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Einer der drei Riesen: Die US-Ratingagentur Fitch.

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Drei Riesen: Wer sind die Ratingagenturen?

Vor der Finanzkrise kannte sie niemand. Dann wurden sie zum Sündenbock. Erst urteilten sie zu lasch und jetzt zu hart. Sie machen einen schwierigen Job.

Jetzt hat sich auch die Kirche eingeschaltet. Der oberste Repräsentant des Benediktinerordens, Abtprimas Notker Wolf, hat die Macht der Ratingagenturen kritisiert. „Es ist erschreckend, dass drei Agenturen über das Schicksal von Volkswirtschaften entscheiden können“, sagte Wolf am vergangenen Freitag. „Die gucken, wo man Geld am besten anlegen kann“, beklagte der Kirchenmann. „Es gibt aber etwas Wichtigeres, das menschliche Leben.“ Vor der Krise hatte außerhalb der Finanzwelt kaum jemand Notiz von den Agenturen genommen. Heute stehen die Namen Moody’s, Fitch und Standard&Poor’s, auch genannt „die großen Drei“, am Pranger. Der Vorwurf: Sie sollen die Misere von Schuldenländern wie Griechenland, Portugal oder Italien verstärkt, wenn nicht sogar mitverursacht haben.

WARUM GIBT ES RATINGAGENTUREN?

Angefangen hat alles mit der Eisenbahn. Im 19. Jahrhundert mussten sich die Eisenbahngesellschaften Geld leihen, um ein Schienennetz quer durch die Vereinigten Staaten zu bauen. Weil die Investoren in den Städten nicht wussten, wem sie trauen konnten, begannen Leute wie Henry Varnum Poor, die Gesellschaften zu bewerten. Er sammelte Informationen über die Firmen und ihre Manager und veröffentlichte seine Urteile in einem Buch. Mit seiner Hilfe entschieden die Geldgeber, ob sie das Risiko eingehen wollen und welchen Zinssatz sie dafür verlangen. Poors Firma fusionierte später mit Standard Statistics zu Standard&Poor’s. 1909 wurde Moody’s gegründet, Fitch folgte 1913.

Die Agenturen veröffentlichen längst keine Bücher mehr. Stattdessen lassen sie Tausende von Fakten, von Konjunkturdaten bis hin zur Ausbildung des Managements, in ein Modell einfließen, das die Wahrscheinlichkeit berechnet, mit der ein Kredit ausfällt. Ihr Urteil fassen sie in Buchstaben zusammen. A heißt so viel wie: eine sichere Sache, D steht für: Achtung, Totalausfall.

Je komplexer das Finanzsystem wurde, desto vielfältiger wurden auch die Ratings der Agenturen. Heute bewerten sie nicht nur ganze Firmen und Staaten, sondern auch einzelne Anleihen sowie hochkomplizierte Finanzprodukte. Das Notensystem gibt es immer noch, je nach Agentur sieht es unterschiedlich aus. Zwischen den Buchstaben gibt es diverse Abstufungen. Wichtig ist nicht nur die Note, sondern auch der Ausblick: Wenn hinter einem Buchstaben ein Minus steht, heißt das, dass die Agentur das Land oder das Produkt unter Beobachtung gestellt hat und eine Abwertung in der nächsten Zeit für möglich hält.

WESHALB SIND SIE SO MÄCHTIG? Lesen Sie weiter auf Seite 2.

Ihre Macht beziehen die großen Drei vor allem aus dem Vertrauen, das ihnen die Investoren entgegenbringen. Die Urteile, die sie fällen, sind lediglich Meinungen, das betonen sie immer wieder. Diese Meinung kann man teilen – oder auch nicht. Je mehr Ratings eine Agentur erstellt, desto mehr Urteilsvermögen trauen die Anleger ihr zu. Moody’s, Fitch und Standard&Poor’s sind nicht nur die ältesten, sondern auch die größten Anbieter auf dem Markt. Darum hat ihr Wort so viel Gewicht.

Wenn sie die Kreditwürdigkeit eines Landes herabstufen, kann das für die Besitzer von Staatsanleihen ein Signal sein, die Papiere zu verkaufen. Manchmal müssen die Besitzer das sogar – wenn beispielsweise eine Fondsgesellschaft ihren Anlegern versprochen hat, ihr Geld nur in Papiere mit einem A-Rating zu investieren. Versicherungen sind sogar gesetzlich dazu verpflichtet, bestimmte Benotungen nicht zu unterschreiten. Damit ist auch der Staat nicht unschuldig daran, dass der Einfluss der großen Drei so stark gewachsen ist.

Auch die Europäische Zentralbank (EZB) fordert ein gutes Rating an, wenn sie Staatsanleihen als Sicherheiten für Kredite an Banken entgegennimmt. Ein schlechtes Rating ist für die betroffenen Länder also doppelt schlimm: Ihre Banken haben in der Regel vor allem eigene Staatsschulden aufgekauft, die jetzt nicht mehr als Sicherheiten gelten. Sie kommen also nicht mehr so leicht an das Geld der EZB. Die Länder selbst haben große Probleme, wenn sie neue Staatsanleihen auf den Markt bringen: Die Investoren verlangen höhere Risikoaufschläge dafür. Die Zinsen steigen immer weiter, und damit auch die Staatsschulden. Eine Pleite wird also noch wahrscheinlicher als vor der Abstufung. Im schlimmsten Fall droht eine Abwärtsspirale. Allerdings verlassen sich die Investoren nicht nur auf die Ratingagenturen. Große Banken und Versicherungen haben in der Regel auch eigene Analyseabteilungen.

SIND DIE AGENTUREN WIRKLICH UNABHÄNGIG? Lesen Sie weiter auf Seite 3.

In der Finanzkrise hat sich herausgestellt, dass die Agenturen verbriefte Kredite mit Topnoten versehen hatten, die später reihenweise ausfielen. Kritiker machen vor allem das Geschäftsmodell hierfür verantwortlich: Die Agenturen bekommen ihr Geld nämlich von den Unternehmen, deren Produkte sie bewerten. Ein Rating kann mehr als hunderttausend Euro kosten, je nachdem, wie aufwendig der Prozess ist. Viele halten diese Praxis für einen unlösbaren Interessenskonflikt. Einige Agenturen sollen ihre Kunden sogar dabei beraten haben, wie sie die faulen Kredite am besten verpacken, um möglichst gute Bewertungen zu erhalten. Die Agenturen halten dagegen: Dies sei keine Beratung gewesen, man habe lediglich die Kriterien offengelegt, nach denen man bewerte. Ein gutes Urteil könne man bei ihnen nicht kaufen. Staaten bezahlen in der Regel nichts für ihr Rating. Bei den jüngsten Bewertungen für Griechenland, Portugal oder Italien werfen vor allem Politiker den Agenturen vor, ihre Urteile seien zu hart und würden die Sparbemühungen der Länder nicht ausreichend berücksichtigen. Die Agenturen verteidigen sich damit, dass sie ihre Kriterien nicht nach den Wünschen der Politik richten könnten, sondern eine Verantwortung gegenüber ihren Investoren hätten. Kritiker beklagen in diesem Zusammenhang oft, dass die großen Drei ihren Hauptsitz in den USA haben – das Land hat trotz Rekordverschuldung immer noch ein Triple-A-Rating.

WIE LÄSST SICH DIE MACHT DER AGENTUREN EINSCHRÄNKEN?

Schon seit Jahren gibt es die Forderung nach einer Europäischen Ratingagentur. Die Amerikaner könnten die Lage auf dem Kontinent gar nicht richtig einschätzen, so das Argument. Dabei gibt es in Europa zahlreiche Ratingagenturen, allein in Deutschland sollen es mindestens 80 sein. Eine davon ist Creditreform, die vor allem Ratings für Mittelständler macht. Um sich auf dem ganz großen Markt bekannt zu machen, dafür brauche man aber noch viel Zeit, sagt ein Sprecher.

Das Europäische Parlament fordert die Einrichtung einer unabhängigen Ratingstiftung, einen Vorschlag dafür hat kürzlich die Unternehmensberatung Roland Berger in Zusammenarbeit mit der Deutschen Börse vorgelegt. Noch aber ist unklar, wo das Geld dafür herkommen soll – sollten sich die Staaten beteiligen, stünde die Unabhängigkeit wieder infrage.

Die FDP hat einen anderen Vorschlag: Staaten sollen von den von ihnen regulierten Unternehmen verlangen, ein Zweitrating vorzulegen, das nicht von Fitch, Moody’s oder Standard&Poor’s stammt.

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