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Wirtschaft: „Wir sind noch viel zu weit weg vom Kunden“

T-Online-Chef Thomas Holtrop über Computer-Viren, die Digitalisierung der Behörden und das Internet auf dem Fernseher

Herr Holtrop, immer mehr Viren, Würmer und trojanische Pferde bevölkern das Internet und gefährden die Nutzer. Haben Ihre Kunden die Lust am Internet schon verloren?

Ehrlich gesagt, sehen wir eine ganz andere Entwicklung: Die Kunden bleiben immer länger im Netz. Vor allem solche, die einen schnellen DSLAnschluss haben, nutzen das Internet immer intensiver. Die Virenattacken erregen natürlich viel Aufmerksamkeit. Bei uns hat es dazu geführt, dass wir mehr als 700000 Bündelprodukte wie zum Beispiel Anti-Virus-Programme verkauft haben – weil man sich so dagegen schützen kann.

Sie verdienen also gut an den Viren…

Manche mögen vielleicht denken, dass wir die Viren in die Welt setzen, um die Schutzprogramme absetzen zu können. Aber das tun wir natürlich nicht.

Aber Sie unternehmen nicht genug gegen Angriffe aus dem Netz.

Es gibt bei T-Online ein Team, das Informationen zu den Absendern von Viren und unerwünschten Massen-E-Mails sammelt. Anhand dieser Informationen versuchen wir, die Absender zu identifizieren. In einzelnen Fällen erstatten wir auch Strafanzeige.

Was geben Sie selbst für Schutzmaßnahmen im eigenen Unternehmen aus?

Diese Zahlen weisen wir nicht aus. Aber wir haben Spezialisten, die sich intensiv damit beschäftigen.

Das heißt für die Kunden, dass sie selbst zu Sicherheitsspezialisten werden müssen. Das ist für die meisten zu kompliziert.

Bei vielen Anwendungen ist es uns schon gelungen, die Komplexität abzubauen und die Installation zu erleichtern. Der Schutz vor Viren wird einfacher. Wir arbeiten mit dem Weltmarktführer Symantec zusammen.

Ja, aber bis dahin vergrößert sich die Kluft zwischen denen, die das Internet nutzen und denen, die es nicht tun. Und ältere Menschen sind regelrecht abgeschreckt.

Ich sehe die Gefahr der digitalen Spaltung in Deutschland nicht mehr so dramatisch wie noch vor einigen Jahren. Natürlich gibt es eine höhere Affinität für das Internet bei jüngeren Menschen. Das sehen wir auch an den Nutzungszahlen. Aber die ältere Generation kommt: Laut dem Marktforschungsinstitut Forsa hat die Internetnutzung der Gruppe der über 50-Jährigen in 2003 überproportional zugenommen.

Wie wollen Sie die ins Netz bekommen, die noch draußen sind?

Da müssen wir gar keine große Überzeugungsarbeit leisten. Wir stehen ja beim Breitband-Internet gerade erst an der Schwelle zum Massenmarkt. Die Technikbegeisterung der deutschen Konsumenten hilft uns dabei. Wir kümmern uns in der Vermarktung heute noch gar nicht um die, die eher resistent gegen diese Themen sind. Die technikaffinen Kunden finden Sie übrigens vor allem in den Ballungsgebieten.

Also gibt es doch eine digitale Spaltung?

Bezogen auf Ballungsgebiete und ländliche Gegenden mag das noch stimmen, aber auch das nimmt ab. Wir sehen zum Beispiel, wie wirksam Programme wie „Schulen ans Netz“ sind, das die Deutsche Telekom zusammen mit dem Bundesministerium für Forschung und Bildung durchgeführt hat.

Es ist also Aufgabe der Politik, für mehr Internetbegeisterung zu sorgen?

Es ist eine Mischung aus privatwirtschaftlicher Initiative und öffentlichem Auftrag. Es ist Aufgabe der Politik, auch die Verwaltung ins digitale Zeitalter zu bringen. Es reicht nicht, im Internet präsent zu sein, auch die Arbeitsprozesse müssen digitalisiert werden.

Ist es gerechtfertigt, dass die Bundesagentur für Arbeit für ein Jobportal 163 Millionen Euro ausgibt?

Ich kenne das Projekt in seinem Ausmaß nicht, aber man darf die Aufgabe nicht unterschätzen. Wenn man Effizienz durch Digitalisierung ernst nimmt, muss alles digital vernetzt werden. Das ist eine völlige Neubetrachtung und Neuorganisation aller Abläufe. Aber diesen Weg müssen wir aus meiner Sicht in Deutschland gehen. Das gilt nicht nur für die Bundesagentur, das gilt auch für jede andere Behörde.

Glauben Sie, dass die Behörden es begreifen?

Das kann ich nicht beurteilen. Ich glaube, es wäre gut, einige ganz konkrete Anwendungen für den Bürger vollständig zu digitalisieren – wie etwa das Beantragen und Ausstellen eines Personalausweises. Nur anhand solcher Beispiele können die Bürger erkennen, wie sinnvoll das sein kann. Es geht nicht darum, 1000 Themen zu beginnen und auf halbem Weg stecken zu bleiben.

Welche innovativen Wege gehen Sie?

Wir bringen jetzt den Computer und das Internet ins Wohnzimmer. Das ist hoch spannend. Mit „T-Online Vision on TV“ ist jeder in der Lage, über das Fernsehgerät Filme aus dem Netz herunterzuladen und weitere Internetdienste wie etwa E-Mail zu nutzen. Die Auswahl umfasst rund 90 Spielfilme.

Und kann man das Produkt für den Fernseher auch schon kaufen?

Die Vermarktung beginnt jetzt gerade. Sie brauchen nur einen DSL-Anschluss und die Settop-Box von Fujitsu-Siemens.

Wie viele Kunden verstehen das schon?

Wir rechnen 2004 zunächst mit einer fünfstelligen Zahl. Das Produkt ist sehr gut. Ich nutze es bereits zu Hause. Mit zwei Klicks kaufen Sie einen Film, dann läuft das Video. In den nächsten zwölf bis 18 Monaten wird der Preis für die Boxen auf 300 bis 250 Euro sinken, denn es werden sicher noch andere Anbieter kommen. Schauen Sie sich den Markt für DVD-Player an. Bis jetzt gibt es nur eine Box von Fujitsu-Siemens für rund 900 Euro.

Auch wenn der Einstiegspreis sinken sollte: Wer will schon 300 Euro für eine Box bezahlen, die er nicht braucht?

Sie werden sie brauchen: Heute haben viele ein Mobiltelefon, die vor Jahren noch gesagt haben, dass sie so etwas nicht brauchen. Ich glaube fest daran, dass sich die digitalen Märkte Musik und Video immer stärker entwickeln werden – je mehr legale Musikangebote kommen und je einfacher sie aufbereitet sind, desto attraktiver werden sie.

Was sind Kunden bereit, für Filme und Musik aus dem Netz auszugeben?

Bei den Filmen reicht das von drei bis fünf Euro, je nach Aktualität. Ein Musikstück gibt es ab 79 Cent. Aber je reifer der Markt wird, desto mehr Pakete und Abonnements werden wir anbieten.

Welche Neuheiten zeigen Sie auf der Cebit?

Wir haben mit Produktinnovation wie „Musicload“ und „T-Online Vision on TV“ unsere Felder abgesteckt. Wir werden auf der Cebit den neu gestalteten Auftritt des Musikportals „Musicload“ präsentieren und eine Reihe von Weiterentwicklungen – vor allem was die Kundenorientierung betrifft. Ich glaube, dass die gesamte Online-Industrie noch viel zu weit weg ist vom Kunden, gerade was die Benutzerfreundlichkeit betrifft.

Benutzerfreundlichkeit wäre etwas Neues in der Branche. Wie wollen Sie das erreichen?

Durch Qualitätskontrolle. Bei uns rollt kein Produkt vom Band, das nicht ausführlich im Labor und von Kunden getestet wurde. Wir schicken auch Produkte zurück, wenn sie unseren Ansprüchen nicht genügen.

Sie hatten gerade Schwierigkeiten, den Ansprüchen des Kapitalmarkts zu genügen. Als Sie vergangene Woche Ihre Bilanz vorgelegt haben, ist der Kurs um elf Prozent abgestürzt.

Der Kapitalmarkt hat übertrieben reagiert. Wir haben unsere Ziele was Profitabilität anbelangt zum Teil übertroffen. Beim Umsatz und bei der Gewinnung von Neukunden im vierten Quartal sind wir zwar zu kurz gesprungen, aber die Reaktion war sehr heftig. Das lässt sich sicherlich auch damit erklären, dass es noch eine Reihe von Spekulationen im Kurs gab, etwa dass die Telekom T-Online-Aktien zurückkauft. Als klar war, dass das nicht passiert, ist der Kurs eingebrochen. Dennoch: Wir hatten 2003 ein gutes Jahr.

Diese Botschaft ist an der Börse nicht angekommen…

Das stimmt, wir werden hart arbeiten müssen und Überzeugungsarbeit leisten. 2004 streben wir zum ersten Mal einen Nettogewinn an, und wir wollen bis zu 350 Millionen Euro mehr Umsatz machen. Wir sind auf einem sehr guten Weg – mit einigen Herausforderungen.

Und einer gut gefüllten Kasse: Was machen Sie mit vier Milliarden Euro freien Mitteln?

Derzeit sehe ich kein Ziel für eine Akquisition. Ich kann warten.

Das Gespräch führte Corinna Visser.

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