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© Uwe Steinert

Wirtschaftskrise: "Romantische Ideen helfen nicht"

Arcandor, Schaeffler, Porsche: Warum protestieren die Beschäftigten für Staatshilfen - nicht gegen ihre Chefs? Ein Gespräch mit dem Arbeitskampf-Experten Michael Kittner.

ZEIT ONLINE:

Herr Kittner, haben wir es mit einer neuen Form des Arbeitskampfes zu tun, wenn Arcandor-Beschäftigte vereint mit der Geschäftsführung vor dem Wirtschaftsministerium für Staatshilfen demonstrieren?

Michael Kittner: Nein. Ein Arbeitskampf richtet sich, anders als im Fall von Arcandor, immer gegen den Arbeitgeber. Der Konzern hat seinen Beschäftigten sogar frei gegeben, damit sie protestieren können. Das ist übrigens kein neues Phänomen. Ich erinnere nur an die Demonstrationen der Arbeiter im Hamburger Hafen, als die Politik in Brüssel das Hafenwesen liberalisieren wollte. Angesichts der Weltwirtschaftskrise treten solche Proteste nur geballter auf.

ZEIT ONLINE: Interessant ist doch aber, dass die Beschäftigten eben nicht gegen die Geschäftsführung protestieren. Nicht im Fall von Karstadt, wo die Unternehmensführung durch Immobilienverkäufe das Unternehmen in Schieflage gebracht hat, nicht im Fall von Schaeffler oder Porsche, die sich durch Übernahmen verspekuliert haben.

Kittner: Was würde es denn heute helfen, auf Frau Schaeffler zu schimpfen? Ein solcher Protest hätte stattfinden müssen, als die Spekulationsmasse öffentlich wurde. Damals aber schien den Beschäftigten alles weit weg. Eine diffuse Bedrohung reicht nicht aus, um einen Arbeitskonflikt vom Zaun zu brechen. Jetzt handeln die Arbeiter schlicht rational. Es würde das Unglück nur vergrößern, würden die Beschäftigten jetzt gegen die Geschäftsleitung demonstrieren.

ZEIT ONLINE: Also vergrößern die französischen Arbeiter des Reifenherstellers Continental ihr eigenes Unglück, wenn sie ihre Chefs als Geisel nehmen?

Kittner: Ja. Das rettet keinen Arbeitsplatz und verschreckt künftige Investoren.

ZEIT ONLINE: Vielleicht entspricht ein solcher Protest aber dem Gerechtigkeitsempfinden der Menschen: Ihr habt uns das eingebrockt, jetzt seht ihr, was wir davon halten.

Kittner: Und dann? Ich halte nichts von solchen romantischen Ideen. Die Mitarbeiter von Arcandor verteidigen ihren Arbeitsplatz und ihr Einkommen. Deshalb gehen sie dorthin, wo es noch eine Chance gibt: der Staat ist jetzt der lender of last resort, wie es so schön heißt. Das ist alles völlig rational.

ZEIT ONLINE: Rational mag das sein. Sonderlich solidarisch ist es nicht. Wenn der Staat Arcandor stützt, benachteiligt das den Konkurrenten Kaufhof - und damit auch die Beschäftigten, die an der Kaufhaus-Kasse sitzen.

Kittner: Ja. Aber finden Sie das überraschend? Es stimmt, dass es in der Geschichte der Arbeitskämpfe immer wieder Solidaritätsakte der Beschäftigten gab. Viel kosten durfte das aber nie.

ZEIT ONLINE: Sie meinen, wenn es hart auf hart kommt, hat schon immer jeder Arbeiter an sich gedacht. Ist die Klage von der schleichenden Entsolidarisierung der Beschäftigten falsch?

Kittner: Seit dem Deutschen Kaiserreich gab es in Deutschland Streiks und Arbeitskämpfe. Ganz überwiegend ging es um Einkommenszuwächse und Arbeitszeitverkürzung für den Einzelnen oder für begrenzte Gruppen. Wenn höhere Ziele verkündet wurden, war das zumeist Rhetorik oder Etikette.

ZEIT ONLINE: Ohne Ausnahme?

Kittner: Es gab tatsächlich drei Sonderfälle: Die Novemberrevolution, als alle Räder still standen, weil Arbeiter und Soldaten sich verweigerten. Der Generalstreik 1920, der den Kapp-Lüttwitz-Putsch verhindern sollte. Und ein Generalstreik im Jahr 1948, als mehr als 9 Millionen Menschen gegen die Wirtschaftspolitik des Vereinigten Wirtschaftsgebiets demonstrierten. Letzterer ist heute weitgehend vergessen. Das waren singuläre Situationen, wo höhere Ziele im Raum standen. Auf die heutige Zeit sind sie nicht übertragbar.

ZEIT ONLINE: Dennoch gäbe es heute Ziele, für die die Beschäftigten gemeinsam streiten könnten: Immerhin musste das Gros der Arbeitnehmer in Deutschland in den vergangenen Jahren Reallohnbußen hinnehmen.

Kittner: Dagegen haben sie sich so gut es ging mit ihren Gewerkschaften gewehrt. Politisch sehe ich nach wie vor realistische Chancen, mehr für Arbeitnehmer zu tun. Vor allem die SPD wäre gefragt, die Mitbestimmungsinstrumente zu verbessern, um künftige Fehlentscheidungen zu verhindern.

Michael Kittner, Jahrgang 1942, war fast 25 Jahre lang Justiziar im Vorstand der IG Metall. Gleichzeitig lehrte er als Professor für Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialrecht an der Universität Kassel. Er ist der Autor des Buches "Arbeitskampf - Geschichte. Recht. Gegenwart", das im Verlag C.H. Beck erschienen ist. Die Fragen stellte Philip Faigle

ZEIT ONLINE

Interview von Philip Faigle

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