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Wirtschaft: „Wir wissen noch nicht, wer Täter und wer Opfer ist“

Transparency-International-Gründer Michael J. Hershman soll helfen, die Affäre um schwarze Kassen bei Siemens aufzuklären

Washington - Dreieinhalb Jahrzehnte Berufserfahrung in der Korruptionsbekämpfung haben Michael J. Hershman vorsichtig gemacht. Die Dinge liegen nicht immer so, wie sie auf den ersten Blick scheinen. Als „Saubermann“ und „Aufklärer“ wird er der deutschen Öffentlichkeit vorgestellt, seit Siemens den freundlichen 61-jährigen Amerikaner zu Wochenbeginn gebeten hat, Licht ins Dunkel um die Affäre schwarzer Kassen im Konzern zu bringen und die internen Kontrollen zu verbessern.

Vor dem Begriff Bestechungsskandal schreckt Hershman zurück. „Wir wissen noch gar nicht, wer hier Täter und wer Opfer ist“, sagt er im Gespräch mit dem Tagesspiegel am Sonntag. Er könne „im Moment nicht einmal sagen, welche kriminellen Delikte begangen wurden“. Er weiß nur, dass Siemens selbst 420 Millionen Euro in den Bilanzen als zweifelhaft erachtet. „Wochen, vielleicht sogar Monate“ könne es dauern, bis er sich einen Überblick über Fakten und Unterlagen verschafft habe.

Das bedeute aber nicht, dass er sich so lange nicht öffentlich äußern wolle, beugt er sogleich einem Missverständnis vor. „Ich will nur nicht spekulieren. Wenn ich bei meinen Untersuchungen auf Schwachstellen bei Siemens stoße, werde ich umgehend Empfehlungen abgeben, wie die sich beheben lassen, und nicht bis zum Schlussbericht warten.“ Transparenz, auch gegenüber der Öffentlichkeit, ist eines seiner Markenzeichen. Deshalb hat er mit dem Deutschen Peter Eigen 1993 Transparency International gegründet, die erste globale Nichtregierungsorganisation zur weltweiten Korruptionsbekämpfung. „Wir waren empört über die Korruption in den Entwicklungsländern, die zu einer Verschwendung der Hilfsgelder führte.“ Hershman hatte damals bereits seine private, 1983 gegründete Beratungsfirma Fairfax Group, die US-Unternehmen beriet, wie man auch ohne Bestechung an Aufträge in der Dritten Welt gelangt. Auslöser war der „Foreign Corrupt Practices Act“ des US-Kongresses von 1977. Das war das erste Gesetz weltweit, das Korruption unter Strafe stellte.

Den Auftrag zur Durchleuchtung der Siemens-Affäre habe er angenommen, weil die Konzernführung „entschlossen ist, alle Missetäter zu finden und zur Verantwortung zu ziehen“. In München gab es auch ein Treffen mit Konzernchef Klaus Kleinfeld. „Wir haben uns in die Augen geschaut, und ich hatte den Eindruck, er meint es ernst“, sagt Hershman mit sanfter Stimme. „Auch da habe ich einige Erfahrung.“

Gibt es denn andere Erklärungen als die Annahme, die verdächtigen Millionen seien als Schmiergelder zur Akquise einträglicher Großaufträge gezahlt worden? Hershman lacht leise. „Ich habe Fälle gesehen, wo Angestellte behaupteten, sie hätten schwarze Kassen angelegt, um an Aufträge zu kommen. Tatsächlich hatten sie sich selbst bereichert und die Gelder auf eigene Konten gelegt.“ Und noch eines gibt ihm zu denken. „420 Millionen Euro? Die Summe klingt sehr hoch. Es ist unwahrscheinlich, dass so viel Geld allein in Bestechung floss, um Aufträge an Land zu ziehen“, sagt Hershman. Dies will er aber nur als allgemeine Bemerkung verstanden wissen, nicht als Kommentar zum Fall Siemens.

Die US-Zeitungen haben bisher kaum über die Affäre berichtet – im Gegensatz zu dem Eindruck, den manche deutsche Medien erwecken, bis hin zur düsteren Prophezeiung, Siemens müsse mit milliardenschweren Geschäftseinbußen in den USA rechnen und laufe Gefahr, von der New Yorker Börse verbannt zu werden. Hershman bekräftigt bei diesen Stichworten seine Bitte, nicht zu spekulieren. Gewiss, die Regeln in den USA seien streng und würden von der Börsenaufsicht SEC genau kontrolliert. Es hänge aber alles von den Umständen ab. Ein Konzern, der Bestechung wissentlich dulde, müsse mit Problemen rechnen. Für kriminelle Angestellte, die sich persönlich bereichern, könne man dagegen das Unternehmen nicht zur Verantwortung ziehen.

Hershman hatte als Geheimdienstler begonnen, die Aufgabe führte ihn in den 60er Jahren zum US-Militär nach Nürnberg, er denkt gern daran zurück. Deutsch spricht er „noch ein bisschen“, wie er mit ausgeprägtem US-Akzent einfließen lässt. Nach der Militärzeit begann „vor 36 Jahren“ – auch da fällt er ins Deutsche – die Karriere als Korruptionsbekämpfer: in der Staatsanwaltschaft von New York, bei der Untersuchung des Watergate-Skandals, in der Nationalen Wahlkommission, im Abgeordnetenhaus.

Seine Fairfax Group ist heute in 80 Ländern aktiv und berät Regierungen von Südamerika bis Asien. Den Idealismus hat er neben dem Geschäft nicht verloren. Sein wichtigstes Projekt, neben Siemens: In Laxenburg südlich von Wien soll 2008 eine Akademie zur systematischen Ausbildung von Korruptionsbekämpfern eröffnet werden, in Kooperation mit Interpol. Wenn Hershman davon erzählt, kann er sich in Begeisterung reden.

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