zum Hauptinhalt

Weltwirtschaftstreffen: Davos die schönsten Gipfel hat

Warum wurde ausgerechnet dieser Ort: mondän, teuer, berühmt? Es fing mit Wein und Tuberkulose an. Ab Mittwoch treffen sich hier die einflussreichsten Menschen der Welt.

Wenn die Welt untergeht, wirtschaftlich, wenn der Euro zerbricht und die Inflation kommt, dann ist Davos in der Schweiz wahrscheinlich einer der Orte, an denen man nicht viel davon bemerkt. Denn Davos ist finanziell extrem breit aufgestellt. Das hängt mit den Deutschen zusammen und mit den Zufällen.

Davos war ein Bauerndorf in den Alpen, eine Zeit lang wurde dort Erz abgebaut. Als der Asylant Alexander Spengler dort ankam, waren die Gruben aber schon lange erschöpft. Spengler gehörte zu den Revolutionären von 1848, ein Lehrersohn aus Mannheim, der es im badischen Freiheitskampf vom Jurastudenten zum Leutnant brachte. Dann war der Krieg verloren, und er floh vor dem Gefängnis in die Schweiz.

Spengler studierte ein zweites Mal, Medizin, in Zürich, und fand 1853 eine Arztstelle, zufällig in diesem verarmten Dorf. Er besuchte die weit verstreut lebenden Patienten zu Pferd, seinen badischen Dialekt verstand man hier nur schwer. In einem Porträt heißt es: „Ihm fehlte die anregende Atmosphäre von Mannheim.“ Er muss sich sehr gelangweilt haben.

In seiner Not begann Alexander Spengler, über die Tuberkulose nachzudenken

In dieser Not begann er, über die Krankheit Tuberkulose nachzudenken. Er versuchte, die Tuberkulose mithilfe von großen Mengen Veltlinerwein zu heilen. Die Patienten fühlten sich besser, sie sangen und feierten, aber nach einer gewissen Weile starben sie trotzdem. Die Versuche mit Höhenluft schienen ermutigender. Reizklima! 1865 kamen die ersten Kranken, es waren genau zwei, Spengler eröffnete eine Kurklinik, andere Kliniken folgten, bald zählte man in Davos 600 000 Übernachtungen pro Saison.

Die Therapien variierten stark, die einen, wie Spengler, setzten auf Bewegung und kalte Duschen, Spengler war eben sportlich und lief vermutlich auch als Erster Ski in Davos. Andere ließen die Kranken ruhen und packten sie in Liegestühlen warm ein. Im Grunde war das einerlei, denn die Tuberkulose wurde von einem Bazillus übertragen, den Robert Koch im Jahr 1882 entdeckt hat, und dem Bazillus ist es egal, ob der Kranke steht oder liegt. Die Kuren waren, streng genommen, sinnlos.

Nach der Entdeckung des Bazillus brachen die Davoser Übernachtungszahlen ein, aber nur kurz, denn das Reizklima war ja kein völliges Hirngespinst, bei anderen Krankheiten half es tatsächlich, zum Beispiel bei Allergien oder bei Neurodermitis. Außerdem war Davos inzwischen attraktiv geworden, Wanderwege, Eisbahnen, gute Ärzte, gute Luft, gute Hotels, eine Kombination, die vor allem Engländer und Künstler aller Art anzog, auch solche, die nicht hautkrank waren. Das war, nach den Kliniken, der zweite Pluspunkt: Davos wurde die Kulturhochburg der Alpen.

Mindestens drei große Werke der europäischen Literatur sind in Davos entstanden, oder wurden dort vollendet, „Das Amulett“ von Conrad Ferdinand Meyer, „Die Schatzinsel“ von Robert Louis Stevenson und, wohl am bedeutendsten, Thomas Manns „Zauberberg“. Manns Ehefrau Katia machte 1912 zufällig eine Kur in Davos. Das Hotel, es heißt „Bellevue“, steht immer noch, leider in modernisierter Version. Thomas besuchte sie für zwei Monate und hatte dort die Idee zu seinem Roman, dabei bediente er sich bei Katias Erzählungen.

Die Davoser fühlten sich, wie so viele Vorbilder wahrhaftiger Kunst, verunglimpft. Thomas Mann konnte sich in Davos nie wieder blicken lassen. Erst vor ein paar Jahren hat man dort eine Straße nach ihm benannt, aber nur eine kleine.

Der Deutsche Klaus Schwab kam auf die Idee mit dem Treffen der Wirtschaftsgrößen

Der dritte Deutsche, der zufällig Davos zum Schicksal wurde, heißt Klaus Schwab.

Schwab, geboren in Ravensburg, war zunächst ein sehr junger Professor an der Universität Genf. Er stammt aus einer Unternehmerfamilie, und als auf dem Campus von Berkeley, Kalifornien, die große Zeit der Teach-Ins und der Beziehungsdiskussionen war, Mitte der Sechziger, ist Schwab dort Student gewesen. Womöglich kam daher die Idee, die wichtigsten Wirtschaftsführer der Welt zu einer alljährlichen Konferenz zu versammeln.

Reden ist immer gut, oder? So eine Konferenz gab es noch nicht.

Als er sich noch in der Nachdenkphase befand, ging Schwab in Davos ins Schwimmbad. Neben dem Bad wurde gerade ein neues Kongresszentrum gebaut. Schwab wurde mit einem Mal klar, dass Davos der richtige Ort war für seine Konferenz. Gute Infrastruktur. Viele Hotels, ein attraktives Freizeitangebot. Denn inzwischen war Davos, außer einem Kurort, ja auch ein Wintersportzentrum. Seit 1971 gibt es also alljährlich das Weltwirtschaftsforum, immer noch geleitet von Klaus Schwab, der seinen Job an der Uni bald aufgab, um sich ganz seiner Konferenz zu widmen. Der Rechtsform nach ist sie eine Stiftung, ihr offizielles Ziel lautet, die Welt zu verbessern.

So etwas ist im Einzelfall leider schwer nachzuweisen. Schwab ist heute über siebzig und will, wie er sagt, mit der Verbesserung weitermachen, solange er es körperlich schafft, pro Jahr mindestens einen Viertausender zu besteigen, und es geistig schafft, sich mindestens tausend Namen von Konferenzteilnehmern zu merken.

Das Konzept funktioniert wohl deshalb so gut, weil es an die menschliche Grundeigenschaft der Eitelkeit anknüpft. Wer eingeladen wird, gehört zur Weltelite. Sich selbst nimmt Schwab zurück, er bleibt lieber im Schatten. Bei der Finanzierung spielen angeblich Unternehmensberatungen eine nicht unwichtige Rolle, hier treffen McKinsey und Co. auf engstem Raum alle potenziellen Großkunden.

Der Weltwirtschaftsgipfel: Party, Bankett, Treffen der Wichtigen und Schönen

Das nächste Weltwirtschaftsforum beginnt am 26. Januar, auch Angela Merkel will kommen. Eingeladen werden 1000 Firmenchefs, deren Unternehmen mindestens eine Milliarde Franken Umsatz machen und die etwas über 60 000 Franken Gebühr zahlen. Dazu kommen immer Spitzenpolitiker, aktiv oder ehemalig, Journalisten, Künstler, darunter Paradiesvögel wie Angelina Jolie, Sharon Stone oder der allgegenwärtige Musiker Bono. Man redet, fährt Ski oder spielt Polo und feiert etwa 100 Parties, ausgerichtet zum Beispiel vom Burda-Verlag oder von Google und gut bewacht. Inoffiziell ist das Forum nämlich auch eine Art Weltkonferenz der Bodyguards und der Chauffeure. Man sagt übrigens nicht „Party“ in Davos, man sagt „Bankett“.

Natürlich wird das Kongresszentrum alle paar Jahre vergrößert und natürlich spielen inzwischen Umweltschutz, Bescheidenheit und Nachhaltigkeit eine große Rolle, das ist ja überall so. Waffen- und Zigarettenhersteller werden nicht eingeladen, Globalisierungskritiker durchaus, wenn auch in überschaubarer Zahl. Die Limousinen dürfen höchstens neun Liter verbrauchen, pro 100 Kilometer, das wird aber nicht streng kontrolliert. Das Motto klingt immer gut, aber nicht sonderlich konkret, etwa so: „Verbessere den Zustand der Welt“ oder „Gemeinsame Normen für die neue Realität“.

Das Forum ist meist auch das Ziel zahlreicher Gegendemonstranten aus der globalisierungskritischen Ecke, obwohl, seit der Begriff modern geworden ist, Schwab nicht müde wird, sich selbst den „ersten Globalisierungskritiker überhaupt“ zu nennen. Zur Fernhaltung der Demonstranten sind tausende Soldaten erforderlich, die irgendwer bezahlen muss. Trotzdem soll die Veranstaltung der Stadt Davos zweistellige Millionengewinne einbringen, und dies, obwohl für die falsch parkenden Staatschefs und Manager an diesen Tagen ausnahmsweise keine Strafzettel ausgeschrieben werden und für die große Abschlussparty aus dem Hallenbad das Wasser herausgelassen werden muss.

Das Bad, in dem Klaus Schwab einst die zündende Idee hatte, ist dann der große Festsaal. Nicht nur die Park-, auch die Kleiderordnung ist tagsüber locker, offene Hemden, Skipullis, Krawattenverbot, abends dann eher Anzug. Damen sind in der Welt der Hochfinanz noch stark in der Minderheit.

Dem Greenpeace-Chef hörten die zwanzig umsatzstärksten Wirtschaftsbosse zu

Als der damalige Greenpeace-Chef Thilo Bode in Davos redete, hörten ihm die zwanzig umsatzstärksten Wirtschaftsbosse der Welt zu, vollzählig, und Bode sagte hinterher, im Vergleich zu Davos sei die UN-Vollversammlung doch nur eine Art Gemeindeparlament. Ob die Gesprächskreise, die man auch im Internet verfolgen kann, jemals etwas am Lauf der Welt geändert haben, gilt unter Kennern trotzdem als fraglich. Es ist, so kann man es vielleicht ausdrücken, die größte Talkshow der Welt.

Anders ist es wohl mit den nichtöffentlichen Treffen. Konkurrierende Konzernchefs können in Davos unauffällig Absprachen treffen und Märkte aufteilen, falls nötig sogar unter Mitsprache der betroffenen Staatschefs. In Davos haben in schwierigen Phasen Israelis und Palästinenser Kontakte geknüpft, Ostdeutsche und Westdeutsche, Griechen und Türken. Das beim gemeinen Volk bekannteste nichtöffentliche Treffen fand allerdings 2005 an einer Hotelbar statt, zwischen Bill Clinton und Angelina Jolie, die, wie Zeitungen berichteten, kurz nach Herrn Clinton die Bar in Richtung ihres Zimmers verließ, obwohl sie in diesem Haus überhaupt kein Zimmer gebucht hatte.

Davos besitzt also viele Standbeine, es gibt das Weltwirtschaftsforum, andere Kongresse, 350 Kilometer allerbester Skipisten, berühmte wissenschaftliche Institutionen wie das „Eidgenössische Institut für Schnee- und Lawinenforschung“, zahlreiche Seniorenresidenzen und sogar noch ein paar Kurkliniken. Damit man sich eine Vorstellung machen kann: In den Berliner Hotels werden jährlich rund 20 Millionen Übernachtungen gezählt, in Davos immerhin rund 2,5 Millionen, und billig sind sie selten.

Das Dorf ist zu einer 11 000-Seelen- Stadt geworden, von der nur wenige Besucher behaupten, sie sei schön. Es wuchert, mit viel Beton, in alle Himmelsrichtungen, und ähnelt wohl eher der Stadt Bochum als der Stadt Venedig. Das meistverwendete Adjektiv bei der Beschreibung von Davos lautet „urban“. Lange bevor das Bauhaus ein Begriff wurde, hat man in Davos fast nur noch Flachdächer gebaut, keine spitzen Giebel, damit nicht Schneebretter von den Dächern rutschen und die Kurgäste niederstrecken.

Die Deutschen stellen traditionell einen hohen Bevölkerungsanteil, und noch einen vierten Davoser Deutschen kennt man bestens aus Filmen und Büchern, unter anderem von Günter Grass. Es ist der Chef der Schweizer NSDAP-Auslandsorganisation, ein Bankangestellter aus Schwerin, der wegen seiner Lungenkrankheit in die Berge gezogen war. 1936 wurde er in seiner Wohnung am Davoser Kurpark von dem Studenten David Frankfurter erschossen. Frankfurter saß deswegen bis 1945 in einem Schweizer Gefängnis. Nach dem Erschossenen wurde ein Schiff benannt, dieses Schiff sank kurz vor Kriegsende, Torpedoangriff, und riss Tausende in den Tod.

Er hieß Wilhelm Gustloff.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false