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Je größer, desto besser. Das glaubt die Bundesregierung (hier Angela Merkel bei einem Hubschrauberrundflug über die Ostsee) und fördert Riesenwindräder auf See besonders großzügig. Die Branche will aber auch Riesen an Land genehmigt bekommen. Hier gibt es Streit.

© dapd

Windkraftlobbyisten: "Bürger finden große Anlagen schöner als kleine"

Die Windkraftbranche in Deutschland wächst kräftig. Jetzt fürchten ihre Vertreter, die Politik könnte die Förderung kürzen. So gehen sie in die Offensive und wehren sich auch gegen strenge Genehmigungsbehörden - mit teils abenteuerlichen Behauptungen.

Wer die oberste Stufe des Treppchens erklimmt, steht dort allein, er ist den prüfenden Blicken der anderen ausgesetzt. Die Vertreter der Windindustrie hierzulande bedienten sich am Mittwoch olympischer Sprachbilder, um ihre Lage zu beschreiben. Sie sind die amtierenden Meister der Energiewende: Im ersten Halbjahr 2012 stieg die Zahl der neu errichteten Windräder um starke 26 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf 414. Bei optimalem Wind produzieren diese Neuanlagen mehr als ein Gigawatt Strom, so viel also wie ein Kernkraftwerk. „Zu viel wollen wir aber auch nicht. Sonst wird man ja gleich des Dopings verdächtigt“, sagte Thorsten Herdan vom Verband der Energieanlagenbauer VDMA Power Systems. Es sollte ein Scherz sein, einer mit ernstem Hintergrund.

Denn angesichts immer neuer Rekorde könnten auch immer mehr Entscheider im politischen Berlin fragen, ob diese Branche wirklich noch auf das umfangreiche Fördersystem angewiesen ist, das im Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) geregelt ist. Und so beeilte sich Herdan auch, den Spruch wieder einzufangen: „Bitte jetzt nicht die Debatte führen, dass wir noch in diesem Jahr ein neues EEG brauchen“. Das sei ja in den vergangenen Jahren bereits vier mal geändert worden, was bei Investoren schon für genug Unsicherheit gesorgt habe.

„Ein EEG 2.0 ist ein Muss. Aber nicht jetzt“, sagte er. Seine Branche habe bereits bei der Ausarbeitung der jüngst verabschiedeten Reform auf Punkte hingewiesen, die man korrigieren könnte, um die relative Akzeptanz der Windkraft in der Bevölkerung zu stärken. So hätte man etwa eine Standort-Komponente ins Gesetz schreiben können, um Windanlagen stärker an Orten zu fördern, an denen es Sinn macht und nicht, wo gerade ein Acker frei ist. „Aber diese Vorschläge sind damals in der Post-Fukushima-Hektik untergegangen“, sagte Herdan. Pech gehabt, sollte das wohl heißen.

Bildergalerie: Fukushima vorher - nachher

Sein Lobby-Kollege Hermann Albers, Präsident des Windenergie-Verbandes BWE, nutzte die Vorlage der aktuellen Branchenzahlen, um das von Grünen und SPD regierte Baden-Württemberg zu kritisieren. In dem von CSU und FDP regierten Bayern, das ja über eine ähnliche geografische und industrielle Struktur verfüge, würde der Ausbau der Windkraft mit „höherem Pragmatismus“ betrieben werden und so schneller zu Ergebnissen kommen als Baden-Württemberg, „wo Fragen des Naturschutzes erheblich an Bedeutung gewonnen, und der Ausbau so eine Verlangsamung erfahren hat.“

Tatsächlich wurden in Bayern in diesem Jahr 39 neue Anlagen aufgestellt, in Baden und Schwaben nur sechs. In Berlin kam keine hinzu. Albers begrüßte er den „Beitritt“ der südlichen Binnenbundesländer zur Energiewende und kritisierte auch den langjährigen Spitzenreiter Schleswig-Holstein, wo von Januar bis Ende Juni zwar 58 Anlagen neu installiert worden sind, diese aber mit einer durchschnittlichen Nabenhöhe von „nur“ knapp 79 Metern viel kleiner seien als in Bayern mit 132 Metern. Schuld seien Genehmigungsbehörden. Das führe zu einem „Effizienzdrama“, da mit jedem Meter mehr Nabenhöhe sich auch der Windertrag um etwa ein Prozent erhöhe. Übrigens hätten ihm branchenfremde Menschen gesagt, dass sie höhere Türme ästhetischer als die „gedrungenen kleinen Türme“ empfinden würden, berichtete Albers. Bei dem mit ernster Miene ausgesprochenen Scherz, lachten erstmals auch Pressevertreter im Saal.

Kurzum: Was den Ausbau an Windkraft an Land angeht, erwartet die Branche ein neues Rekordjahr. Was die von der Bundesregierung gesetzten Ausbauziele für Hochseewindparks angeht, zeigten sich die Industrievertreter deutlich skeptischer. Sie verwiesen auf noch ungeklärte Haftungsfragen. Auch sei unklar, wie das für die Netzanbindung der Nordsee-Windparks zuständige Unternehmen Tennet mit einem Jahresumsatz von rund einer Milliarde Euro auf die Schnelle Netzbauprojekte im Volumen von 15 Milliarden finanzieren solle.

Für die heimischen Windanlagenbauer von Siemens bis Enercon ist aber eh noch wichtiger, was im Ausland passiert: 66 Prozent der Produkte werden exportiert, deutsche Hersteller produzierten 2011 weltweit Anlagen im Wert von fast sechs Milliarden Euro. 2012 dürfte ähnlich werden. Ab 2013 aber könnte der Weltmarkt stagnieren, warnten die Branchenvertreter. In den USA läuft ein Förderprogramm aus und in China kann das bestehende Stromnetz nicht mehr viel von dem schwankenden Windstrom aufnehmen. Fast scheint es, als wollten sie der Berliner Politik sagen: Wenn uns die Absatzmärkte der zwei größten Olympia-Nationen wegbrechen, dürft ihr uns nicht auch noch den Heimatmarkt schwächen.

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