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Wirtschaft: „Wenn es um die Freiheit geht, schrecken viele zurück“

Der Chef des Benediktinerordens, Notker Wolf, und die Sozialpolitikerin Ursula Engelen-Kefer streiten über Mut, Wettbewerb und die Globalisierung

Abtprimas Wolf, Sie haben ein Buch über Deutschland und die Deutschen geschrieben. Es heißt „Worauf warten wir?“. Was fehlt uns Deutschen eigentlich?

WOLF: Wenn ich nach Deutschland blicke, dann sehe ich eine Gesellschaft von Ängstlichen und Verzagten, Menschen, die lieber sagen „Das geht nicht“, anstatt einfach auszuprobieren, was geht. Vielleicht ist das Problem, dass uns nichts fehlt – das nimmt uns die Energie, etwas zu unternehmen.

Ist das ein zutreffendes Bild, Frau Engelen-Kefer?

ENGELEN-KEFER: In Teilen sicher, in Teilen finde ich es nicht gerecht: Vielen fehlt nämlich doch etwas Entscheidendes in diesem Land, und das ist der Zugang zu den Chancen auf Bildung und Wohlstand. Auf der anderen Seite wurde den Menschen in diesem Land in den letzten Jahren viel abverlangt. Und es wurde viel geleistet.

WOLF: Wenn es aber um die Freiheit geht, dann schrecken viele eher zurück, als dass sie zupacken und ihre Chancen nutzen. Was sich entscheidend verändert hat in den vergangenen Jahrzehnten, ist die Haltung zur Freiheit. Nach dem Zweiten Weltkrieg, in den ersten Jahren der sozialen Marktwirtschaft in Westdeutschland, haben wir die Freiheit als Befreiung empfunden. Heute wird sie eher als Bedrohung gesehen.

Herr Wolf, Sie sind sehr früh und danach sehr oft nach China gereist: Bedroht China unseren Wohlstand?

WOLF: China ist eine der größten Herausforderungen für Deutschland und Europa. Wenn man die Dynamik dieses Landes erfasst, den Willen der Menschen voranzukommen, dann wundert man sich gelegentlich schon über die Untätigkeit hier. Wenn wir es nicht schaffen, selbst dynamischer, erfinderischer zu werden und härter zu arbeiten, dann droht uns der Abstieg. Das, was zurzeit in China passiert, ist eine faszinierende Freisetzung der Kräfte, die in dem Land stecken.

ENGELEN-KEFER: Zu einem sehr hohen Preis, den die Menschen dort bezahlen müssen, ob sie wollen oder nicht. Es gibt keinerlei Schutz der Menschenrechte, keine Demokratie, keine Pressefreiheit, keine soziale Sicherung, keinen Umweltschutz. Es gibt skandalöse Unterschiede zwischen Stadt und Land. Das muss man auch sagen, wenn man China zum Vorbild machen will.

WOLF: Die Chinesen würden sagen, dass sie ein Problem nach dem anderen angehen. China hat da noch einen langen Weg vor sich. In einem halte ich China aber doch für ein Vorbild: in der Haltung.

Und unsere Haltung?

WOLF: Wir müssen wieder lernen, dass Arbeit etwas Gutes ist, etwas, das Spaß macht und Erfüllung bringt. Mein Orden hat zu Recht den Leitsatz „Ora et labora“, bete und arbeite: Das heißt nichts anderes, als dass Tätigsein für den Menschen genau so bestimmend und prägend sein soll wie das Nachdenken und Innehalten. Faulheit, Resignation und Sichgehenlassen nutzen niemandem – außer denen, die davon profitieren, wenn die Menschen in Unmündigkeit verharren.

Und wer ist das?

WOLF: Es ist der fürsorgliche Staat, der sich immer weiter ausbreitet und den Menschen ihre Mündigkeit nimmt: Er profitiert, wenn sie sich in seine Arme fallen lassen und ihre Freiheit an ihn verkaufen.

ENGELEN-KEFER: Es ist die Aufgabe des Staates, sich um die Schwachen zu kümmern. Das ist der Kern der sozialen Marktwirtschaft, in der wir leben.

Frau Engelen-Kefer, was ist Ihre Antwort, auf die Dynamik der asiatischen Länder?

ENGELEN-KEFER: Es kann keine Antwort Deutschlands geben. Die Globalisierung betrifft alle, und deshalb müssen auch die Antworten auf einer übernationalen Ebene gefunden werden. Für Deutschland würde ich mir wünschen, dass wir aus unseren Chancen mehr machen. Zum Beispiel, indem wir es auch Kindern aus bildungsfernen Familien ermöglichen, einen Schulabschluss und eine Berufsausbildung zu machen oder zu studieren. Da sind wir bisher sehr schlecht.

WOLF: Ich glaube, dass das die Nachwirkungen der 68er Generation sind. Die Studentenrevolte hat sich zu Recht gegen das erstarrte System der sechziger Jahre aufgelehnt – und ein leistungs- und arbeitsunfreundliches Umfeld an dessen Stelle gesetzt, das uns heute behindert. Die Energie hat zur Befreiung gereicht, aber nicht zur Freiheit. Erst in den letzten Jahren ist etwas in Bewegung gekommen.

ENGELEN-KEFER: Das malen Sie mir zu schwarz. Natürlich hat es Entwicklungen gegeben, die nicht gut waren, die wir uns heute nicht mehr leisten können und bei denen wir umsteuern müssen.

Welche?

ENGELEN-KEFER: Ich finde es zum Beispiel richtig, dass Menschen, die arbeiten können, auch arbeiten sollen, und die übergroße Mehrzahl will dies doch auch – wenn man ihnen eine Arbeit zu menschenwürdigen Bedingungen anbietet. Wenn Sie aber mit Bewegung Studiengebühren meinen, dann kann ich nur widersprechen. Wer Studiengebühren einführt, sich auf der anderen Seite scheut, bei nicht selbst verdientem Vermögen Steuern einzubehalten, der trägt nicht zu einer chancengerechten Gesellschaft bei, sondern zum Gegenteil.

WOLF: Da haben Sie recht. Es ist meines Erachtens nicht richtig, dass ererbter Reichtum besser behandelt wird als Wohlstand, der durch eigene Leistung entstanden ist. Und es ist auch nicht richtig, dass sich viele Manager und Geschäftsführer die Taschen vollstopfen, wenn sie nur eben können.

ENGELEN-KEFER: Es ist ein Glück, dass die allermeisten deutschen Unternehmen eigentümergeführte kleine und mittlere Betriebe sind. Da geht es in aller Regel anders zu. Hier gibt es in Deutschland erhebliche Ungerechtigkeiten zwischen internationalen Kapitalgesellschaften und den kleinen Unternehmen. Zum Beispiel bei den Steuern, bei den Sozialversicherungsabgaben oder bei den Subventionen. Hier müssen wir viel mehr für die Förderung kleinerer Betriebe tun. Da sitzen wir doch alle in einem Boot.

WOLF: Als Abtprimas des Benediktinerordens habe ich gelernt, dass Entscheidungen nur dann gut sind und umgesetzt werden, wenn die Betroffenen und die Mitarbeiter daran beteiligt werden. Man darf nicht von oben nach unten regieren. Und man muss auch den Mut und die Zivilcourage haben, Nein zu sagen. Zum Beispiel, wenn ausländische Investoren über ein Unternehmen herfallen wollen.

Finden Sie, dass Finanzinvestoren schlechter sind als Eigentümerunternehmer?

WOLF: Denken Sie nur an AEG, an Grohe.

Es gibt genau so viele Beispiele für das Gegenteil. Denken Sie an Märklin, an Gerresheimer Glas.

WOLF: Ich will nicht pauschal sagen, was der beste Weg für ein einzelnes Unternehmen ist. Wichtig ist die Haltung der Geschäftsführer und der Mitarbeiter. Wer selbst in die Kasse greift, kann von den Mitarbeitern nicht erwarten, dass sie es nicht tun. Eine rein am Gewinn orientierte Unternehmensführung ist unethisch.

Brauchen wir mehr Mitbestimmung?

WOLF: Wir brauchen mehr Mitsprache und mehr Mitverantwortung.

Das Gespräch führten Andreas Schneider und Ursula Weidenfeld. Es fand im Rahmen eines Abends des Tagesspiegels und der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft im Roten Rathaus statt.

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