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Wirtschaft: Weniger wäre besser Allein in Deutschland gibt es fast 500 Siegel und Gütezeichen. Nun gibt es Versuche, Ordnung in das Chaos zu bringen

Es gibt schon wieder ein neues: Das Gütesiegel „Seniorengerecht“, denn „Einkaufen im Supermarkt muss dringend seniorenfreundlicher werden“. Der Supermarkt, der sich in Zukunft mit diesem Siegel schmücken darf, bietet „Orientierung und Sicherheit für Kunden 60plus“, also unter anderem ausreichende Sitzmöglichkeiten zum Ausruhen oder gut lesbare Preisschilder.

Es gibt schon wieder ein neues: Das Gütesiegel „Seniorengerecht“, denn „Einkaufen im Supermarkt muss dringend seniorenfreundlicher werden“. Der Supermarkt, der sich in Zukunft mit diesem Siegel schmücken darf, bietet „Orientierung und Sicherheit für Kunden 60plus“, also unter anderem ausreichende Sitzmöglichkeiten zum Ausruhen oder gut lesbare Preisschilder. Erfinder vom Seniorensiegel ist eine PR-Agentur. Die gibt zu: „Das neue Siegel muss sich noch am Markt und in der Zielgruppe etablieren.“

Und das ist auch schon der Kern des Problems. Denn einen Mangel an Siegeln gibt es in Deutschland wahrlich nicht: Ob Lebensmittel, Stromtarife oder Dienstleistungen, es gibt unzählige Siegel, die um die Aufmerksamkeit und vor allem das Vertrauen der Verbraucher buhlen.

Doch mit ihrer wachsenden Anzahl geht der ursprüngliche Sinn der Siegel verloren: Eigentlich sollen sie Orientierung bieten in einer unübersichtlichen Menge an Produkten. Doch mittlerweile gibt es so viele von ihnen, dass sie kaum noch etwas aussagen und vielmehr selbst Verwirrung stiften.

Um die Aussagekraft eines Siegels beurteilen zu können, sollte der Verbraucher bei jedem einzelnen wissen: Wer gibt es heraus? Was sind seine Kriterien? Nur so kann er entscheiden: Vertraue ich diesem Siegel oder nicht?

Jeder Hersteller kann sich ein eigenes Siegel ausdenken. Die Seite label-online.de listet mittlerweile mehr als 450 verschiedene von ihnen auf, darunter Gütezeichen, Prüfzeichen, Regionalzeichen, Umweltzeichen oder Test-Label. „Warum sollten Unternehmen auch keine eigenen Label auf den Markt bringen dürfen?“, fragt Kai Falk vom Handelsverband HDE.

Und rein rechtlich gesehen ist das durchaus richtig. Solange die Vorgaben der Kennzeichnungsverordnung eingehalten werden, können Hersteller fast alles auf ihre Packungen drucken, auch eigens erfundene Siegel. „Dabei suggerieren sie eigentlich eine unabhängige Bewertung, irgendeine übergeordnete Institution“, sagt Clara Meynen, Ernährungsexpertin vom Bundesverband der Verbraucherzentralen. Und die Unternehmen sind sehr kreativ, vor allem mit immer neuen Nachhaltigkeits-Labels auf ihren Produkten. „Die sind gerade in Mode“, meint Meynen.

Die Seite label-online.de versucht, etwas Orientierung zu bieten. Sie bewertet alle Siegel, die sie auflistet. Hinter der Seite steht die Verbraucher-Initiative e. V. Deren Kriterien sind Anspruch, Unabhängigkeit, Überprüfbarkeit und Transparenz der Siegel. Nur wenn die Vergabekriterien über das gesetzlich vorgeschriebene Maß hinausgehen, ihre Einhaltung unabhängig kontrolliert wird und auch mit Verstößen offen umgegangen wird, gibt es das Prädikat „empfehlenswert“. Das ist dann so etwas wie ein Gütesiegel für die Siegel.

Einen anderen Weg geht We Green, die „Nachhaltigkeitsampel“ im Internet. We Green versucht, Informationen über die verschiedenen Label zu bündeln und eine Bewertung zur Verfügung zu stellen. Auf der Seite können Verbraucher eine Marke eingeben und bekommen in den Ampelfarben grün, gelb und rot angezeigt, wie nachhaltig das jeweilige Unternehmen handelt. Der Unterschied zu label-online.de: We Green führt selbst keine Bewertungen durch. Stattdessen fasst We Green verschiedene Bewertungen über die Nachhaltigkeit der Marken zusammen, die andere Unternehmen erstellen. Außerdem können auf der Plattform auch die Nutzer selbst Bewertungen abgeben. Mehrere Millionen Produkte, Marken und Branchen sind inzwischen über die „Transparenzsuchmaschine“ abrufbar. Mit der farblichen Einordnung bietet We Green damit so etwas wie eine Bewertung der verschiedenen Bewertungen.

Wirklich zufriedenstellend sind die Lösungen aus Sicht von Verbraucherschützern aber nicht. Der Nachteil beider Ansätze: Sie bündeln die Informationen zwar und bieten eine Einordnung an, ohne jedoch etwas gegen den Wildwuchs bei den Siegeln tun zu können.

Denn wer im Laden vor einem Produkt mit Siegel steht, dem bringen all diese Informationen kaum etwas. Um sich mit ihnen auseinanderzusetzen, braucht der Kunde viel Zeit und es ist aufwendig. So etwas geht kaum nebenbei während des Kaufs.

So sieht das auch Maurice Stanszus, Geschäftsführer von We Green: „Es gibt zu viele Bewertungsansätze, ob für Produkte oder Unternehmen“, sagt er. „Das versteht keiner. Ich wünsche mir, dass es in Zukunft nicht mehr so viele Gütesiegel gibt.“

Was also könnte eine Lösung sein? Verbraucherschützer fordern eine strengere Regulierung der Siegelvergabe. Private Siegel sollten von unabhängiger Seite bewertet werden. Und notfalls solle der Gesetzgeber ein fragwürdiges Siegel auch verbieten können. Außerdem fordern sie ein weiteres Siegel, eine Art Bundessiegel. „Das ist aber nur sinnvoll, wenn es andere Siegel zusammenfasst oder sie ersetzt“, sagt Verbraucherschützerin Meynen. Das staatliche Label wäre dann so etwas wie ein Übersiegel mit klar definierten Kriterien, auf das sich Verbraucher verlassen könnten.

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