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Gute Arbeit, sichere Rente und Umverteilung – das Programm der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi bringt Frank Bsirske auf diese drei Begriffe. Ganz langsam stabilisiert sich im Übrigen die Mitgliederzahl der zweitgrößten deutschen Gewerkschaft. Foto: dpa

© picture alliance / dpa

Wirtschaft: Weniger Beinfreiheit

Wie Verdi-Chef Frank Bsirske Einfluss auf die Politik im kommenden Wahljahr nehmen will.

Berlin - Eigentlich kommt Frank Bsirske selten in die Versuchung, Peer Steinbrück zu zitieren. Den früheren Bundesfinanzminister bringt der Verdi-Vorsitzende schließlich in Verbindung mit Deregulierung der Finanzmärkte und geringen Steuersätzen für Kapitalbesitzer. Doch als es um die Rolle und das Ziel der Gewerkschaften im Wahljahr 2013 geht, greift Bsirske, Mitglied der Grünen, auf ein Bild des Sozialdemokraten Steinbrück zurück: „Wir wollen Druck auf die Parteien machen und den Spielraum für Beinfreiheiten aller Art etwas einengen“, kündigte er am Donnerstagabend in Berlin an. Dabei wünscht sich der Chef der mit gut zwei Millionen Mitgliedern zweitgrößten Gewerkschaft (nach der IG Metall) durchaus mehr Spielraum für die Politik, zumal die Sozialpolitik. Bsirske plädiert für eine einmalige Vermögensabgabe, die 300 Milliarden Euro bringen könnte, und eine dauerhafte Vermögensteuer, deren Aufkommen er mit jährlich 20 Milliarden Euro veranschlagt. Mit dem Geld will der Gewerkschafter „den Sozialstaat handlungsfähig machen“.

Die politischen Schwerpunke seiner Organisation setzte Bsirske unter drei Überschriften: „Gute Arbeit“, „Sichere Rente“ und „Umverteilen“. Diese Punkte betreffen vor allem die deutsche Politik. Doch seit langem regt sich Bsirske vor allem über den Umgang mit der europäischen Finanzkrise auf. „Die Finanzmarktkrise wird zu einer Staatsschuldenkrise umgedeutet“, und das daraus folgende Spardiktat führe zu einer „dramatischen Verschiebung des Kräfteverhältnisses zulasten der Arbeitnehmer“. Beispiele dafür seien das Auslaufen von Tarifverträgen in Griechenland auf Druck der Troika, in Italien die Dezentralisierung der Lohnfindung und in Portugal das Verbot von Tarifverträgen durch den Gesetzgeber.

In Deutschland dagegen tut sich was im Sinne des Verdi-Chefs. „Ich bin ganz optimistisch, dass wir nach der Wahl einen gesetzlichen Mindestlohn kriegen werden.“ Seit Jahren wirbt Bsirske für mindestens 8,50 Euro in der Stunde. Da, wo die Gewerkschaft hinreichend Mitglieder hat, versucht sie diese Untergrenze selbst durchzusetzen. Zum Beispiel beim Callcenter der Sparkassen in Halle, wo im Schnitt 7,38 Euro gezahlt würden. Inzwischen haben die Beschäftigten dort mehr als 100 Tage gestreikt. „Die Arbeitgeberseite versucht mit großer Zähigkeit, die Armutslöhne zu verteidigen“, erklärte der Verdi-Chef die Langwierigkeit der Auseinandersetzung. Die gibt es allerdings auch andernorts. Seit dem Sommer befinden sich die Verdi-Mitglieder des größten Krankenhauses auf Sylt im Arbeitskampf, um gegen den Klinikbetreiber Helios einen Tarifvertrag durchzusetzen. Ende offen.

Die größten Tarifkonflikte des Jahres 2012 sind dagegen ausgestanden, Bsirske sprach von einem „recht erfolgreichen Jahr“ mit Abschlüssen von 3,5 Prozent bei Bund und Kommunen, vier Prozent bei der Post und 2,3 Prozent bei der Telekom. Alles in allem habe die Gewerkschaft für die diversen Tarifauseinandersetzungen rund 30 Millionen Euro ausgeben müssen. Das könne sich seine Gewerkschaft locker leisten, meinte Bsirske. Tatsächlich nimmt Verdi in diesem Jahr voraussichtlich 422 Millionen Euro ein – sieben Millionen mehr als erwartet. Und trotzdem reicht das Geld nicht, um die Kosten der Gewerkschaft mit ihren knapp 3400 hauptamtlichen Mitarbeitern zu decken. Dazu muss der Vorstand wieder einmal ans Vermögen ran, das seit der Gründung der Gewerkschaft vor mehr als zehn Jahren immer kleiner geworden ist und inzwischen deutlich unter einer Milliarde Euro liegen dürfte. Die prekäre Finanzlage ist eine Folge des Mitgliederschwunds. Nun wird 2012 das bislang beste Jahr für die Dienstleistungsgewerkschaft, wie der Vorsitzende betonte: Bei den Erwerbstätigen gab es bis einschließlich September ein Plus von 25000 und bei jungen Leuten (bis 27 Jahre) von gut 24 000. Doch alles in allem, also inklusive Arbeitslose, Rentner und Todesfälle, bleibt unterm Strich noch ein Minus von 7000. Die Gewerkschaft schrumpft also weiter und nähert sich der Zwei-Millionen-Marke. Um den Trend endgültig zu stoppen, hat Bsirske nun die „Perspektive 2015“ ausgerufen: Mit Regionkonferenzen, Kampagnen und einer Organisationsreform soll Verdi attraktiver werden.

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