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Die Zahl der Verkehrsunfälle ist über die Jahre nahezu konstant geblieben. Dass die Zahl der Toten zurückgeht, liegt auch an verbesserter Sicherheitstechnik.

© dapd

Verkehrspolitik: Weniger Tote durch mehr Verbote

Alle Technik hilft nicht, wenn der Fahrer Fehler macht. 90 Prozent aller Unfälle sind auf menschliches Versagen zurückzuführen. Die Zahl der Verkehrsopfer ließe sich halbieren. Doch die Politik scheut Tempolimits und schärfere Strafen.

Berlin - Nach der Spätschicht wollten sie nur noch nach Hause. Die drei Männer, 37, 50 und 53, stiegen in ihren Audi und fuhren los, in die Dunkelheit. In der Europakurve zwischen Immendingen und Tuttlingen endete die Heimfahrt. Ein Kollege von derselben Schicht hatte die drei zu überholen versucht, trotz durchgezogener Linie und Verbotsschild. Mit dem entgegenkommenden Lastwagen hatte er nicht gerechnet. Von den Autos blieben nach dem Zusammenprall nur Metallklumpen. Die drei Männer im Audi starben, der vierte, der sie zu überholen versucht hatte, überlebte schwer verletzt.

Ein tragischer Unfall, doch es gibt Trost von der Statistik: Mit nicht einmal 4000 Verkehrsopfern rechnet Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) in diesem Jahr – das wäre ein Niedrigrekord seit Gründung der Republik. 1970 waren es fast fünfmal so viele, obwohl die Zahl der Autos um zwei Drittel geringer war als heute. Ramsauers Beratern reicht das nicht. Mit zum Teil drastischen Maßnahmen wollen sie die Zahl der Opfer bis 2020 halbieren. Die 17 Professoren seines wissenschaftlichen Beirats sehen „erhebliche Mängel“ bei der Verkehrssicherheit – und haben dem Minister in einem neuen Gutachten allerlei Unpopuläres aufgeschrieben.

Zum Beispiel jede Menge Verbote. Die Promillegrenze für Alkohol am Steuer soll von heute 0,5 auf 0,0 sinken. Das Telefonieren während der Fahrt, auch mit einer Freisprecheinrichtung, halten die Experten für sehr gefährlich – wegen des „kognitiven Ablenkungspotenzials“, schließlich seien Gespräche keine motorische Tätigkeit. Raser soll die Polizei schärfer überwachen und ihnen schon bei geringeren Regelverletzungen Punkte in Flensburg verschreiben, Richter rascher Urteile fällen. „Punkte wirken offenbar abschreckender als Bußgeld für überhöhte Geschwindigkeit – das zudem bei uns viel niedriger ist als im Ausland“, sagt Bernhard Schlag, Verkehrspsychologe an der Universität Dresden und einer der Autoren der Studie.

Überhaupt soll nicht mehr so schnell gefahren werden: Für Autobahnen schwebt den Verkehrsforschern ein Tempolimit von 130 Stundenkilometern vor. Spurwechsel, Überholen und Einfädeln würden so gefahrloser. Innerorts soll zudem Tempo 30 zur Regel werden – mit dieser Idee zieht auch Grünen-Spitzenkandidatin Renate Künast in den Berliner Wahlkampf. Dass Raserei Unfälle verursacht, „hat fast in allen entwickelten Ländern zu deutlicheren Geschwindigkeitsbegrenzungen als in Deutschland geführt“, stellen die Professoren fest. Sie zitiert eine Studie aus London, wo die Einführung von Tempo-30-Zonen die Zahl der Verkehrsopfer um 42 Prozent reduziert hat.

Minister Ramsauer ließ sogleich wissen, er wolle „Mobilität ermöglichen statt zu verhindern“. Und der ADAC assistierte, auf 98 Prozent der deutschen Straßen gebe es bereits Geschwindigkeitsbeschränkungen – sie auch auf den Rest auszudehnen, bringe nichts.

Zwar ist die Crash-Häufigkeit mit zwei Milliarden Fällen pro Jahr in der vergangenen Dekade in etwa konstant geblieben. Dass es dennoch weniger Verletzte gibt, liegt an der Sicherheitstechnik. Unfälle, die noch vor zehn Jahren zu schweren Verletzungen geführt hätten, hinterlassen heute oft nur Schrammen. Trotzdem verursachen Unfälle pro Jahr 30 Milliarden Euro an volkswirtschaftlichen Kosten – durch Arbeitsausfall, Versicherungsschäden oder Gesundheitsausgaben.

Aber die Ingenieure der Autoindustrie schlafen nicht. Sie haben Kleincomputer entwickelt, die die Fahrweise des Besitzers exakt nachhalten – Tempo, gefahrene Strecke, genutzte Straßenart, Tageszeit. Diese Informationen könnten Versicherer nutzen, um für jeden Autofahrer eine maßgeschneiderte Prämie zu berechnen, die sich nicht nur an Beruf, Alter oder Wohnort orientiert, schlagen Ramsauers Forscher vor. Die Idee dahinter: Wirtschaftliche Anreize zügeln Raser eher als Verbotsschilder. Zudem könnten Käufer, die sich für Sicherheitsextras wie Parkassistenten oder ABS bei Motorrädern entscheiden, einen Rabatt bei der Versicherung bekommen. Eine andere Innovation ist die Kommunikation von Auto zu Auto. Legt ein Wagen eine Vollbremsung hin, bekommen dies nachfolgende signalisiert – oder werden gleich automatisch gebremst.

Doch alle Technik hilft nicht, wenn der Fahrer Fehler macht. 90 Prozent aller Unfälle sind auf menschliches Versagen zurückzuführen. Autofahrer über 70, die mehr als fünf Punkte in Flensburg gesammelt haben, müssten regelmäßig ihre Fahreignung testen lassen, schlagen die Berater vor. Mit einem speziellen Katalog von Ordnungswidrigkeiten wollen sie „alterstypische, gefährliche Verhaltensweisen“ frühzeitig erkennen und entsprechend intervenieren. Für Senioren soll es zudem Anreize geben, ihre Fahrtauglichkeit testen zu lassen. Generell müsse, auch für Jüngere, untersucht werden, „ob eine zeitlich befristete Erteilung der Fahrerlaubnis und regelmäßige Überprüfung der Fahreignung … einen Beitrag zur Erhöhung der Verkehrssicherheit leisten können“.

Am wirksamsten wäre es jedoch, die Autofahrer vor dem Tod am Baum zu schützen. „Ein Viertel der Verkehrsopfer gehen auf das Konto von Allee-Unfällen“, sagt Klaus Brandenstein, Unfallexperte beim Versicherungsverband GDV. Für „völlig idiotisch“ hält er es, neue Alleen anzulegen. „Wer darauf verzichtet, außerdem jeden Baum mit einer Leitplanke schützt und auf Alleen konsequent Tempo 80 einführt, hat schon viel gewonnen“, urteilt er. „Damit rettet man mehr Leben als mit jedem neuen High-Tech-Assistenzsystem.“

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