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Wirtschaft: Wirtschaftsforscher fordern Lohnzurückhaltung

Kurz bevor die Metall-Tarifverhandlungen in die entscheidende Phase eintreten, haben Wirtschaftsforscher Kritik an den Lohnforderungen der Gewerkschaften geübt. Die Produktivität der Wirtschaft dürfe kein Maßstab für Lohnforderungen sein, sagte der Münsteraner Wirtschaftsprofessor Ulrich van Suntum am Dienstag in Berlin.

Kurz bevor die Metall-Tarifverhandlungen in die entscheidende Phase eintreten, haben Wirtschaftsforscher Kritik an den Lohnforderungen der Gewerkschaften geübt. Die Produktivität der Wirtschaft dürfe kein Maßstab für Lohnforderungen sein, sagte der Münsteraner Wirtschaftsprofessor Ulrich van Suntum am Dienstag in Berlin. Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) erklärte, die Produktivität sei von den Statistikern in den vergangenen Jahren stets zu hoch angesetzt worden. Eine Orientierung an dieser Zahl führe daher stets zu überhöhten Forderungen, die Arbeitsplätze vernichteten.

Van Suntum sagte auf einer Podiumsdiskussion in Berlin, es sei nicht sinnvoll, in Tarifverhandlungen die Lohnforderungen an der Höhe der Produktivität zu orientieren. "Man kann die Lohnpolitik nicht mit der Produktivität begründen." Die Einbeziehung der Produktion pro Arbeitskraft habe seit Jahren der Beschäftigung in Deutschland geschadet. Van Suntum, der früher Generalsekretär beim Sachverständigenrat war, den so genannten fünf Weisen, forderte, statt dessen müssten die Löhne an der Ertragslage der Unternehmen und an der Situation auf dem Arbeitsmarkt orientiert werden. Angesichts der hohen Arbeitslosenzahl sei derzeit nur eine Lohnerhöhung in Höhe der Inflationsrate sinnvoll.

Die IG Metall fordert in der aktuellen Lohnrunde eine Erhöhung der Bezüge um 6,5 Prozent. Die IG Bauen Chemie Energie (IG BCE) will Lohnsteigerungen von 4,5 Prozent durchsetzen. Dabei berufen sich die Arbeitnehmer-Vertretungen unter anderem auf die steigende Produktivität (siehe Lexikon) der deutschen Wirtschaft. An der entsprechenden Steigerung müssten auch die Beschäftigten teilhaben, argumentieren sie. In die Lohnforderungen fließen auch die bisherigen und die erwarteten Steigerungen der Produktivität ein.

Dies ist auch nach Meinung des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) problematisch. Das Produktivitätswachstum, also die Zunahme der Wirtschaftsleistung pro Erwerbstätigem, sei ein unzuverlässlicher Indikator für die Höhe des Verteilungsspielraums. Denn: Die Prognosen über die Produktivitätsntwicklung in einem Jahr hätten in den letzten Jahren stets zu hoch gelegen. So hätten die Wirtschaftsweisen im Einklang mit den wichtigsten Forschungsinstituten für das Jahr 2000 einen Produktivitätszuwachs von 2,4 Prozent vorausgsagt - tatsächlich seien es aber nur 1,4 Prozent gewesen. Im vergangenen Jahr hätten sich die Experten sogar um 1,4 Prozent nach oben vergriffen. Verursacht worden seien diese Prognosefehler durch die Überschätzung der Wachstums der deutschen Wirtschaft. Zudem sei die Zahl der Arbeitskräfte deutlich zu niedrig angesetzt worden.

Das arbeitgebernahe Institut geht davon aus, dass Lohnabschlüsse unterhalb des Produktivitätsfortschritts einen wichtigen Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit leisten könnten. Eine Differenz zwischen Wachstum und Lohnabschluss von einem Prozentpunkt könne 130 000 Arbeitsplätze schaffen, rechnet das IW vor. Das nicht an die Beschäftigten ausgeschüttete Geld stünde den Unternehmen zur Schaffung neuer Arbeitsplätze zur Verfügung.

In diesem Punkt sind sich die Experten allerdings nicht völlig einig. Der Präsident des Instituts für Wirtschaftforschung Halle (IWH), Rüdiger Pohl, sagte, die Formel "Lohnzurückhaltung gleich Beschäftigungswachstum" sei "so nicht richtig". Zudem sei es "schwer zu vermitteln", wenn der Produktivitätszuwachs nicht an die Arbeitnehmer, die ihn erwirtschaftet haben, verteilt würde. Als Hauptursache der Arbeitslosigkeit geißelte Pohl die "viel zu niedrige Investitionsdynamik". Auch hätten die Kosten durch zu viele Gesetze und Vorschriften die Unternehmen immer stärker belastet.

Pohl stellte sich gegen Forderungen, die Löhne in den neuen Bundesländern an das Niveau in Westdeutschland anzugleichen. Zuvor müsse erst die Produktivität auf vergleichbarem Niveau liegen. Bisher liegt die Produktivität der Ost-Betriebe nach Zahlen des Ifo-Instituts bei lediglich 58 Prozent des Westniveaus. Die Löhne erreichen dagegen bereits 77 Prozent des Westens.

opp

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