zum Hauptinhalt

Wirtschaft: „Wir werden im Ausland besser gesehen als hier“

Ex-Lufthansa-Vorstand Jürgen Weber über seine zehn Gebote für den Standort Deutschland, US-Investoren und die Agenda 2010

Herr Weber, welche Frage über Deutschland wird Ihnen am meisten gestellt?

Warum denkt ihr eigentlich so negativ über euer eigenes Land?

Konjunkturmisere, Arbeitslosigkeit, Reformstreit – das sieht keiner?

Wir haben uns unter den 30 größten amerikanischen Investoren umgehört. Die sehen 80 Prozent Stärken und 20 Prozent Schwächen. Wir werden im Ausland viel, viel besser gesehen als wir uns selbst sehen. Bei uns ist das Glas immer halb leer, bei anderen eben halb voll.

Und Ihre Gesprächspartner denken sich auch nichts bei unseren hitzigen Debatten über teure Arbeitskräfte und Lohnnebenkosten?

Natürlich nehmen sie diese Debatte wahr. Und schütteln den Kopf darüber. Was Amerikaner nicht verstehen können, dass wir die Agenda 2010 der Bundesregierung total zerreden. Die Tatsache, dass dieses Reformprojekt überhaupt in Angriff genommen worden ist, wird im Ausland sehr hoch eingestuft.

Sie repräsentieren die deutsche Regierung. Vielleicht sind Ihre Gesprächspartner nicht ganz ehrlich?

Natürlich ist auch subjektive Sichtweise dabei, spielen Emotionen eine Rolle. Viele Amerikaner, die sehr viel Geld verwalten oder selbst besitzen, deren Familien stammen hier aus der Region. Die haben ganz enge Beziehungen zu Deutschland. Aber Investoren aus den USA entscheiden nach Fakten. Und dass wir so schlecht nicht sein können, zeigt nur eine Zahl: In Deutschland gibt es 3000 Investoren aus den USA.

Wichtig ist aber nicht wer schon hier ist, sondern wer sich jetzt noch für den Standort interessiert.

Und das sind immer noch genug. Allein im vergangenen Jahr haben US-Firmen fast 8,7 Milliarden Dollar in Deutschland investiert. Das gesamte Investitionsvolumen beträgt inzwischen über 80 Milliarden Dollar.

Wenn man nur auf die Börse sieht, sind deutsche Firmen im internationalen Vergleich ja auch preiswert zu haben.

Das ist richtig. Aber die Investoren nehmen nur Qualitäts-Schnäppchen.

Und deutsche Investoren verschlafen die Gelegenheit.

Hier gibt es Chancen, bei denen normalerweise auch Deutsche einsteigen würden. Das können sie aber nicht, weil die Banken überaus restriktiv bei der Kreditvergabe sind. Das ist eines unserer Probleme, das bremst das Unternehmertum in diesem Lande.

Banken fördern den Ausverkauf der deutschen Wirtschaft an Auslandsinvestoren?

Nichts spricht dagegen, dass ausländische Geldgeber bei deutschen Firmen einsteigen. Fragen Sie mal heute einen Mittelständler wie schwierig er es hat, von seiner Hausbank Geld zu bekommen. Die amerikanischen Investoren kommen dagegen mit vollen Taschen. Rockwood hat Dynamit Nobel für 2,2 Milliarden gekauft, Bain Capital hat der Bahn die Chemiespedition Brenntag für 1,4 Milliarden abgekauft, Kohlberg Kravis Roberts ist mit 1,4 Milliarden bei MTU eingestiegen und Blackstone kauft Celanese für drei Milliarden. Alles Investitionen in den vergangenen anderthalb Jahren.

Das sind vor allem Finanzinvestoren...

...die ihre Beteiligungen sehr profitabel führen. Die deutschen Tochtergesellschaften der US-Investoren haben 2003 alle Gewinn gemacht – ausnahmslos. Der Durchschnittsgewinn dieser Firmen liegt deutlich über dem deutscher Firmen.

Die hohen Steuern schrecken keinen ab?

Steuern können nie niedrig genug sein. Aber wir sind bei den Unternehmenssteuern heute durchaus konkurrenzfähig. Wir liegen im guten Mittelfeld. Es stimmt gar nicht, dass Deutschland die höchsten Steuern hat. Die Belastung mit Unternehmenssteuern liegt unter 40 Prozent, und es gibt viele Möglichkeiten, diese Steuerlast zu reduzieren.

Zum Beispiel durch Abschreibungen auf Firmenwerte wie bei Vodafone. Darüber wird bei uns heftig gestritten. Hat das Folgen?

Die öffentliche Debatte über verschiedene Themen, angefangen beim Mannesmann-Prozess über die 50 Milliarden-Abschreibung bei Vodafone bis zu den Managergehältern, schadet dem Standort.

Ihre amerikanischen Gesprächspartner finden nichts dabei, die Gehälter detailliert offen zu legen.

Man kann nicht alles übertragen. Das ist auch eine andere Kultur, mit solchen Informationen umzugehen. Ich sage aber auch, dass es hier zu Lande Auswüchse gibt, die ich nicht toleriere. Viel schlimmer ist aber, dass die Masse der Manager wegen einiger Ausreißer diffamiert wird, obwohl die einen tollen Job machen.

Das hält Investoren davon ab, nach Deutschland zu kommen?

Nein. Bei solchen Investitionsentscheidungen zählen nur Fakten.

Kritisch, heißt es, sei auch die Mitbestimmung. Dafür hätten Amerikaner überhaupt kein Verständnis.

Im Gegenteil. Das Einbinden und die Mitverantwortung der Arbeitnehmer bei der betrieblichen Mitbestimmung sehen viele als großes Plus. Wenn es beispielsweise um die Gestaltung von Arbeitsplätzen geht. Negativ dagegen wird die Mitbestimmung in den Aufsichtsräten gewertet. Da geht es dann auch um Entscheidungen, die nur den Eigentümer, den Kapitalgeber betreffen. Und da muss die Mitbestimmung ihre Grenzen haben.

Also schaffen wir die mitbestimmten Aufsichtsräte ab?

Nein. Damit wir uns richtig verstehen. Ich verteidige die deutsche Mitbestimmung. Es ist nur dringend an der Zeit, sie zu reformieren. Die Gesetze gelten unverändert seit dreißig Jahren. Die Zeiten haben sich allerdings geändert. Die Folgen der Globalisierung und die Europäisierung der Wirtschaft lassen sich doch nicht bestreiten. Daran muss die deutsche Mitbestimmung angepasst werden. Auslandsinvestoren erwarten das auch.

Wie wirbt man eigentlich für einen Standort, ganz praktisch?

Ich habe immer meine zehn Gebote in der Tasche. Das sind die wichtigsten Standortvorteile. Von der geografischen Lage im Herzen Europas bis zur wirtschaftlichen und politischen Stabilität. Die trage ich vor und alle nicken zustimmend. Auch das Made in Germany gehört dazu. Kein Amerikaner versteht, warum die EU das abschaffen will.

Das Gespräch führte

Dieter Fockenbrock.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false