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Wirtschaft: Weltwirtschaft: Orientierung in der Vergangenheit

Beinahe hätten wir es geschafft. Kühl und besonnen haben Finanzpolitiker, Unternehmer, Börsianer und Währungsexperten rund um den Globus agiert.

Von Antje Sirleschtov

Beinahe hätten wir es geschafft. Kühl und besonnen haben Finanzpolitiker, Unternehmer, Börsianer und Währungsexperten rund um den Globus agiert. Obwohl sie den Schock über die Attentate am 11. September immer im Hinterkopf trugen, legten Notenbanken auf der ganzen Welt sofort nach dem Terror rasch günstige Kreditlinien auf, um die Banken mit Geld zu versorgen. Behutsam addierten Versicherungen die zu erwartenden Schäden auf und ohne Panik verliefen sogar die Handelstage an den Börsen unmittelbar nach jenem Inferno in New York und Washington. Und als der Präsident der Europäischen Zentralbank, Wim Duisenberg, zum Ende der vorvergangenen Woche gelassen verkündete, dass er "Stabilität und Ruhe" verspüre, da schien es, als würden zumindest auf den Weltmärkten dem Terror nicht auch noch die Krise - die Rezession - folgen.

Nun scheint diese Hoffnung dahin. Erdrutschartig brachen in den vergangenen Tagen die amerikanischen und deutschen Börsenindizes ein. Eine Woche Handel kosteten den Dow Jones gut 1300 Punkte, den Dax knapp 350 Punkte und die Anleger ein Milliardenvermögen. Doch nicht nur die Spargroschen der Kleinaktionäre schmolzen ab, auch die Aussichten, in Zukunft mit Arbeit neues Geld zu verdienen, schwinden zusehends. Airlines, Flugzeugbauer, Technologiefirmen und tausende kleinerer Zulieferer- und Serviceunternehmen auf der ganzen Welt verkünden in diesen Tagen, dass ihre Umsätze zurückgehen, ihre Gewinne sinken, sie Investitionen zurückstellen und Arbeitsplätze abbauen werden. Allein bei den Unternehmen, die 5000 und mehr Stellen streichen wollen, summiert sich die Zahl der Entlassungen auf eine halbe Million. Und niemand spricht derzeit von Neueinstellungen. Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Anschläge in den USA, gab schließlich am Donnerstag - zwölf Tage nach der Katastrophe - der US-Notenbanker Alan Greenspan zu, "könnten schlimmer sein als erwartet".

Doch was bedeutet schlimm? Wird das Wachstumstief, in dem sich Amerika, Japan und Europa ohnehin seit Monaten befinden, ein oder zwei Quartale länger dauern? Werden staatliche Investitionsprogramme neues Geld in die Unternehmen spülen und bald auch die Börsen wieder zu Plätzen werden, an denen wir für die Rente sparen können? Oder droht uns gar eine lange globale Rezession, die in den kommenden Monaten von Chicago über Hongkong bis Stuttgart tausende Unternehmen und abertausende Arbeitskräfte wie ein Hurrikan wegfegen wird?

Weil derzeit niemand den Mut (und auch nicht die Daten) für verlässliche Prognosen hat, suchen die Ökonomen Orientierung in der Vergangenheit. Ob im Jom-Kippur-Krieg 1973, dem Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan 1979 oder dem Golf-Krieg 1990/91: Immer befand sich die Konjunktur gerade in einer Abschwungphase, immer stiegen mit den Konflikten die Öl- und damit die Energie- und Verbraucherpreise sprunghaft an. Und immer reagierten die Menschen vor allem in Amerika mit Kaufzurückhaltung, was zumindest die amerikanische Wirtschaft tiefer in die Krise trieb. "Die Parallelen früherer Krisen mit dem Anschlag vom 11. September", sagt der Berliner Ökonom Heinrich Engelke von der Bankgesellschaft, "sind nicht von der Hand zu weisen". Klar, keine Krise gleicht der anderen. Allein die Tatsache, dass das Zinsniveau vor dem Golfkrieg hoch und jetzt sehr niedrig ist, verbietet es, die vergangenen Krisen als Blaupausen für die konjunkturelle Entwicklung der kommenden Monate zu nutzen. Dennoch sagen die Szenarien eine Menge darüber aus, wie sich Produzenten, Preise und Verbraucher in solchen Extremsituationen verhalten.

Zum Beispiel die Ölerzeuger: Der Preis für das schwarze Gold, das wissen die Förderer auf der ganzen Welt, wird für die Entwicklung der Weltwirtschaft in den kommenden Monaten entscheidend sein. "Mit steigendem Ölpreis sinkt die Hoffnung" auf eine rasche Konjunkturerholung, sagt Klaus-Jürgen Gern vom Kieler Institut für Weltwirtschaft. Noch sieht es so aus, als ob die Organisation erdölexpoertierender Länder Opec willens ist, die Preise stabil bei rund 25 Dollar pro Barrel zu halten. Noch trösten sich Produzenten und Verbraucher damit, dass Afghanistan weder eigene Ölförderung noch Transportwege hat und deshalb die Förderquoten bei einem militärischen Schlag in Kabul nicht betroffen wären.

Doch auch der Einmarsch der sowjetischen Truppen trieb den Ölpreis Ende der Siebziger hoch und der Einfluss der Opec auf das Verhalten ihrer Mitglieder im Nahen Osten im Golfkrieg war so begrenzt, dass die Preise explodierten. Schon warnen deshalb amerikanische Wissenschaftler wie Edward E. Leamers von der University of California davor, dass "Militäraktionen im Mittleren Osten einen neuen Ölschock auslösen werden". Und wie unzuverlässlich die Beteuerungen der Opec sind, zeigt derzeit die Entwicklung der Transportkosten: Kostete ein Charter-Schiff für Öl aus der Golf-Region etwa nach Japan Mitte August noch weniger als 20 000 Dollar, liegt der Preis jetzt schon bei 42 000 Dollar. Man muss kein Hellseher sein, um zu erkennen, welchen Preis die Reeder verlangen werden, wenn erst Granaten im Orient niedergehen.

Genau so entscheidend wie der Ölpreis ist auch das Vertrauen der amerikanischen Konsumenten für den weiteren Verlauf der Weltkonjunktur. Weil die Bürger der Vereinigten Staaten mit ihren Geldbörsen an den Supermarktkassen einen großen Teil des gesamten USA-Inlandsproduktes kontrollieren und damit auch gewaltigen Einfluss auf die Produktion in Europa und Asien haben, warten die Ökonomen gespannt auf die Werte der nächsten Umfrage zum Vertrauen der Verbraucher, die in acht Tagen veröffentlicht und ein erstes Stimmungsbild nach dem 11. September bieten wird.

Der Blick zurück lässt eine weitere Hiobsbotschaft vermuten. Politisch brisante Situationen, das zeigten die vergangenen Krisen, legten sich immer auf die Gemüter der Menschen und verhinderten die Konsumlust. Das war in den Siebzigern so und auch in den neunziger Jahren. Nun, warnt Engelke von der Bankgesellschaft Berlin, sei die ohnehin geringe Ausgabelust der Amerikaner noch zusätzlich dadurch beeinflusst, dass die USA unmittelbar betroffen sind und die Verbraucher neben der Angst vor dem Arbeitsplatzverlust und den Verlusten an den Börsen weitere Terroranschläge vor ihrer Haustür befürchten müssten. Wer will da noch in ein neues Auto, in Partykleidung oder eine Weltreise investieren - selbst, wenn Patriotismus nun zur ersten US-Bürgerpflicht geworden ist. Fluggesellschaften und Reiseanbieter in Amerika und Europa haben ihre Pläne bereits drastisch zusammengestrichen. Sie ahnen das Ausmaß des Geschäftsrückgangs.

Nun folgen auch die Produzenten in Europa: Die Ford-Werke in Köln gaben am Freitag bekannt, dass rund 1000 Beschäftigte in der Motorenfertigung ab Oktober verkürzt arbeiten müssen. Der Grund: Das Werk liefert ausschließlich V6-Motoren in die Vereinigten Staaten und leidet unter der aktuellen Wirtschafts- und Absatzlage in den USA. Betroffen von den Terroranschlägen in den Vereinigten Staaten sind damit mehr als die Hälfte der 1850 Mitarbeiter.

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