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Schon heute fehlen in bestimmten Branchen und Regionen die Fachkräfte

© dpa/Stephanie Pilick

Wirtschaftsstandort Deutschland: Der Fachkräftemangel wird zum Risiko

Bis 2030 könnten in Deutschland drei Millionen Fachkräfte fehlen. Für Arbeitsministerin Andrea Nahles ist die Herausforderung für Politik und Wirtschaft "riesengroß".

Der Fachkräftemangel wird absehbar zum Risiko für die deutsche Wirtschaft. Auch wenn derzeit noch kein flächendeckender Mangel bestehe, zeichneten sich in den kommenden Jahren in einzelnen Branchen und Regionen „größer werdende Engpässe“ bei der Gewinnung von Fachkräften ab, heißt es in einem Bericht der Bundesregierung, der am Mittwoch vom Kabinett beschlossen wurde. Schon heute fehlen qualifizierte Arbeitskräfte in den Gesundheits- und Pflegeberufen, sowie im technischen Bereich. Das Beratungsunternehmen Prognos sagt voraus, dass bis 2030 rund drei Millionen Fachkräfte fehlen werden, 2040 seien es etwa 3,3 Millionen.

Einer der zentralen Gründe für den zunehmenden Fachkräftemangel ist die demographische Entwicklung: Bis Mitte der 2030er Jahre gehen die Arbeitnehmer aus den geburtenstarken Jahrgängen nach und nach in Rente. Bisher konnte dieser Rückgang teilweise ausgeglichen werden durch einen steigenden Anteil von erwerbstätigen Frauen und Älteren. Künftig werde dieser Ausgleich jedoch nicht mehr im gleichen Umfang stattfinden können, da größere Potenziale bereits gehoben seien, heißt es in dem Regierungsbericht.

Arbeitsministerin will mehr in Weiterbildung investieren

Auch wenn es in den letzten Jahren Fortschritte bei der Sicherung von Fachkräften gegeben habe, bleibe die Herausforderung „riesengroß“, sagte Arbeitsministerin Andrea Nahles. Die SPD-Politikerin forderte mehr Investitionen in Bildung und Weiterbildung. Politik und Wirtschaft müssten gemeinsam dafür sorgen, dass Arbeitnehmer mit der Digitalisierung Schritt halten könnten. In Anbetracht des Wandels der Arbeit der Zukunft sei Nichtstun „grob fahrlässig“, sagte Nahles.

Nach Ansicht von Prognos-Chef Christian Böllhoff wird sich die Lage am Arbeitsmarkt in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren deutlich verschärfen. „Die Arbeit geht uns nicht aus, sie wird aber komplexer“, sagt er. Da die Halbwertszeit von Wissen weiter abnehme, brauche man immer besser qualifizierte Fachkräfte, während Unqualifizierte von Arbeitslosigkeit bedroht seien. Das „schnellste Mittel“ zur Bekämpfung der Fachkräftelücke wäre aus seiner Sicht, durch eine Verbesserung der Kinderbetreuungsangebote insbesondere Mütter bei ihrem Wunsch nach Erwerbstätigkeit zu unterstützen.

Kleine und mittelständische Unternehmen müssten viel stärker als bisher auf neue Arbeitsmodelle setzen, dazu gehörten vollzeitnahe Tätigkeiten in Kombination mit Homeoffice. Auch Arbeitsministerin Nahles zeigte sich überzeugt, dass bei den Frauen immer noch „wertvolle Potenziale“ brach lägen. Gerade Mütter seien trotz guter Ausbildung nach wie vor seltener auf dem Arbeitsmarkt aktiv und viel häufiger in Teilzeit beschäftigt als Väter.

Nahles fordert "Chancenkonto"

Zugleich verweist Nahles in ihrem Bericht auf die Fortschritte, die in den letzten Jahren erzielt wurden: So stieg der Anteil der berufstätigen Frauen im Alter zwischen 60 und 64 Jahren in den letzten fünf Jahren von 71,1 Prozent auf 74,5 Prozent im Jahr 2016.

Nach Ansicht von Nahles wird es künftig nicht mehr ausreichen, sich bei der Suche nach Fachkräften auf die Mobilisierung von Frauen oder Älteren zu konzentrieren. Die SPD-Politikerin forderte ein „Chancenkonto“: Jeder Erwerbstätige solle unabhängig vom Geldbeutel ein Guthaben bekommen, das er in sich selbst investieren könne. Dies begründet Nahles auch mit dem strukturellen Wandel, er innerhalb vieler Berufe zu erwarten sei. Für Deutschland werde der Anteil der Arbeitsplätze, in denen Digitalisierung zu signifikanten Änderungen der Tätigkeiten führe, auf etwa 30 Prozent geschätzt, heißt es in dem Bericht.

Grüne fordern Einwanderungsgesetz

Die Grünen-Arbeitsmarktexpertin Brigitte Pothmer fordert darüber hinaus ein Einwanderungsgesetz. Auch die entschlossensten Anstrengungen in den Bereichen Bildung, Qualifizierung und Vereinbarkeit von Familie und Beruf würden nicht ausreichen, um den zukünftigen Fachkräftebedarf zu decken, erwartet sie. „Deutschland ist zusätzlich auf Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen“, sagte die Grünen-Politikerin. Die Regeln zur Fachkräfteeinwanderung seien „viel zu bürokratisch und kompliziert“. Wenn man die Fachkräftelücke nur ansatzweise schließen wolle, müssten mindestens 200 000 ausländische Fachkräfte jedes Jahr einreisen, rechnet Pothmer vor. In den letzten Jahren ist die Zahl der Zuwanderer nach Deutschland gestiegen. Durch die gute Lage am Arbeitsmarkt würden viele EU-Ausländer angezogen, heißt es in der Analyse des Arbeitsministeriums.

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