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Wirtschaft: "Wir sind nach wie vor zu Kompromissen bereit"

HUBERTUS SCHMOLDT, 1945 in Posen geboren, kam 1995 an die Spitze der damaligen IG Chemie.Vor gut einem Jahr fusionierte die IG Chemie mit der Gewerkschaft Leder und der IG Bergbau und Energie.

HUBERTUS SCHMOLDT, 1945 in Posen geboren, kam 1995 an die Spitze der damaligen IG Chemie.Vor gut einem Jahr fusionierte die IG Chemie mit der Gewerkschaft Leder und der IG Bergbau und Energie.Der Sozialdemokrat Schmoldt gilt im Arbeitnehmerlager als Pragmatiker.Vor der Bundestagswahl hatte er sich für eine Große Koalition ausgesprochen.An den rot-grünen Koalitionsbeschlüssen hat Schmoldt die Einführung der Ökosteuer sowie den langfristigen Ausstieg aus der Kernenergie scharf kritisiert.

TAGESSPIEGEL: Herr Schmoldt, haben Sie inzwischen eine Einladung für die erste Bündnisrunde?

SCHMOLDT: Nein.Es gibt noch keinen Termin.Der Kanzler hat ja angekündigt, für Ende November einladen zu wollen.Ich gehe davon aus, daß es dabei bleibt, denn wir müssen endlich vorankommen.

TAGESSPIEGEL: Wie bereiten Sie sich auf die Gespräche vor?

SCHMOLDT: Wir haben uns im DGB darauf verständigt, daß wir das Bündnis für Arbeit anders als 1996 als einen Prozeß in Gang setzen wollen.Damals hatten wir versucht, in einem Papier alle möglichen Felder zu beschreiben, die Handlungsnotwendigkeiten aufzulisten und damit ein Gesamtpaket zu schnüren.Das wollen wir jetzt nicht.Die Zeit der Beschreibungen ist vorbei, es geht um konkrete Punkte.

TAGESSPIEGEL: Sind sich die Beteiligten denn einig in der Einschätzung der wichtigsten Ursachen der Massenarbeitslosigkeit?

SCHMOLDT: Davon gehe ich aus.Die Frage ist, welche Instrumente wir gemeinsam verabreden können.Der Bündnisprozeß muß beginnen mit einem Bekenntnis zur Bereitschaft aller Beteiligten, auch eigene Beiträge zu liefern.Dann wird es darauf ankommen, daß wir mit ein oder zwei Punkten beginnen.Wenn dann sichtbar wird, daß diese Dinge gelingen, bekommen wir eine Dynamik für den gesamten Prozeß des Bündnisses.Schritt für Schritt - etwa so wie in den 80er Jahren in den Niederlanden.

TAGESSPIEGEL: Mit welchen Punkten wollen Sie beginnen?

SCHMOLDT: Wir wollen, daß die Bedingungen für die Schaffung von 100 000 Ausbildungs- und Arbeitsplätzen für Jugendliche schnell verabredet werden.Dann brauchen wir umgehend für die Teilzeitarbeit eine Mindestanspruch für die Rente.Außerdem wollen wir den Vorschlag des Bundesarbeitsministers umsetzen, daß die Beschäftigten mit 60 in Rente gehen, ohne die 18 Prozent Abschläge bei der Rente hinnehmen zu müssen, wie es derzeit der Fall ist.Die Förderung von Forschung und Entwicklung, Qualifizierung und Innovationen sowie Ausbildungsfragen werden weitere Bereiche sein.

TAGESSPIEGEL: Der Vorruhestand soll mit dem sogenannten Tariffonds ermöglicht werden.Wie funktioniert das?

SCHMOLDT: Das Modell sieht vor, daß eine bestimmte Zahl von Jahren - angedacht sind etwa fünf Jahre - jedes Jahr ein Prozent der Tarifsumme in diesen Fonds fließt, aus dem dann beim vorgezogenen Ruhestand die 18 Prozent Ausgleich gezahlt werden.Und weil wir davon ausgehen, daß der Fonds mehr Mittel enthält, als für den Rentenausgleich erforderlich, kann dann auch noch etwas für Ausbildung getan werden.

TAGESSPIEGEL: Was meinen Sie mit Tarifsumme?

SCHMOLDT: Von den verabredeten Tarifergebnissen, also den Lohn- und Gehaltserhöhungen, soll ein Prozent in den Fonds fließen.Die beiden Beteiligten, Arbeitgeber und Arbeitnehmer würden davon jeweils 0,5 Prozent beisteuern.

TAGESSPIEGEL: Wenn also in der Chemie drei Prozent mehr Lohn vereinbart werden, dann bekommen die Arbeitnehmer tatsächlich nur zwei Prozent mehr, weil ein Prozent in den Fonds geht?

SCHMOLDT: Nein.Die Arbeitnehmer bekommen 2,5 Prozent mehr Lohn, da sie nur mit 0,5 Prozent am Fonds beteiligt sind.Die anderen 0,5 Prozent kommen von den Arbeitgebern.So sieht jedenfalls die Grundidee aus.Nun muß darüber mit den Arbeitgebern gesprochen werden.

TAGESSPIEGEL: Welche Rolle spielt dabei die Politik?

SCHMOLDT: Die Politik muß Steuerfreiheit garantieren.Und die Politik muß grundsätzlich Steuern und Abgaben senken, damit die Kaufkraft bei den Beschäftigen zumindest erhalten bleibt.

TAGESSPIEGEL: Bundeskanzler Schröder hat Sie kürzlich aufgefordert, die von der Regierung reklamierten 2500 DM Entlastung der Durchschnittsfamilie in den Tarifverhandlungen zu berücksichtigen, also weniger zu fordern.

SCHMOLDT: Wir fordern wie immer das, was angemessen ist.Wenn die Bundesregierung mehr Kaufkraft ermöglicht, dann müssen die Tarifvertragsparteien überlegen, wie sie damit in den Tarifverhandlungen umgehen.Mit Sicherheit wird die Regierung aber keine Vorgaben für Tarifverhandlungen machen.Das wäre der Tod des Bündnisses.

TAGESSPIEGEL: Sie wollen die Tarifpolitik aus dem Bündnis raushalten?

SCHMOLDT: Nein.Das wird eine Rolle spielen.Aber das Thema bearbeiten wir, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, in eigener Verantwortung.Irgendwelche Korridore oder Leitlinien für die Tarifpolitik lassen wir uns nicht vorschreiben.

TAGESSPIEGEL: Sie halten jedenfalls nichts vom "Ende der Bescheidenheit" in der Lohnpolitik?

SCHMOLDT: Wir haben in der Vergangenheit Verantwortung bewiesen - und daran wird sich auch nichts ändern.Neben Einkommenserhöhungen haben wir immer auch den Beschäftigungsaspekt und die Wettbewerbsfähigkeiten der Unternehmen berücksichtigt.Als eine der größten Gewerkschaften fühlen wir uns auch dem Gemeinwesen insgesamt verpflichtet.

TAGESSPIEGEL: Im Rahmen des Bündnisses müßten "alle über ihren Schatten springen", so fordern Sie.Doch die Verzichtsbereitschaft bei den Arbeitnehmern ist nach jahrelangen Reallohneinbußen nicht eben groß.Die Leute wollen mehr Geld - entsprechend größer wird der Schatten, über den Sie springen müssen.

SCHMOLDT: Es gibt den berechtigten Wunsch nach mehr Kaufkraft.Aber es gibt auch die Bereitschaft, tarifpolitisch etwas für die Beschäftigung zu tun.Es wird immer behauptet, die Leute würden nur ans Geld denken.Aber das stimmt nicht, unsere Erfahrungen aus den zurückliegenden Tarifrunden sind anders.

TAGESSPIEGEL: Mit dem Regierungswechsel sind die Erwartungen der Arbeitnehmer nochmals gestiegen.

SCHMOLDT: Wir haben in der vergangenen Tarifrunde einen Einkommenszuwachs von drei Prozent erreicht.Dieser Abschluß ist in den Betrieben gut aufgenommen worden.Außerdem haben wir den Vertrag über Altersteilzeit verbessert und schließlich tarifpolitisches Neuland betreten: Mit der - freiwilligen - Umwandlung der vermögenswirksamen Leistungen haben wir eine zusätzliche Säule in der Altersvorsorge geschaffen.

TAGESSPIEGEL: Die Zahl der der Arbeitsplätze in Ihrem Bereich sinkt.

SCHMOLDT: Wir können doch nicht mit der Tarifpolitik die Konjunkturentwicklung und die Krise in Asien ausgleichen.Glauben Sie, wenn wir in den letzten Jahre überhaupt keine Tariferhöhungen durchgesetzt hätten, daß es dann mehr Arbeitsplätze gegeben hätte? Mit Sicherheit nicht.Was wir gemacht haben, ist Arbeitsplätze abzusichern.Doch als erfolgreiche Beschäftigungspolitik gilt offenbar nur der Zuwachs an Arbeitsplätzen.Die Beschäftigungssicherung wird nicht so wahrgenommen.

TAGESSPIEGEL: Ihr Kollege Klaus Zwickel will im Bündnis-Rahmen vor allem die Überstunden kappen und verspricht sich davon kurzfristig Beschäftigungseffekte.

SCHMOLDT: Das Problem ist sehr schnell zu lösen.Wir haben zum Beispiel in der Chemie tarifvertraglich geregelt, daß Überstunden grundsätzlich in Freizeit zu gewähren sind; gezahlt wird nur noch in wenigen Ausnahmefällen.Damit haben wir eine Halbierung der Mehrarbeit erreicht.Ganz abschaffen kann man Überstunden allerdings nicht.Die rechnerischen Arbeitsplatzeffekte wird es in der Wirklichkeit so auch nicht geben.

TAGESSPIEGEL: Was halten Sie von Überlegungen des Arbeitsministers, das Arbeitszeitgesetz zu verändern?

SCHMOLDT: Das ist ein Signal: Wenn man die gesetzliche Wochenstundenzahl von maximal 60 Stunden reduziert, dann macht man politisch deutlich, daß man die Überstunden wirksam senken will.Das wäre eine gute Unterstützung für eine tarifpolitische Lösung.

TAGESSPIEGEL: Die Bundesregierung belastet die Wirtschaft mit den steuerpolitischen Beschlüssen.Kann man da überhaupt Entgegenkommen von den Arbeitgebern erwarten?

SCHMOLDT: Die Veränderung bei bestimmten Gesetzen hat nichts mit dem Bündnis für Arbeit zu tun.Wir haben einen Politikwechsel, das müssen alle akzeptieren.Die Kritik vieler Arbeitgeber kann ich nicht verstehen, weil in dem jetzt vorgelegten Streichungskatalog vieles steht, was bereits Waigel vorhatte.Doch damals war die Kritik deutlich leiser als jetzt.Die Blockadehaltung vieler Arbeitgeber ist offenkundig.Sie müssen da endlich rauskommen.

TAGESSPIEGEL: Was blockieren sie?

SCHMOLDT: Zunächst grundsätzlich den Versuch eines Bündnisses für Arbeit.Da werden Vorbedingungen gestellt, und es wird gedroht, überhaupt nicht hinzugehen.Das haben sie bei Herrn Kohl nicht gesagt.

TAGESSPIEGEL: Nun können Sie die Arbeitgeber nicht zwingen.

SCHMOLDT: Die Bereitschaft zum Kompromiß und Konsens hat bislang das Erfolgsmodell Deutschland ausgemacht.Wenn die Arbeitgeber das aufgeben wollen, dann hat das Konsequenzen für das Verhalten der Gewerkschaften.Wir sind jedenfalls nach wie vor zu Kompromissen bereit.

ALFONS FRESE.

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