurf jetzt beschließen und am besten kein Wort mehr darüber verlieren. Das ging den Europäern dann aber doch zu weit. Es gab klare, undiplomatische Worte und schließlich die halbe Nacht bilaterale Gespräche. Am frühen Morgen legte Brasilien erneut ein Papier vor. Alles, worüber am Montag noch gestritten worden war, hat Brasilien kurzerhand herausgestrichen.

Geblieben ist ein Papier, in dem die Versicherung, wonach die in Rio 1992 und beim Folgegipfel in Johannesburg 2002 gefassten Beschlüssen weiter gelten sollten, noch zu den weitreichendsten gehört. Dass das beschlossen werden musste, zeigt aber vor allem, dass diese Beschlüsse seit 1992 nicht umgesetzt worden sind. „Der Mangel an Umsetzung und Kontrolle sind die Hauptverantwortlichen für den Ausgang hier“, hatte die ehemalige norwegische Premierministerin Gro Harlem Brundtland schon am Tag vorher gesagt. „Wenn die Beschlüsse des Erdgipfels 1992 umgesetzt worden wären, stünden wir nicht hier.“ Damit wollte sie wohl sagen, dass die Weltgemeinschaft mit Blick auf die Umwelt kurz vor dem Abgrund steht.

Die Welt ist im Anthropozän angekommen

Gemeinsam mit dem Nobelpreisträgersymposium, das seit 2009 an Vorschlägen für einen Wandel in eine kohlenstoffarme Zukunft feilt, hat die von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon berufene Brundtland-Nachfolgekommission unter dem Vorsitz der früheren finnischen Präsidentin Tarja Halonen Alarm geschlagen. Die Wissenschaftler und Politiker sehen die Welt im Anthropozän angekommen – ein Zeitalter, in dem der Mensch die entscheidende Ursache für globale Veränderungen geworden ist. Seit 1992 hat die Globalisierung derart an Tempo gewonnen, dass die Welt nun 20 Jahre später an den Grenzen der Belastbarkeit angekommen ist. „Die Wissenschaft spricht mit einer Stimme“, betonte Hans-Joachim Schellnhuber, Direktor des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung. Brundtland stellte trocken fest: „Wir stecken gemeinsam da drin.“

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Die Antwort der Diplomaten und Verhandler auf diese dramatische Krise der Weltökosysteme fällt denkbar klein aus. In dem Dokument wird erwogen, eine umweltverträgliche Wirtschaftsweise je nach den regionalen Gegebenheiten voranzutreiben. Michael Frein vom Evangelischen Entwicklungsdienst (EED), für den die „Green Economy“ allenfalls ein Mittel ist, um die Grenzen des Wachstums etwas hinauszuschieben, sagte, der Text sei „völlig belanglos“. Zum rüden Verhalten der brasilianischen Präsidentschaft meinte er, bei vielen Entwicklungsländern löse das Genugtuung aus. Schließlich werde ihnen oft genug gesagt, es gebe nichts mehr zu verhandeln. Brasiliens „Gefühl für eigene Größe“ dürfte gestärkt worden sein, meinte er. Und ohne das globale Publikum wäre die Wirkung kleiner, meinte Frein.

Umweltminister Altmaier will den Gipfel als Erfolg verkaufen

Umweltminister Peter Altmaier (CDU) dagegen hat beschlossen, den Rio-Gipfel als Erfolg zu verkaufen. Er hob hervor, dass er „nicht gescheitert ist wie in Kopenhagen“. Als europäische Erfolge sieht Altmaier, dass das UN-Umweltprogramm (Unep) gestärkt werden soll. Er sieht darin die Basis, um aus dem Programm über kurz oder lang doch noch eine der Weltgesundheitsorganisation oder der Internationalen Arbeitsorganisation gleichgestellte Umweltorganisation machen zu können. Außerdem habe die EU es geschafft, dass ihre Vorstellung einer „Green Economy“ global anerkannt werde. Außerdem enthält das Papier einen europäischen Vorschlag, Entwicklungsländern spezifische auf sie zugeschnittene Beratung und Geld für den Umbau ihrer Ökonomien anzubieten. Zudem erkennt das Papier an, dass die Meere geschützt werden müssen. Mehr aber auch nicht. Die Kosten-Nutzen-Abwägung der EU ließ weitere Verhandlungen nicht zu. Die Furcht, weiter an Substanz zu verlieren, wenn an einem Punkt noch mal gestritten worden wäre, war zu groß. Dennoch hofft Altmaier auf einen „Aufschwung des Umweltschutzes“ nach dem Gipfel.

Martin Kaiser von Greenpeace sieht den Gipfel „gescheitert, bevor er auch nur angefangen hat“. Aus seiner Sicht trägt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) daran ihren Anteil, „weil sie durch ihre Absage die Erwartungen an den Gipfel auf einen Tiefpunkt gesenkt hat“. Auf längere Sicht hält Kaiser ein Konsensprinzip, „das es wenigen Ländern erlaubt, alle am Vorankommen zu hindern“, für „nicht mehr zeitgemäß“. Und damit die Regierungen, sollten sie mal wieder über eine nachhaltige Entwicklung verhandeln, bessere Beschlüsse fassen, „muss die Zivilgesellschaft noch viel mehr Druck machen“. Das Gipfeldokument hat übrigens die sympathische Überschrift: „Die Zukunft, die wir wollen.“ Auf die hätte Gro Harlem Brundtland, auf deren Kommission das Konzept einer nachhaltigen Entwicklung zurückgeht, verzichten können. „Wir können keine weiteren 20 Jahre warten“, sagte sie.

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