zum Hauptinhalt

Wirtschaft: "Wir stehen Gewehr bei Fuß"

Bei Berlin Cosmetics in Marzahn hofft man auf einen neuen Investor / Für die laufende Produktion fehlt das GeldVON JOACHIM HOFERFreitag morgen, kurz nach elf.Die Produktionshallen der Berlin Cosmetics sind menschenleer.

Bei Berlin Cosmetics in Marzahn hofft man auf einen neuen Investor / Für die laufende Produktion fehlt das GeldVON JOACHIM HOFER

Freitag morgen, kurz nach elf.Die Produktionshallen der Berlin Cosmetics sind menschenleer.Der Edelstahl der Abfüllmaschinen glänzt im fahlen Licht, das durch die Fensterfront in die großzügigen Hallen fällt.In der Luft liegt ein Duft vom Parfüm.Für die meisten der 93 Mitarbeiter des Kosmetikherstellers hat das Wochenende unfreiwillig früh angefangen.Viel lieber würden sie an den Maschinen stehen und Shampoo abfüllen.Doch für die Produktion fehlt dem Marzahner Unternehmen das Geld.Mitte Juni mußte die Firma die Gesamtvollstreckung beantragen ­ seitdem bangen die Beschäftigten um ihren Job, blicken in eine ungewisse Zukunft. In den Regalen der Supermärkte gehen Shampoos, Lippenstifte und Cremes von Berlin Cosmetics langsam zur Neige, erzählt Marena Kühnert, die Marketing-Managerin.Ende Mai liefen die letzten Produkte der Hausmarken Koivo und Indra vom Band."Die Leute haben Hamsterkäufe gemacht, als sie von unserer Lage gehört haben", sagt Kühnert.Sie weiß um die Popularität ihrer Kosmetikartikel im Osten Deutschlands.Vor der Wende war das Unternehmen der einzige Produzent im Lande.Heute gehören die großen Handelsketten zu den Abnehmern, lassen Produkte aber auch unter eigenem Namen bei Berlin Cosmetics an der Bitterfelder Straße fertigen. Die Anlagen sind modern, die Herstellung weitgehend rationalisiert.Lippenstifte laufen zu Hunderten durch die Gießautomaten, große Blöcke der farbigen Masse werden in eine makellos runde Form gebracht.Vollautomatisch stülpen Greifarme die Plastikummantelung auf die zerbrechlichen Wachsfinger.Ohne menschliches Zutun wird der Lippenstift schließlich auf Hochglanz poliert.Geübte Augen kontrollieren vor einem Spiegel, ob die leichte Ware ­ ein Stift wiegt nur wenige Gramm ­ einmal an den Lippen einer Frau leuchten wird, oder zum Ausschuß wandert. Drei, vier Leute stehen hier, wenn die Maschinen auf Hochtouren arbeiten.Kleinere Serien, sagt Produktionsleiterin Sylvia Busch, werden noch mit der Hand gegossen.Bei weit über 30 Farbschattierungen kommt es schon mal vor, daß von einem Ton keine 2000 Stück durch die großen Maschinen laufen und sich Handarbeit lohnt.Gleich neben Mascaras und Lippenstiften kommt die Creme in die Tube.Auf drei mal drei Metern werden Tages- und Feuchtigkeits-, Nacht- und getönte Cremes in die Plastikschläuche gepreßt."Weitgehend automatisch", betont Busch.Was sie nicht erklärt, dem Besucher aber nicht verborgen bleibt, sind unzählige weiße Aufkleber auf den modernen Maschinen."Sicherungseigentum Nord LB / West LB" ist überall zu lesen ­ eine Vorsichtsmaßnahme der Banken. Im niedrigen, langgestreckten Raum der Deodorant-Produktion liegt ein Geruch wie im Duschsaal eines Hallenbades in der Luft.Noch am frühen Freitag morgen liefen hier die Fläschchen mit "Tamoré" über die Förderbänder, ein Deo, das die Marzahner exklusiv für die Rewe-Handelsgruppe abfüllen.Aus riesigen Stahlbehältern läuft die durchsichtige Flüssigkeit in kleine Glasfläschchen.Ohne Unterbrechung setzt der Roboter an Werktagen die Plastik-Roller darauf.Am Ende der Maschine wird das Etikett aufgeklebt. Was genau in dem Deo ist, will Produktionschefin Busch nicht verraten.Nur soviel: Rewe kam mit detaillierten Vorgaben auf die Berliner zu.Schließlich sollen die Produkte in den Überprüfungen von Stiftung Warentest und Ökotest gut abschneiden. Ob es in Zukunft überhaupt noch Kosmetika aus Marzahn geben wird, das bewegt die Mitarbeiter seit Monaten.In den vergangenen zwei Jahren mußten schon einmal über 30 Leute das Unternehmen verlassen.Zu DDR-Zeiten standen im Stammhaus des Kosmetik-Kombinats noch über 1000 Männer und Frauen in Lohn und Brot.Ein neuer Investor wurde dem Vernehmen nach bereits gefunden.80 Arbeitsplätze sollen erhalten bleiben.Sequester Axel Koehler weigert sich allerdings beständig, Namen zu nennen.Vor allem aber fehlen die vier Mill.DM Anschubfinanzierung von Senat und BvS, mit denen die Produktion wieder starten könnte.Der Amerikaner Raymond J.Learsy hatte den Betrieb im Frühjahr 1993 von der Treuhand übernommen und war bis Ende Mai diesen Jahres Geschäftsführer.Sein Finanzierungskonzept platzte allerdings. Marketingchefin Kühnert hat die Konzepte für den neuen Inhaber schon fertig im Schreibtisch liegen.Neue Produkte hat die Entwicklungsabteilung längst parat.So soll unter dem Namen Koivo eine eigene Männer- und Frauenserie starten."Wir haben keine Zeit verloren, als wir nicht produziert haben", sagt Kühnert, "wir brauchen nur das Geld, um loszulegen".Mit Direktwerbung in den Supermärkten will sie das Sortiment an Mann und Frau bringen.Ganz langsam soll dann auch der Sprung in westdeutsche Supermärkte klappen.Ob es wirklich soweit kommt, das hänge ganz allein vom neuen Eigentümer ab.Marena Kühnert jedenfalls ist optimistisch: "Wir stehen Gewehr bei Fuß."

JOACHIM HOFER

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false