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Wirtschaft: Winter-Gemüse

Eeeeeh Leutee: kauft Mangooo, dann tanzt ihr Tangooo", schreit Celik Dogan. Lautstark preist der türkische Gemüsehändler mit der roten Schürze und Schirmmütze seine frische Ware auf dem Gehsteig der Potsdamer Straße an.

Eeeeeh Leutee: kauft Mangooo, dann tanzt ihr Tangooo", schreit Celik Dogan. Lautstark preist der türkische Gemüsehändler mit der roten Schürze und Schirmmütze seine frische Ware auf dem Gehsteig der Potsdamer Straße an. Direkt ins Ohr der Verbraucher, die vorbeischlendern: Mangos, Erdbeeren, Tomaten, Salat und Broccoli. Obst und Gemüse. Die Mangos von Celik Dogan kommen aus Brasilien. Dort tanzen die Verbraucher statt Tango eher Lambada und Merengue. Grafik: Gemüsepreisentwicklung Noch mehr als die Verbraucher haben sich in den letzten Wochen allerdings die Preise bewegt: auf den europäischen Märkten sind die Preise für Obst und Gemüse seit Mitte Dezember geradezu explodiert. Einige Gemüse verteuerten sich im Vergleich zum Vorjahres-Monat um bis zu 120 Prozent.

Der Berliner Markt für Obst und Gemüse reregt sich früh morgens, zwischen zwei und acht Uhr. Die Hauptstadt schläft dann noch.

Auch an diesem Freitag: Im Fruchthof an der Beusselstraße in Moabit hinter einer rot-weißen Schranke. Der Besucher fährt über einen riesigen Parkplatz, auf dem Liefer- und Lastwagen mit internationalen Kennzeichen und in allen Größen dicht gedrängt aneinander stehen. In der Halle mit der Aufschrift "Fruchthof Berlin" erstreckt sich auf über 150 000 Quadratmetern ein Parcour aus Holzkis-ten, Pappkartons und Verkaufsständen.

Tausende Kisten Obst und Gemüse stapeln sich in der Halle. Die Aufschriften deuten auf Herkunftsländer in der ganzen Welt: "Produce of Brazil, Fruit Complex Agadir oder Product of South-Africa." In dem riesigen Gebäude riecht es süßlich: an einer Ecke citrus-frisch, an einer anderen kohlig-schwer. Insgesamt 74 Handels-Firmen haben sich hinter den Obst- und Gemüsekisten verschanzt. Ihre Verkäufer schreien auch, manche so laut wie Celik Dogan - aber mit weniger Fantasie.

Thomas Franz ist Großhändler: " So einen Preisanstieg habe ich in zwanzig Jahren als Gemüse-Großhändler noch nicht erlebt", sagt er kopfschüttelnd, während seine Mitarbeiter kistenweise Äpfel und Blumenkohl verladen. In der Halle geht es zu wie auf einem Ameisen-Haufen. "Gefallen sind die Preise erst in den letzten Tagen wieder", erklärt der Händler.

Schlangengurken aus Italien

In einem Bericht der Zentralen Markt- und Preisberichtstelle (ZMP) in Bonn vom Mittwoch dieser Woche heißt es ganz offiziell und ein reichlich sperrig: "Italienische Kopfsalatmengen verstärkt nachgefragt, Zufuhren mengenmässig leicht verstärkt. Ruccola: Steigende Mengen bei schwächerem Preisverlauf im italenischen Angebot, anhaltender Preisdruck bei Broccoli."

Aus dem Land, in dem die Zitronen blühen, kommen auch im Winter Zucchini, Broccoli, Salate und Schlangengurken: Italien, vor allem der Süden, ist reich an Sonne. Normalerweise. Scheint die Sonne mal nicht, fällt die Gemüse-Ernte schlecht aus. Das Angebot geht runter und die Gemüse-Preise gehen rauf. So wie in diesem Winter ganz besonders, weil Frost den Süden Europas überzog. Vor allem in Italien und auch in der französischen Provence. Zusätzlich verzögerte zu viel Regen das Wachstum bei Gemüsen in der Bretagne und sogar in Spanien, wo in anderen Wintern die Trockenheit den Boden aufbrach. Das spürten der Handel und der Markt, besonders bei französischem Blumenkohl und spanischen Tomaten.

Der Großhändler Thomas Franz lebt davon, Obst und Gemüse an Berliner Marktbeschicker, kleine Einzelhändler und Gastronomen zu verkaufen. Er kauft Salate, Broccoli und Gurken direkt beim Erzeuger im italienischen Apulien. Doch hier war die durchschnittliche Tagestemperatur in diesem Winter um 4,4 Grad niedriger als im Vorjahr. Insgesamt 23 Frosttage gab es von Anfang Dezember bis Ende Januar, im Vorjahreszeitraum waren es nur zwei Tage, an denen das Thermometer unter Null sank. Doch Franz bescherte der Frost trotzdem keinen Umsatzeinbruch: "Die höheren Preise haben die weniger verkaufte Menge ausgeglichen."

Mit der verknappten Erzeuger-Menge konnte allerdings nicht die Nachfrage aller Großhändler gestillt werden. Franz: "In solchen Situationen bedienen die Bauern und Genossenschaften natürlich zuerst ihre besten Kunden. Die übrigen Nachfrager gehen leer aus." Der Berliner pflegt seine Italien-Kontakte erfolgreich in der Landessprache.

Die übliche Preisspanne vom Groß- zum Einzelhandel liegt bei maximal 15 Prozent. Erst die Menge macht den Profit. Je nach Größe kostete den Grossisten vom Berliner Fruchthof in dieser Woche ein Kopf Eisbergsalat etwa 43 Cent. Am Freitag verkaufen sie ihn für durchschnittlich 50 Cent an die Einzelhändler. "In den Geschäften wird er dann für etwa 98 Cent angeboten. Wegen der Schwellen-Preise", vermutet Willy Breckenfelder.

Der gelernte Koch ist heute Frühaufsteher und arbeitet als Preisberichterstatter der ZMP auf dem Berliner Fruchthof. Er kennt den Markt und die Beteiligten. Auch den Chef des türkischen Obstschreiers aus der Potsdamer Straße. Der Chef hat einen eigenen Großhandel und ist schon genauso lange im Geschäft wie Franz. Als sein eigener Grossist kann er in seinem Laden den Eisbergsalat in dieser Woche von Celik Dogan für 75 Cent verkaufen lassen; im Verbrauchermarkt auf der anderen Seite der Potdamer Straße kostet er an diesem Wochenende 99 Cent.

Jeden Tag fragt Breckenfelder die verschiedenen Großhändler im Fruchthof nach einzelnen Preisen. Die Daten schickt er per Mail nach Bonn. Dort ist die Zentrale der Zentralstelle. Der Preis-Melder hat Kollegen in acht anderen deutschen Städten, deren Daten zusammengefasst die tägliche Preissituation auf den unterschiedlichen Märkten spiegelt. Ob Vieh und Fleisch, Milch, oder eben Obst und Gemüse, von dem das meiste aus dem Ausland importiert werden muss.

Der Herr der Preise

Hans-Christoph Behr erläutert warum. Er ist der Herr der Frische-Preise, bei ihm in der ZMP kommen Willy Breckenfelders Daten an. "Deutschland produziert 44 Prozent des Eigenbedarfs an Obst und Gemüse selbst, das meiste im Sommerhalbjahr", sagt er. Der Anbau unter Glas sei ohnehin sehr teuer und im Winter wegen hoher Heizkosten und wenig Licht nicht wirtschaftlich. Auch in den nahen Niederlanden verlasse das erste Gemüse erst im April die Glashäuser. Gemüse-Erzeuger außerhalb der Europäschen Union, bespielsweise in der Türkei, können Versorgungsengpässe in Deutschland oftmals ausgleichen. Nicht aber in diesem Jahr. Denn auch in der Türkei war es sehr kalt.

Wie in der aktuellen Marktinformation der ZMP hat sich auch auf dem Berliner Fruchthof die Lage Mitte Februar wieder etwas entspannt. Besonders in dem Bistro "Superdöner": Um viertel vor Acht ist die meiste Arbeit der Packer und Lagerarbeiter geschafft, die Berliner Einzelhändler sind vom Fruchthof und stehen inzwischen schon hinter ihren Marktständen und Ladentheken.

Willy Breckenfelder sitzt eine Etage höher an seinem täglichen Marktbericht. Im "Superdöner" ist die Luft ein Gemisch aus Zigarettenrauch, Kaffeeduft und Schweiß. Die Schlagzeilen aus "Hürryet" und "Bild" bestimmen das Gespräch: Stoiber, Galatasaray Istanbul und der Kampf um die Deutsche Fußballmeisterschaft. Vor ein paar Wochen, sagt Breckenfelder, hatten sie nur ein gemeinsames Thema: die hohen für Obst und Gemüsepreise.

Glaubt man Händlern wie Analysten, ist die Nachfrage der Einzelhändler und der gesunde Hunger der Verbraucher in dieser Zeit dennoch nicht eingebrochen. Fakt ist, dass die Deutschen ihre Ernährung in den letzten zehn Jahren zu Gunsten vitaminreicher Kost verändert haben, 2001 kauften die Haushalte drei Prozent mehr Frischgemüse ein.

Gute Zeiten für Celik Dogan: Er schreit ganzjährig. Wenn es kalt ist, notfalls mit rotem Schal.

Olaf S, ermeyer

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