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Wirtschaft: „Wir schrumpfen vor uns hin“

Die Wachstumsschwäche wird für die Gesellschaft zur Zerreißprobe, warnt BDI-Präsident Michael Rogowski

Von Carsten Brönstrup und

Ursula Weidenfeld

Das Problem ist eine Null. Um null Prozent wird die deutsche Wirtschaft voraussichtlich in diesem Jahr wachsen – und auch 2004 wird die Konjunktur trotz eines kleinen Aufschwungs verhalten bleiben. Michael Rogowski, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), findet, dass sich derzeit in der Wirtschaft heimlich, still und leise eine Katastrophe ereignet. „Bei weiterem Nullwachstum werden die Arbeitslosigkeit und die Verteilungskonflikte enorm zunehmen“, sagte er dem Tagesspiegel am Sonntag. Ökonomen pflichten ihm bei. „Ohne Wachstum können wir die enormen Probleme der nächsten Jahrzehnte nicht lösen“, sagt Allianz-Chefvolkswirt Michael Heise.

Als das Statistische Bundesamt jüngst bestätigte, dass Deutschland in der zweiten Rezession binnen zweier Jahre steckt, reagierte die Regierung erstaunlich gelassen. Ebenso stoisch nahm sie zur Kenntnis, was der Sachverständigenrat herausgefunden hatte: dass die einst so potente Wirtschaft kurzfristig gar nicht mehr in der Lage ist, nennenswert zu wachsen. Mehr als ein bis 1,5 Prozent sind nicht drin, haben die „Fünf Weisen“ berechnet. Schuld daran ist der seit Jahren anhaltende Investitionsstau in den Unternehmen.

BDI-Chef Rogowski ist alarmiert. Ohne Wachstum lasse sich der Wohlstand nicht halten, sagt er. „Wenn ein Unternehmen nicht mehr wächst, bleibt es dennoch dem Preis- und Kostendruck des Marktes ausgesetzt. Um dem zu begegnen, muss es rationalisieren und die Personalkosten senken. Das geht nur mit Kündigungen.“ Übertragen auf die Volkswirtschaft heißt das: Findet sich das Land mit dürftigem Wachstum ab, wird die Arbeitslosigkeit weiter steigen – und mit ihr die Ansprüche an die, die noch Arbeit haben.

Das Problem kennt Rogowski als Aufsichtsrats-Chef des Maschinenbauers Voith in Heidenheim. Dort seien die Personalkosten in den vergangenen 13 Monaten um 8,5 Prozent gestiegen. Konsequenz: „Wir müssen in Deutschland Personal abbauen, zugunsten von Ländern wie Brasilien und China.“ Dazu gebe es im Augenblick keine Alternative: „Wir sind ein Teil der Gemeinschaft in diesem Land und bereit, für diese Gemeinschaft etwas zu leisten. Aber die Gemeinschaft muss uns auch etwas leisten lassen“, klagt er.

Angesichts der Probleme Deutschlands sei die Wachstumsschwäche besonders gefährlich. Ohne ein steigendes Bruttoinlandsprodukt ließen sich die Verteilungskonflikte kaum noch finanzieren. „Der Umbau der Sozialversicherungen in ein Grundsicherungssystem wird enorm viel Geld kosten, das über Steuern aufgebracht werden muss. Wenn wir das in einer stagnierenden Wirtschaft tun wollen, wird es uns nicht gelingen“, prophezeit er. „Die Konflikte zwischen Jung und Alt verschärfen sich, wenn wir nicht genügend Wachstum hinbekommen.“

Mit dieser Mahnung steht Rogowski nicht allein. „Deutschland hat drei Probleme: die Massenarbeitslosigkeit, die ausufernde Verschuldung und die Alterung der Gesellschaft“, analysiert Allianz-Experte Heise. „Wenn wir diese Probleme nicht in den Griff bekommen, wird eine Spirale nach unten in Gang gesetzt“, warnt er. „Zwei Prozent Wachstum im langjährigen Schnitt müssten es schon sein“, empfiehlt er. Zum Vergleich: Seit 2001 ist das BIP nicht über ein Plus von 0,8 Prozent hinausgekommen.

Im Vergleich zu anderen Ländern fällt Deutschland damit immer weiter zurück, bemängelt Thomas Straubhaar, Präsident des Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archivs (HWWA). „Das ist kein Problem – dann müssen sich die Deutschen allerdings mit stagnierenden Löhnen, einer immer schwächeren Währung und einem daher sinkenden Lebensstandard abfinden“, gibt er zu bedenken.

Wollen sie aber nicht, sagt Industrie-Chef Rogowski. Deshalb müsse die Politik schleunigst handeln. „Das ist doch keine Botschaft: Wir schrumpfen so vor uns hin. Die Menschen müssen eine Vision und Ziele haben. Wenn wir wollen, dass sie bereit sind, mehr zu leisten, dann müssen wir ihnen auch in Aussicht stellen, dass ihr Wohlstand wächst.“

Zwar könne die Politik nicht für mehr Produktion sorgen. „Es ist die Aufgabe der Unternehmen, Wachstum zu schaffen“, sagt Rogowski, „aber die Politik muss für das richtige Umfeld sorgen.“ Das tue sie nicht ausreichend, trotz der Reformanstrengungen. „Dazu müssen wir Löcher in die Tarifverträge bohren. Die Eingangslöhne für einfache Jobs sind immer noch zu hoch“, sagt Rogowski. Zudem müsse die Staatsquote auf 40 Prozent begrenzt werden. Dazu sollten die Sozialbeiträge unter 35 Prozent des Bruttolohns abgesenkt werden, der Spitzensteuersatz für Personen und Firmen auf 30 Prozent und der Eingangssteuersatz auf unter 15 Prozent.

„Dazu muss der Staat die Subventionen deutlich zurückführen. Bund, Länder und Gemeinden müssen ihre über 100000 Staatsbeteiligungen verkaufen und ihre Personal- und Sachausgaben einfrieren. Infrastrukturaufgaben müssen stärker privat mitfinanziert, die Sozialversicherungen auf eine Grundsicherung reduziert und dem Wettbewerb ausgesetzt werden.“

Rogowski sagte, die bisherigen Pläne zur Subventionskürzung der Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) und Peer Steinbrück (SPD) seien „nicht ehrgeizig genug“. Statt der geplanten Abschmelzung von zehn Prozent in drei Jahren müssten alle Subventionen jedes Jahr um zehn Prozent gekürzt werden. „Dazu muss es ein Subventionsbegrenzungsgesetz geben, das alle Subventionen befristet und degressiv gestaltet. Jedes Jahr, spätestens jedes zweite Jahr, müssen alle staatlichen Unterstützungszahlungen in einem umfassenden Subventionsbericht für Bund, Länder und Gemeinden dokumentiert werden.“

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