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Wirtschaft: „Wir müssen solidarisch sein“

Anton Wolfgang Graf von Faber-Castell über den perfekten Bleistift, die Reichensteuer und unternehmerische Verantwortung am Standort Deutschland

Graf von Faber-Castell, spitzen Sie ihre Bleistifte selbst – oder lassen Sie spitzen?

Ich spitze noch selbst. Das geht sehr komfortabel mit dem perfekten Bleistift, den wir erfunden haben. Er hat seinen eigenen Spitzer.

Faber-Castell produziert jedes Jahr 1,8 Milliarden Bleistifte. Wie lässt sich ein simples Produkt so aufwerten, dass es als Marke über Jahrzehnte attraktiv bleibt?

Wenn Sie mich vor 25 Jahren gefragt hätten, ob im Jahr 2005 noch Innovationen beim Bleistift möglich sind, hätte ich mit dem Kopf geschüttelt. Aber es lohnt sich immer noch, über dieses unspektakuläre Produkt nachzudenken.

Heraus kommt dabei ein perfekter Bleistift für 160 Euro. Den können sich nicht viele leisten, oder?

Mehr als Sie denken. Aber es gibt ihn auch in einfacher Ausführung für 5,90 Euro. Aber eben auch platiniert oder versilbert. Von entscheidender Bedeutung für uns ist der „Point of difference“, also ein Zusatznutzen, der unsere Produkte von konkurrierenden Marken absetzt. Das gilt nicht nur für das Luxussegment, sondern auch für Produkte des täglichen Bedarfs. Zum Beispiel für unsere dreikantigen Blei- und Buntstifte mit Noppen. Für die ergonomische Griffzone dieser Stifte haben wir ein weltweites Patent.

Glauben Sie, dass Kunden allein dafür tiefer in die Tasche greifen?

Ich glaube, es gibt einen Markt für Menschen, die Markenartikel mit hohem Qualitätsanspruch schätzen. Dafür steht Faber-Castell. Wir haben den Vorteil, dass wir Produkte für unterschiedliche Zielgruppen, insbesondere Kinder herstellen. Mütter wollen ihren Kindern etwas Gutes tun und sie legen Wert auf Qualität. Dafür geben sie auch mehr Geld aus.

Können Marken „Made in Germany“ nur mit höheren Preisen überleben?

Der hochpreisige Bereich ist von der Konsumschwäche nicht berührt. Die Wohlhabenden konsumieren immer, inzwischen auch in China. Aber mit Produkten für diese Zielgruppe allein können wir nicht überleben. Wenn Sie so wollen, stellen wir in Deutschland die „Klasse“ her. Die „Masse“ fertigen wir außerhalb Europas.

Wie wichtig ist Deutschland? 80 Prozent des Umsatzes machen Sie im Ausland.

Mir ist wichtig, dass Faber-Castell ein internationales Unternehmen mit deutschen Wurzeln bleibt. Wir unternehmen in achter Generation den ernsthaften Versuch, auch in der neunten Generation in Deutschland zu produzieren. Das ist ja keine Selbstverständlichkeit. Damit sichern wir nicht nur Arbeitsplätze, sondern es ist auch für die Marke mit seiner Verankerung in Deutschland wichtig.

Warum sind viele deutsche Marken verschwunden – nur aus Kostengründen?

Es gibt – vor allem in größeren Unternehmen – Technokraten, die weder Interesse noch eine emotionale Bindung zu ihren Produkten und, besonders wichtig, zu ihren Kunden haben. Diese Manager können sich nicht in ihre Kunden und deren Bedürfnisse hineinversetzen und sie interessieren sich nicht mehr dafür, die Probleme des Alltags zu lösen.

Fällt das einem Eigentümer-Unternehmer leichter?

Im besten Fall, ja. Ich leite ja nicht nur das Geschäft von Faber-Castell, sondern ich bin Namensträger. Das ist ein zusätzlicher Stimulus. Das heißt nicht, dass es nicht auch gute angestellte Manager mit hoher Motivation gibt. Aber der Anreiz für mich, dieses Unternehmen zu erhalten, das ich von meinem Vater übernommen habe, ist ungleich größer. Für mich wäre es ein Armutszeugnis, wenn ich den Produktionsstandort Deutschland schließen müsste, nachdem sich Generationen bemüht haben, ihn zu halten.

Sind Sie einverstanden, dass Sie künftig Reichensteuer zahlen müssen?

Wenn es hilft, versperre ich mich einer Reichensteuer nicht. Die Frage ist, ob damit an Symptomen kuriert wird, ohne die Ursachen für die Haushaltslöcher zu bekämpfen. Wenn wir Wohlhabenden aufgefordert sind, einen Solidarbeitrag zu leisten, um die Reformen durchzuziehen und auch den sozialen Frieden zu erhalten, dann bin ich einverstanden.

Einige Unternehmerkollegen schlagen da andere Töne an…

Ich schere mich wenig darum, was Unternehmerkollegen sagen. Da sagt jeder etwas anderes. Aber ich bin davon überzeugt, dass per saldo bei Unternehmern Verständnis für die politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen der Regierung da ist. Unter der Voraussetzung allerdings, dass die erforderlichen Reformen mit der nötigen Konsequenz umgesetzt werden. Und das ist nicht einfach.

Was bedeutet die Erhöhung der Mehrwertsteuer für Sie als Konsumgüterhersteller?

Steuererhöhungen freuen niemanden. Aber in Anbetracht der Gesamtsituation bleibt gar nichts anderes übrig als ein Bündel unpopulärer Maßnahmen. Da spreche ich als Staatsbürger. Es wäre kleinkariert, wenn ich nur als Unternehmer darüber klagen würde, dass eine höhere Mehrwertsteuer meine armen Kunden trifft. Irgendwann trifft es uns alle. Wir müssen solidarisch sein – egal, ob reich oder arm. Soziale Marktwirtschaft bedeutet aber auch, dass man stärker auf die Eigenverantwortung der Bürger setzt.

Allenthalben wird von der Renaissance der Familienunternehmen gesprochen. Viele entwickeln sich besser als börsennotierte Firmen. Wie erklären Sie sich das?

Ich erkläre es mir unter anderem mit dem langfristigen Denken und Handeln, und eben nicht dem „Quarterly Earnings per share“, Kontinuität in der Führung und marktnahem Handeln. Ein Börsengang war für uns auch mal ein Thema, heute nicht mehr. Es reicht mir, dass Faber-Castell die Kriterien erfüllt, jederzeit an die Börse gehen zu können.

In Familienfirmen hängt vieles von der Unternehmerpersönlichkeit ab. Ein Risiko?

Ja, darin liegt eine Gefahr. Deshalb haben wir die Verantwortung auf mehrere Schultern und das operative Tagesgeschäft in den Weltregionen Europa/Nordamerika, Südamerika, Fernost verteilt. Die Hierarchie flach zu gestalten, Freiraum für selbstständiges Handeln zu lassen und Jüngeren mit neuen Ideen Verantwortung zu geben, das halte ich für sehr wichtig.

Mitarbeiter bezeichnen Sie als wohlwollenden Diktator. Wie passt das zusammen?

Wohlwollende Diktatur gilt nur für die Markenführung, die ich weltweit verantworte und die für das langfristige Überleben des Unternehmens von großer Bedeutung ist. Ansonsten halte ich von Diktatur im Geschäftsleben überhaupt nichts.

Was ist die größte Schwäche eines Familienunternehmens?

Wenn man zulässt, dass ungeachtet der Kenntnisse und Qualifikationen Onkel/Tante oder Neffe/Nichte einen Posten bekommen. Wenn dann Streit ausbricht, sieht es schlecht aus. Dagegen ist ein Streit unter Vorstandsmitgliedern gar nichts. Ich wollte übrigens deshalb am Anfang gar nicht ins Unternehmen. Das Investmentbanking in New York hat mich zudem mehr interessiert als die Bleistiftproduktion in Nürnberg. Aber es ist anders gekommen, und es hat sich gelohnt.

Ihre Kinder werden sobald nicht in die Konzernführung einsteigen. Wird die neunte Faber-Castell-Generation aus angestellten Managern bestehen?

Ich habe scherzhaft mal gesagt: Ab 90 möchte ich nur halbtags arbeiten. Natürlich mache ich mir Gedanken über den Führungswechsel. Man darf sich nicht überschätzen. Idealerweise entwickelt sich eine jüngere Führungskraft aus dem Unternehmen als mein Nachfolger. Sonst müssen wir eine externe Lösung finden.

Wie stellen Sie sicher, dass dieser Vorstand auch das soziale Engagement des Unternehmens fortsetzt?

Als Aufsichtsrat und Eigentümer werde ich meinen Einfluss mittelfristig geltend machen. Soziales Engagement ist Teil der Unternehmenskultur – nicht erst seit gestern. Wenn man Mitarbeiter vernünftig behandelt, geben sie es einem zurück. Man muss es sich nur leisten können.

Welchen Stellenwert hat Luxus für Sie?

Als Erzeuger von Luxusartikeln hat Luxus einen beachtlichen Stellenwert. Wobei mir das Wort Luxusartikel suspekt ist, es hat den Geschmack des Überflüssigen. Luxus im Sinne von etwas Besonderem, einem Gegenstand von außergewöhnlichem Wert, mit einer überlegenen Funktion und besonderer Verarbeitung schätze ich hingegen sehr.

Das Gespräch führte Henrik Mortsiefer

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