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Wirtschaft: „Wir müssen überall die Besten sein“

Industriekommissar Günter Verheugen über den Haushalt der EU, den Sinn der Agrarpolitik und eine neue Vision für Europa

Herr Verheugen, der EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso hat dem britischen Premier Tony Blair vorgeworfen, das Geld von den Armen zu nehmen, um es den Reichen zu geben. Denn Blair schlägt ja vor, beim Budget der EU von 2007 bis 2013 den osteuropäischen Ländern weniger zu geben und sich selbst weiterhin einen Rabatt zu genehmigen. Sehen Sie das auch so?

Der derzeitige britische Vorschlag wird den Anforderungen an die europäische Politik der kommenden Jahre nicht gerecht. Wir werden damit nicht in der Lage sein, Verpflichtungen, die wir längst eingegangen sind, einzuhalten. Und wir werden auch unsere Versprechungen gegenüber den neuen Mitgliedsländern nicht halten können. Das bedrückt mich besonders, weil ich diese Zusagen im Namen der EU als Erweiterungskommissar gemacht habe.

Grundproblem des EU-Haushalts ist die Agrarpolitik. Sie frisst fast die Hälfte des Etats. Eigentlich wollten die Briten hier schon jetzt kürzen. Frankreich und andere EU-Länder haben sich aber quer gestellt. Jetzt pocht Blair auf eine Überprüfung im Jahre 2008. Finden Sie das richtig?

Die Agrarreform muss in jedem Fall weitergehen. Und wenn es ein Datum für eine grundsätzliche Überprüfung innerhalb der finanziellen Vorausschau gibt, würde die Kommission das begrüßen.

Ist eine Reform nicht früher nötig? Schließlich führt die Agrarpolitik dazu, dass für teures Geld zu viele Waren produziert werden, die auf dem Weltmarkt zu Billigstpreisen verkauft werden und den Entwicklungsländern Konkurrenz machen.

2002 gab es eine klare Vereinbarung, die Agrarausgaben bis 2013 festzuschreiben. Dem haben damals alle zugestimmt, auch Tony Blair. Das war die Voraussetzung für die Osterweiterung, und es gibt keine realistische Chance, diese Vereinbarung zu kündigen. Außerdem kann man beim Agraretat kurzfristig gar nicht sehr viel sparen. Die Agrarindustrie ist der größte Industriezweig Europas. Kürzt man hier, würden viele Arbeitsplätze gefährdet. Neue Kosten durch soziale Folgelasten würden dann entstehen. Es ist aber richtig, nicht mehr die Produktionsmenge mit Geld zu fördern, sondern die Qualität. Diese Richtung haben wir mit der Reform von 2002 eingeschlagen.

Auch auf der WTO-Ministerkonferenz kommende Woche in Hongkong wird es also keine weiteren Zugeständnisse an die Entwicklungsländer geben?

Es ist eine schwierige Verhandlungssituation. Ob in Hongkong der große Durchbruch erreicht werden kann, ist mehr als fraglich. Ich sehe wenig Spielraum für weitere große Zugeständnisse der EU.

Wenn die Einigung auf einen Finanzrahmen scheitert, stürzt die EU dann in eine noch tiefere Krise?

Die finanzielle Handlungsfähigkeit der EU ab 2007 muss geregelt werden. Sonst werden sich viele Zahlungen verspäten, viele Mittel werden überhaupt nicht verwendet werden können. Es geht aber auch um die Frage, ob diese erweiterte Union Handlungsfähigkeit beweisen kann. Wir hatten mit der Ablehnung der Verfassung ohnehin ein Jahr mit einer schweren Krise, die keineswegs vorbei ist. Wenn der Eindruck der Handlungsunfähigkeit und der Zerstrittenheit sich jetzt verstärken sollte, dann würde sich die Vertrauenskrise verschlimmern. Deshalb lastet auf dem Gipfel in Brüssel ein ganz besonderer Erfolgsdruck. Der britische Vorschlag ist ja noch nicht das letzte Wort, er ist die Verhandlungsgrundlage.

Fest steht, dass der Kommission weniger Geld zur Verfügung stehen wird, als sie sich wünscht. Worauf muss sie sich konzentrieren?

Europa muss auf einen Kurs des soliden und nachhaltigen Wachstums gebracht werden. Die vorhandenen Gelder müssen gezielter eingesetzt werden. Das gilt insbesondere für die gesamten Strukturfonds und das Programm für die ländliche Entwicklung. Wir werden also sehr viel strenger darauf achten müssen, dass Maßnahmen, die mit EU-Mitteln finanziert werden, einen Erfolg versprechen und messbaren Effekt für Wachstum und Beschäftigung haben. Wir wollen bis zum Jahr 2010 in Europa eine Beschäftigungsquote von 70 Prozent erreichen. Wir liegen heute bei knapp über 60 Prozent. Wenn uns das nicht gelingt, wird der Druck auf unsere Sozialsysteme wegen der demografischen Entwicklung so zunehmen, dass sie nicht mehr zu finanzieren sind.

Also gilt auch in Europa: Vorfahrt hat, was Arbeit schafft?

Die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit hat Vorfahrt in Europa - für Wachstum und Beschäftigung. Aber wir sind keine Marktradikalen. Wir bleiben dabei, dass die Marktwirtschaft einen festen Ordnungsrahmen braucht. Und der ist natürlich gleichermaßen bestimmt von unseren wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Zielen.

Macht die Kanzlerin Angela Merkel bei Ihren Plänen mit?

Ich habe mit großer Freude gehört, dass Frau Merkel in ihrer Regierungserklärung angekündigt hat, die Brüsseler Wachstums- und Beschäftigungsstrategie vollständig unterstützen zu wollen. Die neue Regierung unterstützt außerdem den Bürokratieabbau in der EU – einen wichtigen Aspekt der Wachstumsstrategie. Diese Signale stimmen mich optimistisch, dass Deutschland eine positive und konstruktive Rolle im europäischen Konzert spielen wird.

Muss eine neue Vision für die EU eine wirtschaftliche sein, und nicht mehr eine politische wie die Friedenssicherung?

Das Fundament jeder europäischen Politik bleibt die Notwendigkeit der Friedenssicherung. Jetzt geht es speziell darum, dafür zu sorgen, dass wir unsere europäische Lebensweise in Wohlstand und sozialer Sicherheit verlässlich beibehalten können. Angesichts des weltweit steigenden Wettbewerbs muss das Potenzial der EU besser genutzt werden, weil kein Staat alleine diese Herausforderung bewältigen kann. Wir können nicht mit niedrigen Löhnen mithalten, also müssen wir uns darauf konzentrieren, Spitzentechnologie und Spitzenqualität anzubieten, und dazu muss viel mehr Geld in die Forschung investiert werden. Wir müssen überall die Besten sein.

Das Gespräch führten Albrecht Meier und Flora Wisdorff.

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