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Wirtschaft: „Wie in einer Familie“

In der Rüsternallee in Berlin-Westend ist ein Pflegeheim der neusten Generation fertiggestellt worden

Diesen Wunsch haben die allermeisten Menschen: in den eigenen vier Wänden alt zu werden und nicht ins Heim gehen zu müssen. 67 Prozent der Menschen in Deutschland, das ergab unlängst eine Befragung von über 50-Jährigen durch das Meinungsforschungsinstitut TNS Emnid, würden den Lebensabend am liebsten ohne fremde Hilfe in der eigenen Wohnung oder dem eigenen Haus verbringen. Nur 15 Prozent nannten die Seniorenresidenz oder das Pflegeheim als bevorzugte Wohnform.

Doch die Realität ist eine andere. Zurzeit gibt es in Deutschland rund 800 000 stationäre Pflegeplätze und 2,25 Millionen pflegebedürftige Menschen. Im Jahr 2050 könnten es einer Untersuchung von Deutsche Bank Research zufolge sogar über vier Millionen Pflegebedürftige sein. Da die Betreuung durch Familienangehörige als Folge gesellschaftlicher Veränderungen künftig einen geringeren Stellenwert einnehmen dürfte, rechnen manche Experten deshalb mit einer deutlichen Zunahme der Plätze in der stationären Pflege.

Allerdings werden die künftigen Heime wenig zu tun haben mit den Altenverwahranstalten früherer Zeiten. Das zeigt ein Rundgang durch das Haus Rüsternallee in Berlin, das an Stelle eines nicht mehr zeitgemäßen Heims entstanden und am 2. September eingeweiht worden ist. „Wir wollten hier ein Gebäude schaffen, das sich abhebt von normalen Funktionsbauten, die allein dem Kostendiktat folgen“, sagt der Berliner Architekt Roman Lichtl, der das Pflegeheim im Auftrag des Theodor-Wenzel-Werks entworfen hat.

Schon äußerlich ist das Haus etwas Besonderes. Das Theodor-Wenzel-Werk, das in Berlin mehrere Krankenhäuser und Pflegeheime betreibt, führte einen Wettbewerb unter sechs Architekten durch. „Wir wollen architektonisch dokumentieren, was wir leisten“, begründet dies Geschäftsführer Ronald Wehner. Zudem ergebe sich der hohe Anspruch daraus, dass das neue Heim in der Rödernallee und damit im gediegenen Wohnviertel Westend liege. Architekt Lichtl löste die Aufgabe, indem er ein Gebäude in Ellipsenform entwarf, das sich in zwei- bis viergeschossiger Abstufung in die Umgebung einfügt. Neben ästhetischen hat diese Form auch funktionale Vorteile: „Dadurch ist das Gebäude lichtdurchflutet“, sagt Lichtl. Insbesondere sind auch die Flure natürlich belichtet – anders als bei einer traditionellen Aufteilung mit Zimmern links und rechts des Gangs. Ein weiterer Vorteil: Durch die Ellipsenform entsteht ein Innenbereich, in dem sich auf unterschiedlichen Ebenen großzügige Terrassengärten mit einer Fläche von insgesamt tausend Quadratmetern erstrecken. Diese ermöglichen es den Bewohnern, sich im Freien aufzuhalten. Gleichzeitig wird verhindert, dass sie unbeaufsichtigt das Areal verlassen – ein wichtiger Aspekt, weil ein Großteil der Bewohner an Demenz erkrankt ist.

Denn Pflegeheime wie das an der Rüsternallee sind keine Anlagen des betreuten Wohnens, in denen rüstige Rentner sich mal eben kurz zwischen Kreuzfahrt und Gleitschirmkurs aufhalten. „Die Leute kommen sehr spät ins Heim“, sagt Heimleiterin Simone Steffen. Die Verweildauer werde immer kürzer – im Klartext: Die Bewohner sterben in vielen Fällen nach wenigen Monaten.

Um ihnen diese letzten Monate so angenehm wie möglich zu machen, setzt die Einrichtung in der Rüsternallee auf das Hausgemeinschaftsmodell. Das Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) bezeichnet dieses auch als vierte Generation des Altenheimbaus. Kennzeichnend dafür ist, dass das Heim nicht zentral versorgt wird, sondern sich am Alltagsleben orientiert. „Das ist ähnlich wie in einer Familie“, sagt Ronald Wehner. In der Rüsternallee gibt es auf jeder Ebene zwei Wohngruppen für jeweils etwa 15 Bewohner, die weitgehend autark funktionieren und beispielsweise eine eigene Küche haben.

Insgesamt verfügt die Einrichtung über 90 Betten in 60 Einbett- und 15 Zweibettzimmern. Aber geht die Tendenz nicht ausschließlich zu Einzelzimmern? „Wir bieten ganz bewusst auch Zweibettzimmer an“, antwortet Bauherr und Betreiber Wehner. „Denn gerade bei Demenzkranken ist es sinnvoll, dass sie Kontakt zu anderen Menschen haben.“ Außerdem sei die zukünftige Entwicklung schwer vorherzusagen. Hier hat Architekt Lichtl vorgesorgt: Drei Einbett-Zimmer lassen sich ohne großen Aufwand so umgestalten, dass daraus zwei Zweibett-Zimmer werden.

Diese durchdachte und hochwertige Architektur hat allerdings ihren Preis: „Die Baukosten liegen ein Drittel über dem Standard für öffentlich geförderte Einrichtungen“, sagt Ronald Wehner. Das bedeute jedoch nicht, dass als Bewohner nur Selbstzahler willkommen seien: „Wir nehmen auch Sozialhilfeempfänger auf.“

Für den Geschäftsführer des Theodor- Wenzel-Werks zeigt sein neues Heim, „dass wirtschaftliche Notwendigkeiten nicht dazu führen müssen, auf Kreativität zu verzichten“. Und darüber hinaus habe die architektonische und funktionale Qualität einen weiteren Vorteil: Sie erleichtere es, gute Mitarbeiter zu finden – ein wichtiges Argument in einer Branche, die immer wieder über Personalmangel klagt.

 Christian Hunziker

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