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Wirtschaft: Wirtschaft über WTO-Debakel geschockt

Welthandelskonferenz scheitert am Streit um Investitionen / EU verlangt neue Regeln für künftige Verhandlungen

Berlin / Cancún (brö/cr/HB). Nach dem Scheitern der Welthandelskonferenz in Cancún (Mexiko) haben Politiker und Verbände gefordert, rasch neue Verhandlungen aufzunehmen. Zugleich bezweifelten sie, dass ein Vertrag über neue Handelsregeln wie geplant bis Ende 2004 in Kraft treten kann. Während Nichtregierungsorganisationen den Abbruch der Gespräche als Erfolg feierten, werteten ihn Ökonomen als Rückschlag für die Globalisierung.

In Cancún hatte die 148 Mitgliedstaaten zählende Welthandelsorganisation WTO versucht, sich auf neue Regeln für den Welthandel zu einigen. Bei der Konferenz ging es vor allem um den Abbau von Subventionen, Zöllen und Handelsbarrieren, die den Verkehr von Waren und Dienstleistungen hemmen. Einer Studie der Universität Michigan zufolge hätte eine Liberalisierung das Welthandelsvolumen um 600 Milliarden Dollar steigern können. Wichtigster Punkt war die Forderung der Entwicklungs und der Schwellenländer an die Industriestaaten, ihre Märkte für Agrarprodukte zu öffnen. Im Gegenzug sollten die Entwicklungsländer einen besseren Schutz von Investitionen garantieren.

An dieser Frage war die Konferenz in der Nacht zum Montag gescheitert. Bei den Agrar-Exportbeihilfen hätten sich die Gespräche indes auf positivem Weg befunden. „Eine Lösung wäre möglich gewesen“, sagte EU-Agrarkommissar Franz Fischler. Anders als bei früheren Handelsrunden hatten sich dieses Mal mehrere arme Länder zu Koalitionen zusammengeschlossen, um gegen die Industrieländer bestehen zu können. Vor allem eine Gruppe von 21 Schwellenländern unter der Führung Brasiliens hatte in der Agrarfrage Fortschritte verlangt. Der brasilianische Außenminister Celso Amorim sagte, das Scheitern werde nun zu einem wirklichen Start von Agrarverhandlungen führen. „Das ist ein Prozess, und wir gehen aus ihm stärker hervor als wir hineingegangen sind“, sagte er.

Die Europäische Union fordert als Konsequenz aus dem Scheitern Reformen in der WTO. „Diese Organisation arbeitet nach mittelalterlichen Regeln“, kritisierte EU-Handelskommissar Pascal Lamy. Nötig seien andere Entscheidungsmechanismen. In der WTO gilt das Konsensprinzip. Einigkeit zu erzielen wird bei 148 Mitgliedern jedoch immer schwieriger – in Cancún waren Kambodscha und Nepal neu aufgenommen worden.

Der Plan, die Verhandlungen Anfang 2005 abschließen zu können, ist damit kaum noch einzuhalten. Sowohl Lamy als auch der US-Handelsbeauftragte Robert Zoellick äußerten sich dahin gehend skeptisch. Die USA wollen nun verstärkt bilaterale Abkommen abschließen, damit ihre Unternehmen besseren Zugang zu anderen Märkten bekommen. Das kündigte Zoellick unmittelbar noch in Cancún an. Die WTO droht damit in eine Krise zu stürzen. Mitte Dezember will sie in Genf versuchen, die Gespräche fortzuführen.

Deutschland dagegen habe nach wie vor großes Interesse am Fortgang der Verhandlungen, sagte Kanzler Gerhard Schröder. Wirtschaftsminister Wolfgang Clement zeigte sich trotz des Rückschlags optimistisch, dass die 2001 in Doha eingeleitete WTO-Runde doch noch zum Erfolg führen könnte. „Es ist nicht die ganze Milch verschüttet, um bis zum Ende nächsten Jahres doch noch zu einer Verständigung zu kommen“, sagte er. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag sprach von einem „Rückschlag für die weltwirtschaftliche Integration, die gerade im gegenwärtig schwachen Konjunkturklima Wachstum und Beschäftigung erhöhen würde“. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) nannte das Scheitern eine herbe Enttäuschung. „Mit dem ergebnislosen Abbruch der Konferenz ist eine große Chance vertan worden, der Weltwirtschaft ein konjunkturelles Signal zu geben“, teilte der BDI mit. Die Verhandlungen sollten in Genf konstruktiv fortgesetzt werden. Das forderte auch der Deutsche Bauernverband. Auch Bundeslandwirtschaftsministerin Renate Künast zeigte sich betroffen. Von einem nun drohenden „Wildwuchs bilateraler Abkommen“ könnten sie nicht profitieren. Tilman Brück vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung sagte, weniger Armut werde es nur durch mehr Freihandel geben. Viele Nichtregierungsorganisationen (NGOs) begrüßten den Abbruch der Gespräche und werteten ihn als Stärkung der Entwicklungsländer.

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