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© pa/dpa

Wirtschaftskrise: "Ein Abschwung wirkt reinigend"

DIW-Präsident Klaus Zimmermann lehnt Konjunkturpakete ab und kann der Krise positive Seiten abgewinnen.

Herr Zimmermann, die Bundesregierung will heute das zweite Konjunkturpaket auf den Weg bringen. Rettet uns das vor der tiefen Rezession?



Uns kann nichts mehr retten, wir stecken ja schon mittendrin. Noch weiß keiner, wie schlimm es 2009 wirklich wird. Die Pessimisten befürchten, dass die Wirtschaftsleistung um bis zu drei Prozent schrumpfen könnte – allerdings glaube ich nicht, dass es so kritisch werden wird.

Warum ist der Staat machtlos?


Wenn es so kritisch würde, dann müsste er unvorstellbar viel Geld ausgeben, um die Wirtschaft wirkungsvoll anzuregen. Das hat er nicht. Zudem sind Konjunkturprogramme meist nur Symbolpolitik. Sie kommen zu spät oder sind nicht treffsicher genug. Die neue Allherrlichkeit der Politik ist unangemessen und weckt viel zu große Erwartungen.

In der tiefsten Krise seit dem Krieg soll der Staat nichts tun?

Es ist ein Irrglaube, dass der Staat sich kurzfristig gegen den Abschwung stemmen könnte, etwa mit einer befristeten Senkung der Mehrwertsteuer oder mit Steuerschecks. Das mussten gerade die USA erleben: Die knapp 180 Milliarden Dollar, die 2008 als Steuerschecks an die Bürger gingen, sind einfach verpufft, ohne dass dort damit die Entstehung der Krise aufgehalten werden konnte. Larry Summers, der oberste Wirtschaftsberater von Obama, hat deshalb ja schon angekündigt, dass sich die neue amerikanische Administration auf wachstumsorientierte Maßnahmen konzentrieren würde. Möglicherweise hätten die Strohfeuer der Regierung Bush die Krise sogar verschärft. Außerdem ist der Staat ja nicht untätig. In jeder Krise nimmt er weniger Steuern ein und gibt mehr Geld für Arbeitslosigkeit aus. So kommen schnell mehr als zehn Milliarden Euro pro Jahr zusammen, die die Wirtschaft automatisch stabilisieren.

Würde die Regierung Ihrem Rat folgen, müsste sie ein großes Maß an Hilflosigkeit eingestehen.

Das ist falsch, sie kann langfristig wirksame, vertrauensbildende Maßnahmen ergreifen, dauerhafte Steuersenkungen etwa oder einen Ausbau der Infrastruktur. Gegen rasche Steuersenkungen spricht, dass es keinen Spielraum im Haushalt gibt. Wer jetzt mit Milliarden um sich wirft, riskiert, dass langfristig das Geld für Infrastruktur, Bildung und Forschung noch knapper wird und die Staatsverschuldung private Investitionen verdrängt. Gegen Investitionsprogramme spricht allerdings, dass es an baureifen Projekten fehlt. Wer auf die Schnelle 30 Milliarden Euro ausgeben wollte, würde die Ausgaben für die Infrastruktur ja verdoppeln. Das schaffen die Tiefbaufirmen gar nicht – sie sind noch gut ausgelastet.

Was ist mit den vielen Ideen zur Konjunkturstützung – sind die alle nutzlos?

Wir sehen im Moment einen Wettlauf von Lobbyisten und Gutmenschen. Sie fordern Abwrackprämien für Altautos, Subventionen für Kühlschränke, Krippenplätze oder Bahntickets. Das zeigt, dass die Politiker die Krise entweder nicht verstehen oder sie bereits für den Wahlkampf instrumentalisieren. Wir können gar nicht so viele Autos abwracken, wie zur Rettung der Branche nötig wäre. Die Konzerne müssen neue Produkte entwickeln und sich gesundschrumpfen. Da helfen erfahrungsgemäß Subventionen kein bisschen.

Wie schlimm wird die Rezession 2009?


Es wird insgesamt schon ein Minus geben. Aber es wird nicht so dramatisch, wie viele befürchten. Wir gehen davon aus, dass es ebenso steil bergab wie ab Mitte 2009 wieder bergauf gehen wird und die Wirtschaft dann wieder wächst. Allerdings werden viele Länder in der Krise stecken, die für den deutschen Export wichtig sind: die USA, Großbritannien, Japan, Spanien. Glimpflich davonkommen werden Osteuropa, Indien oder China. Erst 2010 wird sich die Besserung festigen.

Was bedeutet das für den Arbeitsmarkt?

Es wird einige Hunderttausend Arbeitslose mehr geben. Dank der Reformen wird der Markt aber stabiler sein als früher. Zudem sind viele Unternehmen hervorragend aufgestellt. Sie müssen alles versuchen, die Menschen in Arbeit zu halten, trotz der wegbrechenden Aufträge. Es geht darum, 2009 zu überstehen. Deshalb war es richtig, dass die Bundesregierung das Kurzarbeitergeld verlängert und die Lohnnebenkosten gesenkt hat und die Unternehmen zu einer Weiterbildungsoffensive drängt.

Wie groß ist die Gefahr einer Kreditklemme?

Noch ist unser größtes Problem der Export. Käme aber noch eine Kreditklemme hinzu, könnte sich die Krise über mehrere Jahre hinziehen. Noch sind wir nicht so weit. Die deutschen Banken vergeben vorsichtiger Kredite, das tun sie in jedem Abschwung. Schwieriger ist, dass ausländische Banken den Geldhahn zudrehen, das trifft gerade große deutsche Firmen. Auch bei Großprojekten, für die sich verschiedene Banken zusammentun müssen, gibt es Probleme.

Muss die Regierung das Bankenrettungspaket nachbessern?

Der Staat war nicht konsequent genug. Es war ein Fehler, es den Banken zu überlassen, ob sie gerettet werden wollen. Der Finanzminister hätte sie von Anfang an zwingen müssen, Geld anzunehmen. Jetzt schlummern die Risiken irgendwo, verpackt in obskuren Wertpapieren. Die Gefahr besteht, dass die Finanzkrise wieder außer Kontrolle gerät. Es wäre besser, der Staat würde nachlegen.

Die Banken fordern eine „Bad Bank“, also eine staatliche Gesellschaft, die ihnen die faulen Papiere abnimmt. Ist das sinnvoll?


Die Bewertung der faulen Kredite ist sehr schwierig. Es gibt ja keinen Markt dafür. Zudem könnte das eine extrem teure Veranstaltung werden.

Wie teuer wird die Rettung von Banken und Konjunktur am Ende für den Staat?

Er muss 2009 und 2010 zusätzlich mindestens 70 Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen. Da sind die Belastungen aus der Bankenrettung noch gar nicht eingerechnet – das könnte den Betrag spielend verdoppeln. Jetzt rächt sich, dass der Finanzminister nicht so ehrgeizig gespart hat, wie er immer behauptete. Einen ausgeglichenen Haushalt können wir nun auf Jahre hinaus vergessen. Womöglich bringt das neue Probleme: Wer gibt dem Bund das Geld für die neuen Schulden? Wenn die Zentralbank es nicht druckt, muss es aus dem Bankensektor kommen. Es gibt also einen direkten Wettbewerb zwischen dem Staat und den Unternehmen. Das würde eine entstehende Kreditklemme noch erheblich verstärken.

Wie hart wird die Krise Berlin treffen?

Die Industrie der Hauptstadt ist seit Jahren geschrumpft, außerdem ist die Exportquote geringer. Das könnte sich nun als Segen erweisen. Berlin wird – relativ gesehen – nicht so schlecht abschließen wie der Rest der Republik. Trotzdem wird das Bruttoinlandsprodukt auch hier schrumpfen.

Der Senat setzt bei der Wirtschaft auf Schwerpunkte wie Gesundheit, Medien oder Verkehr. Hilft das Berlin in der Krise?

Gesundheit, öffentliche Wirtschaft, Bildung oder Forschung sind weniger krisenanfällig als Auto- oder Chemiekonzerne. Diesen Branchen wird es auch 2009 und 2010 nicht schlecht gehen, auch die Beschäftigung wird einigermaßen stabil bleiben. Allerdings spielen auch Unternehmensdienstleister in der Stadt eine große Rolle. Für die sieht es nicht so gut aus. Einige zehntausend Arbeitslose mehr sind unterm Strich nicht auszuschließen.

Kann man der Krise auch Positives abgewinnen?

Ein Abschwung wirkt in gewisser Weise reinigend, nur gesunde Unternehmen überleben. Er beschleunigt überfällige Reformen, etwa den Umbau der Landesbanken. Und er drängt Branchen dazu, sich neu aufzustellen – etwa die Autoindustrie, die dringend mehr energiesparende Technik anbieten muss.

Sie haben angesichts der immer düstereren Vorhersagen vor „Panik als Kollektivsport“ gewarnt und angeregt, eine Zeit lang gar keine Konjunkturprognosen zu erstellen. Heißt das, dass die Ökonomen eigentlich völlig ratlos sind?

Bei der Analyse der Lage und der Bewertung möglicher Maßnahmen sind wir nicht ratlos. Aber mit keinem Konjunkturmodell lassen sich jetzt Stärke und Wirkungen von Finanzkrisen genügend präzise vorhersagen. Entsprechend sind die Auswirkungen für Unternehmen und Verbraucher nur schwer absehbar. Daraus müssen die Wirtschaftsforscher Konsequenzen ziehen und ihre Zahlen vorsichtiger interpretieren.

Welche?


Ich befürchte, dass unser Glaubwürdigkeitsproblem wächst, wenn die Prognosen weiter derart rasch geändert werden. Einige haben binnen kurzer Zeit aus einem Plus für 2009 ein dickes Minus gemacht. Das halte ich für schwierig.

Das DIW hat noch im Oktober erklärt, es gebe keine Anzeichen für eine Rezession. Nächste Woche werden Sie etwas ganz anderes vorhersagen.

Wir hatten seinerzeit die Risiken für eine Rezession geringer eingestuft. Ob wir uns mehr geirrt haben als andere, muss sich erst noch zeigen. Das für die Bewertung kritische vierte Quartal fällt jetzt wohl viel kritischer aus. Es geht deshalb jetzt um die Tiefe der Rezession.

Das Interview führte Carsten Brönstrup

ZUR PERSON

DER BERATER

Klaus F. Zimmermann (56) ist einer der einflussreichsten Berater unter den deutschen Wirtschaftsforschern. Er leitet das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin und das Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn. Kurz vor Weihnachten bat ihn Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zum Konjunkturgipfel. Dort war er einer der wenigen Ökonomen am Tisch.

DER FORSCHER

Zimmermann lehrt an der Universität Bonn und an der Freien Universität Berlin. Er gilt als Fachmann auf den Gebieten Arbeitsmarkt, Bevölkerungsentwicklung und Migration – und als Arbeitstier. Bislang hat er 33 Bücher und mehr als 180 Aufsätze in Fachzeitschriften veröffentlicht. Er hat in Mannheim studiert und über Frauenerwerbstätigkeit promoviert.brö

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