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Wirtschaft: „Wir stehen vor echten Richtungsentscheidungen“

Die DGB-Vizechefin Ursula Engelen-Kefer über Sozialpolitik, Männer-Intrigen und die Chance einer neuen Vorstandskandidatur

Frau Engelen-Kefer, was werden Sie künftig machen?

Das ist von den Entscheidungen des DGB-Bundeskongresses abhängig. Aber ich habe vor, mich auch weiterhin in sozialpolitische Debatten einzumischen.

Dazu brauchen Sie ein Amt.

Das ist mir vollkommen klar. Deshalb werde ich versuchen, auch künftig so viel Gewicht zu haben wie möglich.

Innerhalb des DGB?

Das kann innerhalb und außerhalb des DGB sein.

Warum sagen Sie nicht ganz klar, ich kandidiere, oder, ich kandidiere nicht?

Es gibt einen Vorschlag der Vorsitzenden der DGB-Gewerkschaften für den nächsten DGB-Vorstand. Ich bin nicht nominiert. Und wenn man nicht vorgeschlagen ist, kann man nicht kandidieren. Ich habe immer deutlich gemacht, dass ich weiterarbeiten will.

Was folgt daraus?

Der Vorschlag der Gewerkschaftsvorsitzenden ist zu respektieren. Allerdings würde bei dem Vorschlag zum ersten Mal die Position des oder der künftigen stellvertretenden DGB-Vorsitzenden nicht mit der Verantwortlichkeit für Sozialpolitik zusammenfallen. Das wird bei vielen Mitgliedern mit Besorgnis gesehen. Denn trotz der trügerischen Ruhe, die die große Koalition verbreitet, stehen wir in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik vor echten Richtungsentscheidungen. Und die soziale Sicherung ist für unsere Mitglieder neben der Tarifpolitik das entscheidende zweite Standbein für das persönliche Wohlergehen.

Also müssen Sie, die sozialpolitische Stimme der Gewerkschaften, noch bleiben.

Das habe ich nicht zu entscheiden. Das wäre auch vermessen. Es ging mir immer darum, meine Möglichkeiten, mich einzubringen, bestmöglich zu nutzen. Ich gehe nicht mit dem Kopf durch die Wand.

An der Spitze der Gewerkschaften stehen nur Männer. Hat Ihnen das geschadet?

Nein, aber Männer haben es einfacher. Obwohl auch ich damals von der Frauenquote profitiert habe, wurde ich wegen meines Sachverstandes berufen. Und wahrscheinlich musste ich härter arbeiten als mancher Mann. Männer haben Netzwerke, Frauen nicht.

Sind Sie deshalb nie DGB-Vorsitzende geworden?

Ich habe mich immer an der Sache orientiert. Netzwerke waren noch nie meine Sache. Aber es gab schon welche gegen mich. Es kommt womöglich hinzu, dass ich nicht den normalen Weg gegangen bin: Betriebsrat, dann gewerkschaftliche Tätigkeit und schließlich eine Führungsfunktion in der Gewerkschaft. Ich bin als Fachfrau von außen gerufen worden, war immer Expertin und nie Betriebsrat.

Michael Sommer auch nicht.

Nun ja. Womöglich ist das eine Frage des Selbstbewusstseins. Es ist ja oft ein Problem von Frauen, dass sie sehr selbstkritisch sind. Ich habe vielleicht weniger Selbstbewusstsein, als so mancher denkt.

In den sozialpolitischen Debatten sind Sie nicht durch schwaches Selbstbewusstsein aufgefallen.

Da geht es ja auch nicht um die persönliche Karriere, sondern um die Sache. Für mich ist entscheidend, die Interessen der Mitglieder so zu vertreten, dass wir sie auch bestmöglich durchsetzen können. Bei der Vertretung eigener Belange bin ich eindeutig schlechter, als wenn es um die Belange anderer geht.

Was ist gut gelaufen für Sie und was weniger gut?

Durchaus stolz bin ich, auch bei heftigem Gegenwind standhaft zu bleiben. Zum Beispiel habe ich mich beim so genannten Vermittlungsskandal bei der Bundesanstalt für Arbeit im Jahr 2002 nicht kleinkriegen lassen. Ich war damals als stellvertretende Vorsitzende des Verwaltungsrates der Bundesanstalt in der Kritik, obwohl die Selbstverwaltung qua Gesetz von der Vermittlungsstatistik ausgeschlossen war. Heute bin ich sehr zufrieden, bei diesem öffentlich hochgezogenen Skandal nicht nachgegeben zu haben. Denn was ist aus dem Theater geworden? Die Gesetze Hartz I bis IV sind kaum wirksam und teilweise ein Flop.

Was heißt „hochgezogen“? War der Skandal kein Skandal?

Natürlich wurden Fehler gemacht in der Bundesagentur. Doch Reformen waren unter dem Namen Arbeitsamt 2000 ja schon auf den Weg gebracht worden. Nur gab es eine Lähmschicht, und die Reformen kamen nur schwer in Gang. Im Frühjahr 2002 war das eher eine Public-Relations-Nummer, um von den entscheidenden Problemen abzulenken. Es wurde ja plötzlich so getan, als sei es mit einer besseren Vermittlung getan. Alles in allem wollte man einige Leute loswerden. Der Präsident der Bundesanstalt, Bernhard Jagoda, wurde ebenso rausgeworfen wie der hervorragende Staatssekretär Werner Tegtmeier. Auch ich war einer unglaublichen Hetze ausgesetzt.

Wer ist man?

Es sollten Personen entfernt werden, die zu sehr mit den sozialen Sicherungssystemen verhaftet waren und sich für deren Erhalt einsetzten. Da wurden Bauernopfer gesucht. Bundeskanzler Schröder wollte ja gemessen werden am Abbau der Arbeitslosigkeit. Und im Wahljahr 2002 sah das sehr schlecht für ihn aus.

Schröder hat Sie „Quengelen-Keifer“ genannt. Was hatte er gegen Sie?

Ich hatte gewagt, gegen den Arbeitsminister Riester zu agieren. Riester wollte das Niveau der gesetzlichen Rente zu stark absenken und stattdessen eine kapitalgedeckte private Zusatzversorgung einführen. Ich habe mich immer dafür eingesetzt, dass die gesetzliche Altersrente nie unter ein bestimmtes Niveau sinken darf und zusätzlich eine tarifliche und betriebliche Altersversorgung aufgebaut wird. Denn sonst verliert die gesetzliche Rente die Legitimation. Der Zusammenbruch der New Economy hat ja gezeigt, dass das Börsenroulette keine Sicherheit fürs Alter bietet. Wir konnten am Ende erreichen, dass ein Mindestniveau festgelegt und die Belastungen gerechter verteilt wurden. Die ganze Auseinandersetzung damals hat Riester geschadet, aber auch der SPD. Und für die schlechten Umfragen hat Schröder dann wohl auch mich verantwortlich gemacht.

Später hat er dann trotzdem die Agenda 2010 durchgesetzt.

Ja. Auch mit dem Ziel, die sozialen Sicherungssysteme abzubauen. Der Aufbau von Arbeitsplätzen wurde dabei vernachlässigt. Er hat wohl geglaubt, wenn er die großen Kapitalgesellschaften entlastet, werden die investieren und Arbeit schaffen. Da hat er sich leider getäuscht.

Sie haben in der Regierung Merkel einen anderen Ton festgestellt. Wie macht sich der bemerkbar?

Bei Schröder war alles sehr vom Prestige geleitet und in den letzten Jahren durch eine große Spannung zwischen ihm und einem Teil der Gewerkschaften gekennzeichnet. Das ist heute in der SPD anders. Auch bei Angela Merkel. Sie agiert klug und taktisch geschickt. An den Herausforderungen hat sich aber nichts geändert: Wir müssen nach wie vor verhindern, dass die solidarischen Sozialsysteme zerstört werden und sich die Spirale der Löhne nach unten weiter öffnet.

Wer soll das verhindern?

Die Gewerkschaften.

Ohne Ursula Engelen-Kefer?

Abwarten. Let’s cross that bridge when we come to it.

Das Gespräch führte Alfons Frese.

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