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Wirtschaft: „Wir brauchen den Stabilitätspakt nicht mehr“

Der Wirtschaftsforscher Straubhaar erwartet, dass die Finanzminister die Kriterien aufweichen und fordert die Abschaffung

Herr Straubhaar, was erhoffen Sie sich von dem Treffen der EUFinanzminister?

Dass der Ecofin-Rat nicht die Kriterien des Stabilitätspakts in Frage stellt, sondern klar macht, dass der Pakt unverrückbar und unverändert Gültigkeit haben soll. Jede Änderung bedeutet den Tod des Stabilitätspakts.

Die Hoffnung wird sich kaum erfüllen.

Genau. Das ist nicht mehr als ein frommer Wunsch. Man wird beginnen, am Stabilitätspakt zu drehen, man wird ihn interpretieren, damit er intelligent wirkt und nicht so ökonomisch dumm, wie es Romano Prodi mal formuliert hat. Man wird sagen, der Pakt soll atmen können und länderspezifische Sonderfälle widerspiegeln. Damit sind zwei Dinge klar: Nicht nur macht sich der Ecofin zum Totengräber des Stabilitätspakts, sondern das Vertrauen in politisches Handeln schwächt sich weiter ab.

Aber ist es denn nicht sinnvoll, bestimmte Sonderbelastungen herauszurechnen?

Es ist ein Unterschied, ob man am Reißbrett steht und etwas Neues entwirft oder ob man anfängt, bestehende Verträge zu verändern. Wenn ich einen neuen Ehevertrag mache, dann können sich die Beteiligten einbringen, und es entscheidet die Kunst des Anwalts, ob daraus ein Paket wird, der für eine Ehe die notwendige juristische Grundlage bildet. Dann würde man festhalten, in welchen Fällen der Vertrag verletzt werden darf und was die Sanktionen sind. Wenn ich aber nach zehn Jahren Ehe an einen bestehenden Ehevertrag gehe und sage: So, und jetzt ist das alles nicht mehr so eng zu sehen, jetzt mache ich den einen oder anderen Seitensprung, und das ist eben eine ganz besondere Situation – dann ist das die Einladung, solche Verträge nicht mehr ernst zu nehmen. Man tut so, als würde man den Stabilitätspakt ernst nehmen, als würde man ihn erhalten und stärken, aber de facto unterhöhlt man ihn.

Die Kosten der deutschen Einheit hatte kein anderes EU-Land.

Absolut richtig. Es gibt viele Besonderheiten für viele EU-Länder. Gar keine Frage, eines der ganz großen ökonomischen Probleme der Deutschen ist die Wiedervereinigung, ohne die wir die Maastricht-Kriterien mit einiger Leichtigkeit erfüllen würden. Aber es gibt immer Gründe, warum man meint, einen Vertrag brechen zu können. Außerdem gab es die Einheit schon, als man den Pakt 1997 ins Leben rief. Deutschland hat auch kein Konjunkturproblem, sondern ein Strukturproblem.

Sollen wir den Ehevertrag kündigen?

Wenn eine Ehe zerrüttet ist, dann ist manchmal ein Ende mit Schrecken besser als Schrecken ohne Ende. Das wäre auch ökonomisch die ehrlichere Antwort und übrigens nicht bedrohlich. Das ist ja der große Irrtum der Politik, dass sie glaubt, mit dem Aufweichen des Pakts dem Pakt an sich oder der Stärke des Euro einen Gefallen zu tun. Das tut sie nicht, im Gegenteil. Die Finanzmärkte messen der Diskussion um den Stabilitätspakt ja schon seit langem kaum mehr eine reale Bedeutung zu. Der Euro wird stark und stärker. Entscheidend für die Märkte sind reale Faktoren und insbesondere die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank.

Wenn die EU-Staats- und Regierungschefs bei ihrem Treffen nächste Woche das Ende des Stabilitätspakts verkündeten, dann würde gar nichts passieren?

Doch, wenn sie es so übers Knie brechen, dann würde es kurzfristige Marktreaktionen geben. Wenn sie aber sagen würden, dass beim nächsten Gipfel über die Abschaffung des Pakts diskutiert wird, dann wäre das für die Märkte keine dramatische Entwicklung. Der Pakt wurde geschlossen, um die Glaubwürdigkeit der jungen Währung zu sichern, das ist gelungen. Die Europäische Zentralbank hat heute Vertrauen. Von daher brauchen wir den Pakt ökonomisch auch nicht mehr.

Aber könnte der Finanzminister eines EU-Landes dann nicht auf die Idee kommen, das Geld mit vollen Händen auszugeben, um die Konjunktur anzukurbeln?

Das kann sein. Aber der Preis, den das Land eines solchen Finanzministers dafür zahlen müsste, wäre sehr hoch. Die langfristigen Zinsen würden in die Höhe schnellen. Das kann eine sehr starke Eigendynamik entwickeln. Und es kann auch auf andere Länder ausstrahlen. Wenn ein so großes Land wie Deutschland eine ungesunde Haushaltspolitik betriebe, dann könnte das Zinsniveau im Euro-Raum insgesamt steigen. Die Risikoprämie müssten dann eben doch alle mittragen. Es ist ganz wichtig, dass die EZB nicht aus Angst vor solchen Entwicklungen plötzlich doch die Gelddruckerei anwirft. Die Gefahr ist, dass einzelne EZB-Ratsmitglieder vielleicht doch nicht europäisch denken. Allerdings ist die Unabhängigkeit der EZB in einem Maße gesichert, wie es die der Bundesbank nie war.

Wenn es den Pakt nicht mehr gäbe, entschiede nur der Kapitalmarkt über das ökonomische Wohlverhalten einer Regierung.

Der Kapitalmarkt und der Wähler.

Reden Sie als Schweizer sich eigentlich leichter? Die Schweiz ist kein Euro-Land.

Ich bin schon viel zu lange in Deutschland, ich denke im deutschen Interesse. Aber auch die Schweiz kann kein Interesse an einem schlechten Euro-System haben. Die Schweiz ist so abhängig. Das ist eine Riesenillusion zu glauben, die Schweiz könne schadenfroh zuschauen.

Das Gespräch führte Moritz Döbler.

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