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Goldfischteich.

© ddp

Wirtschaft: Wer ist der Beste?

Aus dem Angebot vielversprechender Nachwuchskräfte wählen Unternehmen per Eignungstest die Besten für höhere Posten aus. Warum sich die Teilnahme lohnt.

Die über 200 Fragen hatten es in sich. Eine lautete: „Würden Sie für ein geringeres Gehalt in ein Entwicklungsland gehen, auf Familie und Freunde verzichten, um dafür später – Erfolg vorausgesetzt – zu Hause einen Karrieresprung machen zu können?“ Bernd Leukert, hochrangiger SAP-Manager und verantwortlich für die Entwicklungsstrategie vieler Softwareanwendungen, war unschlüssig, ob sein international expandierender Arbeitgeber seine Antwort nicht gegen ihn auslegen würde. Dennoch kreuzte er im Computerfragebogen „nein“ an.

Der IT-Manager, der Privat- und Berufsleben voneinander trennt, keine Urlaubsbilder via Facebook veröffentlicht und das Wochenende möglichst für die Familie freihält, blieb auch bei den weiteren aus seiner Sicht haarigen Fragen bei der Wahrheit. „Vor dem Onlineselbsttest und dem fast zweistündigen Gespräch mit dem Personalpsychologen hatte ich schon ein mulmiges Gefühl“, sagt der 44-Jährige.

Umso angenehmer überrascht war Leukert, als er die Auswertung seines Eignungstests erhielt: „Ich wurde als ehrlich und verlässlich eingeschätzt und nicht als Opportunist, der sagt, was andere hören wollen.“

Das wiederum bescherte dem Wirtschaftsingenieur, der seit knapp 18 Jahren bei SAP arbeitet, ein Gespräch mit seinem Vorgesetzten, SAP-Chef Jim Hagemann Snabe. Es ging um Leukerts Stärken und Schwächen im Vergleich zu internationalen Kollegen, seine weitere Persönlichkeitsentwicklung und neue Chancen im Konzern. „Ich bin gestärkt aus dem Eignungstest hervorgegangen. Feedback ist nötig, um sich zu verbessern. Meist fehlt genau das aber auf den höheren Führungsetagen“, sagt Leukert. Inzwischen ist der Manager in den erweiterten SAP-Vorstand aufgerückt. Ein Coach wird Leukert dabei unterstützen, seine 2300 Mitarbeiter noch besser zu motivieren.

Bernd Leukert ist kein Einzelfall. Der SAP-Vorstand hat 2011 den nachträglichen Eignungstest für rund 90 Spitzenmanager angeordnet. 2012 soll das Programm auf die weiteren Führungskräfte ausgeweitet werden. Denn die Ziele des deutschen Softwareunternehmens sind ehrgeizig: Bis 2015 soll der Umsatz 20 Milliarden Euro erreichen. „Um so stark zu wachsen, müssen unsere Hauptführungskräfte mehr Motivationskraft entwickeln, damit Mitarbeiter neue Ideen und Produkte schneller vorantreiben und sich die Veränderungsbereitschaft erhöht“, sagt Roger Bellis. Er leitet seit Anfang des Jahres die globale Personalentwicklung. Wo sich Schulungsbedarf offenbart, spendiert er Coachings oder Kurse.

Immer mehr Personalmanager wie Bellis unterziehen interne und externe Kandidaten für Führungspositionen Eignungstests. Um die zur Unternehmensstrategie passenden Manager zu finden, verfahren sie nach dem Motto: „Fragen, beobachten, diagnostizieren“ und checken Kandidaten im sogenannten Assessment-Center (AC) besonders intensiv: Von Computern lassen sie intellektuelle Fähigkeiten wie Intelligenz und abstrakt-analytisches Denken überprüfen. Live dagegen beobachten Personalprofis das persönliche Verhalten der Kandidaten, etwa wie sie sich in simulierten Stress- oder Konfliktsituationen des Berufsalltags benehmen oder wie sie in Gruppendiskussionen argumentieren.

„Mit diesen Analysen, die Potenzial und Verhalten erfassen und vergleichbar machen, wollen Personalmanager ihren Eindruck von Kandidaten aus Unterlagen und Gesprächen untermauern“, sagt Franz-Josef Nuß vom Beratungsunternehmen Odgers Berndtson, der Personalchefs assistiert.

Doch warum verlassen sich Personalverantwortliche nicht auf ihr Empfinden bei der Besetzung von Schlüsselpositionen? Ein Grund dafür ist die Globalisierung. „Die Detailkenntnis über Kandidaten aus aller Welt wird wichtiger, weil Unternehmen es sich nicht leisten können, nach Monaten festzustellen, dass der neue Manager mit seinem internationalen Team überfordert ist oder nicht den richtigen Ton trifft“, sagt Nuß.

Außerdem wird es für deutsche Unternehmen wegen des demografischen Wandels schwieriger, Jobs zu besetzen. Da ist es eine Alternative, Talente aus den eigenen Reihen systematisch zu fördern.

Hatten bislang die einseitig-zielorientierten, kühl-analytischen Manager Vorfahrt, sind inzwischen die weichen Faktoren in Anforderungsprofilen deutlich ausgeprägter als vor einem Jahrzehnt. „Wir erkennen einen steigenden Bedarf an sozialer Kompetenz und Teamfähigkeit“, sagt Stefan Bötzel, Partner der internationalen Personalberatung Heidrick & Struggles. Die neuen Profile betonen außerdem Kommunikationsstärke, Motivationsvermögen, Integrität und Verantwortung sowie Ausgeglichenheit. Unternehmerisches Gespür und Wirtschaftswissen runden das Bild ab.

Immer öfter wollen Personaler zudem genau wissen, wie es um die interkulturellen Kompetenzen eines AC-Teilnehmers steht – wichtig wegen der zunehmenden Arbeit in Teams mit Menschen unterschiedlichster Herkunft, Alters, Geschlechts und Religion. IBM etwa erwartet von seinen Führungskräften besonders viel Toleranz, Aufgeschlossenheit und Integrationswillen. Veränderungsfähigkeit wird ohnehin vorausgesetzt bei Managern wie Christian Noll, frischgebackener Geschäftsführer der IBM Deutschland. Der Deutsche leitete zunächst in London ein Programmiererteam, erschloss dann von Dubai aus den arabischen und afrikanischen Markt und verantwortet seit diesem Monat das deutsche Dienstleistungsgeschäft. Seit seinem Eintritt 1986 beim US-Computerkonzern, der seit Jahrzehnten Talentmanagement betreibt, gehörte er zum „Goldfischteich“, wie Personaler ihren Pool vielversprechender Nachwuchskräfte nennen.

Das Besondere am IBM-Modell: Kein Mitarbeiter muss fürchten, durch einen Eignungstest zu rasseln. Im sogenannten Developmentcenter geht es darum, die persönlichen Potenziale aufzudecken, um zu entscheiden, ob sich ein Mitarbeiter eher für die Führungslaufbahn oder die gleichrangige Karriere als Experte eignet. „Wir finden mit dem Mitarbeiter raus, in welcher Rolle sich seine persönlichen Stärken optimal im Unternehmen einsetzen lassen und wie seine individuelle Förderung aussehen soll“, sagt der deutsche IBM-Personaldirektor Dieter Scholz. Christian Nolls Wechsel ins Management war programmiert. Doch selbst seinen jetzigen Posten sieht er nicht als Krönung seiner Karriere: „Jedes Jahr kommen im Konzern neue spannende Rollen dazu, von denen man zuvor noch nie gehört hat, da bieten sich weitere Entwicklungsmöglichkeiten auf der ganzen Welt.“ HB

Claudia Obmann

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