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Auf dem Sprung. Wer sich im Assessment Center behaupten will, muss sich von den anderen abheben. Dabei suchen Personaler aber nicht unbedingt die lautesten Bewerber, sondern die mit den innovativsten Ideen. Foto: fotolia

© Simon Coste - Fotolia

Wirtschaft: Wer weiter kommt

Unternehmen suchen verstärkt mit Assessment Centern nach neuen Talenten.

Mit Kevin, dem amerikanischen Mitarbeiter der Technikabteilung gibt es Ärger: Er hat seinem Chef eine Videonachricht hinterlassen, in der er eine Kundenführung ablehnt, obwohl in seiner Abteilung reihum alle Kollegen damit mal dran sind. Und auch der chinesische und der indische Mitarbeiter arbeiten nicht so, wie es der deutsche Manager gewohnt ist. Doch wie löst er diese Konflikte am besten? Und zwar so, dass sich seine Kollegen in den anderen Kulturkreisen nicht vor den Kopf gestoßen fühlen oder ihr Gesicht verlieren?

In simulierten Führungssituationen mussten sich Teilnehmer von Assessment Centern (AC) – den verbreiteten Eignungstests für künftige Mitarbeiter – schon länger bewähren. Doch beim AC „Manager Ready“ der Talent-Management-Beratung DDI sind zwei Dinge neu: Es findet nicht mehr live, etwa in einem Konferenzraum, sondern online mit Hilfe von Videoszenen statt. Und es testet vor allem das Geschick der Kandidaten im Umgang mit interkulturellen Eigenheiten der Kollegen aus anderen Teilen der Welt – die ja auch im realen Manageralltag immer häufiger aus der Ferne geführt werden müssen.

In den Rollenspielen geht es darum, Mitarbeiter zu motivieren, Konflikte zu lösen, Veränderungen einzuleiten oder auch Innovationen voranzutreiben – und das unter sehr großem Zeitdruck. So soll geprüft werden, ob ein Kandidat in der Lage wäre, Führungssituationen aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur, seiner Motivation, Denk- und Kommunikationsweise zu meistern. Experten von DDI, sogenannte Assessoren, verfolgen das Verhalten des Bewerbers online und beurteilen dann seine Erfolgsaussichten. Außerdem geben sie dem Kandidaten eine Rückmeldung, wo sie Förderbedarf sehen.

Assessment Center verbreiten sich weltweit. Denn Arbeitgeber suchen auch für ihre Geschäfte in Indien, Russland, Brasilien oder China fähige Leute oder wollen wissen, wie sie Talente, die sie schon eingestellt haben, einsetzen oder fördern können. Es gibt inzwischen Tests für Auszubildende, aber auch für den Aufsichtsrat. Während sich Berufs- oder Managementeinsteiger oft in Gruppenübungen bewerten lassen müssen, ist der Tauglichkeitstest für die höheren Führungsränge ein sogenanntes Einzel-Assessment – und damit exklusiver.

Genaue Zahlen zum Gesamtmarkt gibt es nicht. Nur soviel: In Deutschland führen 27 der 30 DAX-Unternehmen Assessment Center durch, im Schnitt mit sieben Teilnehmern. Das hat der Kölner Professor Christof Obermann ermittelt. Und auch im Mittelstand versuchen Personalverantwortliche sich damit zunehmend Klarheit über die richtigen Kandidaten zu verschaffen.

Kein Wunder, Fehlbesetzungen sind teuer. Hubertus Douglas, Chef der Personalberatung Korn Ferry International, die gerade den AC-Spezialisten PDI gekauft hat, um am boomenden Geschäft zu partizipieren, sagt: „Die Leute sind heutzutage unheimlich gut in Sachen Präsentation und Selbstmarketing.“ Diese Fähigkeit spielte vor 20 Jahren noch keine große Rolle, aber heute üben sich darin schon Schüler. „In Zeiten perfekter Selbstdarsteller steigt der Bedarf, hinter die Fassade zu gucken.“ Und das können unbeteiligte Dritte mit ihren psychologischen Methoden besser als Vorgesetzte. Denn die neigen dazu, Kopien ihrer selbst zu befördern.

So berichtet DDI-Geschäftsführer Wolfgang Doerfler vom Talentpool einer großen Bank, dem sogenannten Goldfischteich, aus dem der Nachwuchs für Führungspositionen kommt. Darin befanden sich ursprünglich 200 Mitarbeiter, die als Talente von ihren Chefs benannt worden waren, darunter 20 Frauen. Nach dem Assessment Center blieben nur noch 100 übrig, darunter alle 20 Frauen. „Die aussortierten 100 waren zwar leistungsstarke Mitarbeiter, aber eher Klone ihrer Vorgesetzten. Über diejenigen Eigenschaften, die die Bank dringend benötigte, um sich für die Zukunft und das internationale Geschäft zu rüsten, verfügten sie nicht“, sagt er.

Egal, ob Bank oder Industrieunternehmen, es besteht Identifizierungs- und Objektivierungsbedarf durch eine neutrale Instanz. Bei Fachkräften und auf den unteren Managementebenen sind daher die vergleichsweise günstigen Online-Assessment-Center auf dem Vormarsch. Eine Lizenz dafür kostet wenige Hundert Euro, große Bewerberzahlen lassen sich so effizient reduzieren. Die aufwendigen Einzel-Tests für Anwärter auf höhere und höchste Positionen im Management dagegen können leicht 8000 Euro pro Kandidat kosten. Denn bei ihnen werden die ersten Ergebnisse aus den Computersimulationen in mehreren persönlichen Gesprächen mit Psychologen überprüft – um zu verlässlichen Aussagen zu kommen, wie strategisch zum Beispiel jemand denkt. „Die jeweilige Ausprägung macht einen Unterschied, je nachdem, ob der Posten eines Controllers oder der des Vertriebsvorstandes zu besetzen ist. Solche Einschätzungen können wir nicht Maschinen überlassen“, sagt Hubertus Douglas.

Noch immer „gibt es Kandidaten für Spitzenpositionen, die halten sich in Sachen Test für sakrosankt“, bemerkt der Korn Ferry-Chef. Nach dem Motto: „Wenn ich nicht fähig wäre, wäre ich ja nicht bis hierhin gekommen.“ Angesichts von Skandalen um Spitzenmanager wie den ehemaligen Enron-Chef Jeffrey Skilling oder Richard Fuld von der Pleitebank Lehman erst recht ein Grund, bei Bewerbern für einflussreiche Posten noch genauer hinzusehen.

Oliver Barth weiß, warum deutsche Kandidaten Eignungstests kritisch sehen. Er verantwortet das zentral-europäische Geschäft bei SHL, einem Anbieter, der jährlich weltweit 25 Millionen Assessments für Kunden wie Henkel und Kellogg's durchführt. „Bewerber denken oftmals: Jetzt kriegen die etwas Negatives über mich raus“, sagt er. „In angelsächsischen Ländern dagegen sehen Teilnehmer das eher sportlich. Sie wollen wissen, wo sie stehen und wo sie Entwicklungsbedarf haben. Und erwarten dazu eine fundierte Einschätzung.“

Um allerdings negative Reaktionen durch Vorgesetzte zu vermeiden, gewinnt eine weitere neue AC-Variante, der „Online-Selbsttest“, an Bedeutung. Damit können zum Beispiel Telekom-Mitarbeiter, die darüber nachdenken, mit Unterstützung des Arbeitgebers ein berufsbegleitendes Studium zu absolvieren, schon vor ihrer internen Bewerbung selbst herausfinden, ob sie das Zeug dazu haben. Das Versprechen des neuen Verfahrens: „Selbsterkenntnis – ohne Outing“. (HB)

Claudia Obmann

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