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WHARTON: „Kurzfristige Perspektiven würden wir kritisieren“

Die Wharton School gilt als eine der besten Adressen für die Management-Ausbildung weltweit. Ihr Dekan Thomas Robertson spricht im Interview über die Anforderungen an Manager heute und ethische Verfehlungen einzelner Absolventen.

Herr Robertson, die Ausbildungsstätten für Manager, die Business-Schools, stehen massiv in der Kritik. Was muss sich ändern?

Die Hälfte unserer Studenten wird künftig in Branchen arbeiten, die es heute noch gar nicht gibt. Deshalb müssen wir sie so ausbilden, damit sie alle nötigen Instrumente zur Hand haben. Wir müssen Leute für eine Welt ausbilden, von der wir nicht wissen, wie sie aussehen wird. Die Welt ist sehr komplex. Die Studenten müssen lernen, in unsicheren Zeiten Entscheidungen zu treffen. Außerdem spielen heute die Regierungen in Europa und in den USA eine viel größere Rolle in der Geschäftswelt. Führungskräfte kümmern sich deshalb mehr Zeit denn je auch darum.

Reichen dafür ein oder zwei Jahre Management-Studium?

Wenn uns die Ereignisse der vergangenen Jahre etwas gelehrt haben, dann, dass sich die Spielregeln der Wirtschaft rapide verändern können – und damit auch die Ausbildung der Manager. Die globalen Führungskräfte der Zukunft müssen sich auf enorme Veränderungen in ihrem Leben einstellen. Damit muss sich auch die Ausbildung ändern. Wir haben uns dem lebenslangen Lernen verpflichtet. Bei Anwälten und Ärzten wird es vorausgesetzt, dass sie sich ständig weiterbilden. In der Geschäftswelt sollte es auch so sein.

Sie stellen den Lehrplan im Master of Business Administration (MBA) um. Was ändert sich ?

Wir haben uns entschlossen, nicht nur das Curriculum zu ändern, sondern den Studenten im MBA eine ganz andere Lernerfahrung zu bieten.

Was genau heißt das?

Das Curriculum wird flexibler. Die MBAStudenten wollen früher Kurse belegen, die sie auf ihr Praktikum vorbereiten. Oft ist es ja so, dass sie im Praktikum nach dem ersten Studienjahr Job-Angebote für die Zeit nach dem MBA bekommen. Die Studenten müssen jetzt nur noch neun statt zehn Pflichtkurse belegen. Bei sechs davon bieten die Professoren mindestens zwei verschiedene Niveaus an. Wer etwa schon Vorkenntnisse in Rechnungswesen hat, kann einen Kurs für Fortgeschrittene belegen.

Der Dekan der Insead Business School in Frankreich hat vor kurzem gesagt, dass die Business-Schools zwar noch immer volle Klassen haben, aber an Reputation verlieren. Stimmen Sie zu?

Ich denke nicht, dass der MBA in der Finanzkrise Schaden genommen hat. Es gibt mittlerweile so viele von Business-Schools, man könnte sagen, dass sie zu einem gewissen Grad ihre Exklusivität verlieren. Aber die Top-Schulen sind so wichtig wie eh und je. Man kann sogar sagen: Die führenden Business-Schools bieten bessere Inhalte als je zuvor, weil die Konkurrenz nun so groß ist.

Business-Schools sollen aber genau jene Typen von Entscheidern ausgebildet haben, die die Finanzkrise verursacht haben.

Ich habe die Kritik natürlich mitbekommen. Viele Leute werden für die Finanzkrise verantwortlich gemacht: Die Regierung, die US-Notenbank Federal Reserve, die Börsenaufsicht SEC, die nicht genug kontrolliert hat, die Ratingagenturen. Business-Schools waren ein Teil des Puzzles. Wir haben ein breit angelegtes Curriculum. Unsere Studenten gehen nicht nur in die Finanzwelt, sie arbeiten in vielen Branchen.

Viele Wharton Absolventen zieht es aber an die Wall Street .

Ja, viele neigen dazu. Aber neue Finanzinstrumente können für gute und für schlechte Zwecke genutzt werden. In der Krise wurden sie für schlechte Zwecke benutzt, beziehungsweise Manager wurden für kurzfristigen Erfolg belohnt, waren aber nicht verantwortlich für das langfristige Geschäft.

Business-Schools sollen ihren Studenten genau dieses kurzfristige Denken beigebracht haben.

In unseren Kursen würden wir eine kurzfristige Perspektive kritisieren und das ist nicht neu. Schon lange wird über die Frage debattiert, ob sich Unternehmen zu stark an kurzfristigen Zielen orientieren. Natürlich hat das in der Finanzkrise voll eingeschlagen, aber schon lange vorher wurde darüber diskutiert, ob Unternehmen zu stark von Quartalsgewinnen getrieben werden statt langfristig zu denken. Es ist offensichtlich: Nach kurzfristigen Gewinnen zu streben geht nur eine gewisse Zeit gut. Wenn ein Unternehmen keine langfristige Perspektive hat und sich nicht neuen Entwicklungen anpasst, wird es pleitegehen.

Wie hat Wharton auf die Krise reagiert?

Wir haben sofort Kurse angeboten, in denen Professoren die Entstehung der Krise erklären. Und weil das nicht die erste Finanzkrise der Welt war, haben wir versucht, Parallelen zu anderen zu ziehen wie der in Japan, Chile oder der Türkei. Nicht Business-School-Professoren sprachen darüber, sondern auch Kollegen aus anderen Fakultäten. Natürlich hat die Krise die Lehre verändert. Wenn ein Professor direkt nach der Pleite von Lehmen Brothers in die Vorlesung ging, konnte er nicht einfach die Folien aus dem letzten Jahr nehmen. Die Studenten betrachten heute auch die negativen Auswirkungen auf Bereiche außerhalb der Finanzwelt, lernen mit der Unsicherheit umzugehen und diskutieren ethische Fragen.

Ethik ist ein aktuelles Thema: Der Hedge-Fonds-Manager und Wharton-Absolvent Raj Rajaratnam wurde gerade wegen Insider-Handel zu elf Jahren Haft verurteilt. Hat das Ihrem Ruf geschadet?

Ich denke nicht. Aber es frustriert mich. Wie konnte einer von unseren Leuten so etwas machen? Und es ist unangenehm. Jedes Mal, wenn in den Medien erwähnt wird, dass er einen Wharton-Abschluss hat, zucken wir zusammen. Wir unterrichten Ethik gewissenhaft, aber wir erkennen, dass bei 88 000 Absolventen trotzdem ein paar wenige vom Weg abkommen. US-Bundesstaatsanwalt Preet Bharara, der den Fall Rajaratnam geleitet hat, war bei uns zu Gast um über Ethik zu sprechen. Er verwies auf einen interessanten Punkt: Man kann Leuten beibringen, ethisch relevante Themen zu erkennen. Aber es ist die Entscheidung des Einzelnen, ob er sich ethisch korrekt verhält.

Gerade als Antwort auf Verfehlungen einiger Manager in der Krise haben etliche Hochschulen neue Ethik-Kurse eingeführt oder den Studenten mehr solcher Kurse zur Pflicht gemacht. Wharton auch?

An der Wharton School gibt es schon seit 30 Jahren Ethik-Kurse. Am Fachbereich für Ethik und Recht haben wir in letzter Zeit vor allem strukturelle Veränderungen vorgenommen: Früher wurde ein halbes Jahr lang Ethik unterrichtet und in der zweiten Jahreshälfte kamen dann die juristischen Kurse. Jetzt bieten wir beide Kurse ganzjährig an. Inhaltlich hat sich nicht viel verändert, weil wir das Fach eben schon sehr lange unterrichten.

Kritiker sagen: Es reicht nicht, separate Ethik-Kurse anzubieten. Ethische Fragen müssen in jedem Fach aufgegriffen werden.

Das wäre gut!

Aber?

Diese Idee gibt es schon sehr lange. Aber wenn wir zum Beispiel mit Finanz-Professoren sprechen, sagen die: Wir hätten gern mehr Zeit, um Finanzthemen zu unterrichten und würden die ethischen Fragen lieber den Ethik-Professoren überlassen. Es ist keine schlechte Idee. Sie ist nur sehr schwer umzusetzen und ich kenne keine Business- School, die das erfolgreich getan hat.

Das Interview führte die Korrespondentin Astrid Dörner (HB)

WELTSPITZE

Die Harvard Business School ist zwar die bekannteste Wirtschaftshochschule, liefert sich aber mit der Wharton School ein enges Rennen in Rankings von Management-Studiengängen mit dem Abschluss „Master of Business Administration“.

ORGANISATION

Dabei ist Wharton, wie die meisten amerikanischen und angelsächsischen „Business- Schools“gar keine eigene Hochschule. Die „School“ entspricht am ehesten dem, was in Deutschland die Fakultät einer Universität ist. Angeboten werden BWL- und Management-Studiengänge, die mit dem Bachelor oder Master abschließen und die Doktoranden ausbilden.

IVY-LEAGUE

Die Universität von Pennsylvania in Philadelphia und damit auch die Wharton School gehören zur Ivy-League, einer Gruppe von Elite-Universitäten an der US-Ostküste. Mit rund 230 fest angestellten Professoren und Dozenten sowie 5000 Studenten gehört Wharton zu den größten Business-Schools. HB

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