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Wirtschaft: Wer spekuliert gegen Deutschland?

An der Deutschen Börse fallen die Aktien stärker als an anderen Finanzplätzen – doch Experten warnen vor Verschwörungstheorien

Berlin. An Verschwörungstheorien mangelt es an der Börse nie. Besonders in Mode kommen sie in Krisenzeiten, wenn sich Anleger fragen, wer die Kurse wirklich bewegt – und zwar nach unten. Zur Erklärung des Phänomens werden gerne die mächtigen Unbekannten bemüht, finanzkräftige Spekulanten, die sich in aller Welt zusammentun und gegen ein Unternehmen, gegen eine Branche oder gegen ein ganzes Land am Aktienmarkt zu Felde ziehen. Als aktuelles Ziel der Finanzmächte haben die Verschwörungstheoretiker Deutschland ausgemacht. Der Absturz des Dax und Nemax, so ihr Verdacht, sei deshalb so dramatisch, weil gezielt deutsche Aktien verkauft würden.

Und tatsächlich: Vergleicht man die Entwicklung von Dax und Nemax in den vergangenen drei Monaten mit den US-Aktienindizes Dow Jones und Nasdaq, dann fällt die relative Schwäche der heimischen Werte ins Auge. Seit Anfang Juli verloren die 30 im Deutschen Aktienindex zusammengefassten Papiere rund 36 Prozent. Die Aktien der 30 größten US-Konzerne, die im Dow Jones-Index abgebildet werden, büßten hingegen nur rund 15 Prozent ein. Ein ähnliches Bild ergibt sich an den Technologiemärkten: Der Nemax-All-Share, in dem alle am Neuen Markt gelisteten Unternehmen enthalten sind, verlor in drei Monaten rund 40 Prozent, der Nasdaq-Index nur knapp 20.

Hinzu kommen die drastischen Verluste, die die Aktien deutscher Banken seit drei Wochen zu verkraften haben. Vergleicht man die Talfahrt mit britischen oder amerikanischen Finanzwerten, fällt auch hier auf, dass die Deutschen besonders bluten mussten.

Geben die Zahlen den Verschwörungstheoretikern Recht?

„Es wird nicht gegen Deutschland spekuliert“, sagt Frank Hogg von der Schweizer Bank Hofmann. „Aber der deutsche Aktienmarkt leidet besonders, weil zyklische Branchen wie Banken, Versicherungen oder Technologie ein großes Gewicht haben.“ Während die amerikanischen Indizes eher konservativ zusammengesetzt sind und sich stabiler bewegen, schwankt der Dax stärker mit den Konjunkturzyklen. Betrachte man die Dax-Aktien mit der schlechtesten Kursentwicklung in diesem Jahr – MLP, Epcos, Infineon, Allianz, SAP, Münchner Rück und Hypo-Vereinsbank –, dann werde dieses Ungleichgewicht deutlich. Verglichen mit dem britischen oder Schweizer Aktienmarkt, wo Nahrungsmittel oder Pharmakonzerne sowie Versorger eine größere Rolle spielten, stehe der Dax wegen der akuten Schwäche der Banken überproportional unter Druck. „Großbritannien hat sich davon etwas abgehoben, was den defensiven Merkmalen seines Aktienmarktes, wie etwa überdurchschnittlichen Dividendenrenditen, zu verdanken war“, meint John Hatherly, Chefanalyst der britischen Fondsgesellschaft M&G. Dass Banken und Versicherungen an der Börse verkauft würden, sei im übrigen weltweit so, gibt Frank Hogg zu bedenken. Hohe Kreditrisiken, geschmolzene Aktienbestände und Wertberichtigungsbedarf beträfen alle Finanzkonzerne.

„Mit der deutschen Wirtschaft läuft es einfach schlechter als im übrigen Europa“, begründet der Schweizer die schlechte Dax-Performance. Das habe mit mutwilliger Spekulation gegen deutsche Firmen nichts zu tun. Auch der Ausgang der Bundestagswahl habe wenig Einfluss auf die deutsche Börse gehabt, meint Volker Borghoff, Leiter der Aktienstrategie von HSBC Trinkaus & Burkhardt. „Das drückt nur ein wenig auf die Stimmung.“ Eine Ursache für den besonders starken Rückgang der deutschen Kurse sei aber die „Marktenge“. Das heißt: Der Anteil der frei gehandelten Aktien (Freefloat) ist in Deutschland verglichen mit den USA geringer, weil börsennotierte Unternehmen hier zu Lande noch stark verflochten sind, so dass große Teile der Aktien gar nicht gehandelt werden. Schon bei relativ kleinen Umsätzen kann es deshalb zu großen Kursbewegungen kommen. Deren Aussagekraft bleibt aber begrenzt. „Die Deutschland AG ist intakt“, bestätigt der Schweizer Banker Frank Hogg.

Sandra Schiller, Indexexpertin bei der Commerzbank, findet ein praktisches Argument für den ungewöhnlich steilen Fall deutscher Aktien: „In Deutschland kommen Anleger schneller an ihr Geld.“ Wer Aktien verkaufen müsse, tue dies dort, wo die Banken am schnellsten rechneten. Die Stärke deutscher Banken rächt sich so in der Baisse: Bei der buchhalterischen Abwicklung von Aktienverkäufen sind die deutschen Institute Spitze. Henrik Mortsiefer

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