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Wirtschaft: Wenn Subventionen den Hochofen befeuern

GRÖDITZ . In den Gröditzer Stahlwerken wird Schrott zu Stahl geschmolzen, gegossen, geschmiedet und gewalzt - seit mehr als 200 Jahren.

GRÖDITZ . In den Gröditzer Stahlwerken wird Schrott zu Stahl geschmolzen, gegossen, geschmiedet und gewalzt - seit mehr als 200 Jahren. Staub liegt in der Luft. "Bis 1994 standen vier Rauchsäulen über Gröditz", erzählt Karl-Heinz Nitz, der den Staub schon seit 1962 in seine Lungen atmet. Die vergangenen Jahre bedeuteten den größten Umbruch im Leben des Leiters Werkserhaltung - und aus jedem seiner Sätze ist der Stolz auf das, was sich heute hinter dem alten Gröditzer Gemäuer tut, herauszuhören: In Europa kenne er kein moderneres Walzwerk, sagt er. In der Tat: Die Stahlwerke haben sich seit dem Fall der Mauer zu einer wettbewerbsfähigen Kombination aus Stahlwerk, Gießerei, Schmiede und Walzwerk entwickelt. Das erkennt man schon daran, daß auf dem Gelände kaum noch Menschen zu sehen sind. Die meisten Abläufe werden zentral mit Computern gesteuert. Kaum eine Spur noch von den ehemals 5200 Beschäftigten. Heute bietet das Stahlwerk 725 Beschäftigten einen Job. Wie lange noch? "Wir sind krisenerprobt", sagt Nitz. Die Menschen in diesem Landstrich zwischen Leipzig und Dresden leben von der Hoffnung. Denn die Existenz des in der Region weitaus größten Arbeitgebers steht auf dem Spiel. Die Europäische Kommission hat angekündigt, Subventionen in Höhe von 238,5 Mill. DM vom Stahlwerk zurückzufordern. Am kommenden Donnerstag soll die Entscheidung fallen.Seit vergangenem Herbst gehen die Brüsseler Subventionsfahnder der Frage nach, ob das Unternehmen in den Jahren nach der Wende unzulässige Beihilfen erhalten hat. Gröditz wäre der erste Fall, daß einem von der Treuhand privatisierten Unternehmen aufgrund einer Intervention aus Brüssel die Insolvenz droht: Eine Rückforderung dieser Größenordnung würde das Unternehmen mit einem Jahresumsatz von 165 Mill. DM in die Pleite stoßen. Daß Brüssel ungern Gnade vor Recht ergehen läßt, dafür gibt es Beispiele genug. 1997 etwa forderte die Kommission von VW in Sachsen die Rückzahlung von 90 Mill. DM nicht genehmigter Landesmittel. Und es wird noch zu etlichen Rückzahlungen kommen. In 37 Verfahren versucht die EU derzeit den Verdacht zu erhärten, daß sich von Bund und Ländern gewährte Finanzhilfen nicht mit europäischem Recht vertragen. Auf dem Spiel stehen rund 20 000 Arbeitsplätze. Im Stahlwerk wird die Beschuldigung aus Brüssel zurückgewiesen. "Alles ist ordnungsgemäß gelaufen. Wir sehen keinen Ansatz, daß Mittel oder auch nur Teile von Mitteln formal anders verwendet worden sind", betont Götz-Peter Blumbach, Vorsitzender der Geschäftsführung. Die Subventionen seien "unbedingt nötig" gewesen, um den Standort umzustrukturieren. Doch Brüssel pocht auf die Einhaltung der Bestimmungen, und daß die in Gröditz eingehalten wurden, daran hat Wettbewerbskommissar Karel Van Miert seine Zweifel. Es geht unter anderem um die Frage, ob die Treuhandnachfolgerin BvS korrekt gehandelt hat, als sie noch im Jahr 1996 Beihilfen nach Sachsen fließen ließ. Nach Ansicht der Kommission waren Erhaltungssubventionen zu diesem Zeitpunkt nicht mehr zulässig.Der Fall ist in Bonn zur Chefsache erklärt worden: Ähnlich wie vor Jahren Helmut Kohl bei Eko Stahl hat sich Bundeskanzler Gerhard Schröder in die Gespräche mit der Kommission eingeschaltet. Seit Wochen wird in Bonn und Gröditz intensiv nach einer Lösung für den schlimmsten Fall gesucht - nicht immer zur Freude der Brüsseler. Denn die fühlten sich brüskiert, als laut über die Möglichkeit einer Auffanggesellschaft nachgedacht wurde. So sieht ein Modell vor, das Vermögen der Stahlwerke in eine Holding einzubringen, diese Gesellschaft zur Zweitprivatisierung auszuschreiben und nur das vermögenslose Alt-Unternehmen in die Insolvenz zu schicken, statt die aktiven Gröditzer Stahlwerke mit einem solchen Verfahren zu belasten. Wenn eine Lösung gefunden wird, könnten die Stahlwerke - die der erste Investor aufgrund der Schwierigkeiten an die Treuhandnachfolgerin BvS zurückgegeben hat - ein zweites Mal privatisiert werden: Die Georgsmarienhütte steht bereit.

SILKE KERSTING (HB)

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