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Maisproduktion in Brasilien. 30 Prozent der weltweiten Landreserven, die zum Ackerbau taugen, befinden sich in den Ländern Lateinamerikas. Foto: AFP

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Wirtschaftsboom: Warum Lateinamerika so gut dasteht

Lateinamerika sieht sich nicht mehr als Problem der Weltwirtschaft – die Region wächst rasant. China hat Europa als wichtigster Partner nach den USA den Rang abgelaufen.

Von Michael Schmidt

Berlin - Lateinamerika boomt. Lateinamerika trotzt der Wirtschafts- und Finanzkrise. Lateinamerika ist ein Kontinent von wachsender Bedeutung für Investoren, Handelspartner und politische Global Player. Stabiler, demokratischer und auch selbstbewusster als in zurückliegenden Dekaden. Für Bernhard Graf von Waldersee, den Beauftragten für Lateinamerika- und Karibikpolitik des Auswärtigen Amtes, das im August ein neues Regierungskonzept für die Region vorgelegt hat, kann es deshalb gar keinen Zweifel geben: „Wir müssen uns wieder mehr um den Kontinent kümmern.“

Wie, unter welchen Vorzeichen und mit welchen Chancen, das wurde beim „56. Berliner Fachgespräch zur Globalisierung“ der KfW Entwicklungsbank am Dienstagabend in Berlin diskutiert. Denn eines ist klar: Lateinamerikas Attraktivität ist anderen nicht verborgen geblieben. 2010 hat der asiatisch-pazifische Raum erstmals in der Geschichte Europa den Rang abgelaufen und sich nach den USA zum zweitwichtigsten Handelspartner der Staaten zwischen Rio Grande und Feuerland entwickelt.

„Das nächste Jahrzehnt könnte das Jahrzehnt Lateinamerikas werden“, zeigte sich Osvaldo Rosales von der UN-Wirtschaftskommission Cepal optimistisch: „Wir sind nicht mehr das Problem der Weltwirtschaft, sondern Teil der Lösung.“ In der Tat sind die Kennzahlen beeindruckend: 20 Länder, davon drei in der Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer, ein Markt von 560 Millionen Konsumenten. Sechs Prozent Wirtschaftswachstum verzeichnet die Region in diesem Jahr, die Prognosen für 2011 sind ähnlich gut. Die Länder verfügen über riesige Rohstoffvorkommen und haben gute Aussichten, denn 30 Prozent der weltweiten Landreserven, die zum Ackerbau taugen, und 40 Prozent der globalen Süßwasservorräte befinden sich in der Region.

Zum ersten Mal in der Geschichte des Kontinents, so Rosales, habe das Wachstum der Jahre nach 2003 auch im Kampf gegen Armut und Ungleichheit Wirkung gezeigt, „wenn auch nicht genug“. Was unter anderem an der „viel zu niedrigen Steuerquote“ von durchschnittlich 17 Prozent liegt. Mit solch geringen Staatseinnahmen ließen sich kaum Investitionen tätigen. Deshalb „laden wir die Welt ein, gemeinsam die Bedingungen für mehr Prosperität zu schaffen“, sagte der Chilene. Fügte aber hinzu, dass „ein großer Teil des Wachstums der vergangenen Jahre“ sich der Zusammenarbeit mit dem asiatisch-pazifischen Raum verdanke. Die Karten werden also neu gemischt. China mit seiner „gewaltigen Nachfrage“ als Ergebnis eines „jahrelang anhaltenden starken Wachstums“, werde der „Motor des 21. Jahrhunderts“ sein, prophezeite Rosales. Deshalb sei es gut für Lateinamerika, dass man die Beziehungen pflege, aber schlecht, „dass sie so ausbeuterisch sind wie im 19. Jahrhundert“. China gehe es fast ausschließlich um die Rohstoffe des Kontinents. Für die Entwicklung der Region aber sei eine Diversifikation des Export wichtig. Da nun könnte Europa erneut ins Spiel kommen.

Ob das Konzept der Bundesregierung dabei helfe, blieb auf dem Podium umstritten. Es sei ein „Tempelchen mit drei Säulen“, erklärte Graf von Waldersee: Kooperation in globalen Fragen wie dem Klimaschutz und dem internationalen Handel; bilaterale Beziehungen zum beiderseitigen Vorteil – „auch zu unserem“; und intensivierte Kontakte im Bereich Wissenschaft, Forschung, Innovation. Rolf Dieter Acker, Senior Advisor der BASF, sagte, Investoren suchten stabile Staaten, stabile Märkte, stabile Währungen – all das fänden sie heute in Lateinamerika, häufiger jedenfalls als in den 80er und 90er Jahren. Mit dem Konzept sei Deutschland auf einem guten Wege, daraus das Beste zu machen. Kritik kam hingegen von Sascha Raabe. Der entwicklungspolitische Sprecher der SPD monierte, das Konzept setze zu einseitig darauf, unternehmerisches Engagement zu flankieren. Ihm fehle das Augenmerk für den Einzelnen, die Menschenrechte sowie die Einhaltung von Arbeits- und Sozialstandards.

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