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Die Wirtschaft in Deutschland brummt.

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Wirtschaftswachstum in Deutschland: Aus German Angst wird German Mut

Die deutsche Wirtschaft brummt. Draghis Politik des billigen Geldes ist motivierend. Auch kleine Firmen können leicht Geld aufnehmen, expandieren, Personal einstellen. Das hilft. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Kevin P. Hoffmann

Wenn wahr ist, dass Wirtschaft sehr viel mit Psychologie zu tun hat, kann man auch mal fragen, was für eine Droge uns ins Trinkwasser gekippt wird. Anders scheint das alles kaum erklärbar: diese ungetrübte Kauflaune, Innovationskraft, Risikobereitschaft, die produktive Arbeit, die Unternehmer wie Angestellte Tag für Tag leisten. All diese Zutaten ergeben zusammen den erstaunlich robusten Wert von 1,9 Prozent. Klingt fast nach Doping.

Um fast zwei Prozent also ist das Bruttoinlandsprodukt, verkürzt „die deutsche Wirtschaft“, im vergangenen Jahr gewachsen. Das haben die bundesamtlichen Statistiker errechnet – und damit Prognosen führender Forschungsinstitute und Industrieverbände Pi mal Daumen bestätigt. Dabei hatten deren Prognostiker, die ja oft genug falschliegen, vor rund einem Jahr nicht ernsthaft damit gerechnet, dass die Briten für einen handelsfeindlichen Ausstieg aus der EU stimmen werden – und die Amerikaner für einen verhaltensauffälligen Protektionisten im Weißen Haus.

Und: Wer hätte vor einem Jahr ernsthaft gedacht, dass Deutschlands Welt-Unternehmen ihre Krisen so schlecht meistern? Die Spitzen von Volkswagen verheddern sich in immer neue Widersprüche, brüskieren ihre europäischen Kunden mit der Einschätzung, man habe hier kein Recht gebrochen, während die US-Bundespolizei FBI Wolfsburger Manager als Kronzeugen jagt. Bei Deutschlands größtem Industriekonzern redet man den Abgas-Skandal umso kleiner, je größer er wird. Derweil macht es der Chef der Deutschen Bank (ein Brite) genau andersherum – aber kaum besser. Er spricht derart schlecht über sein Institut, dass man fast hoffen möchte, dass niemand draußen in der Welt hört, wie kaputt die Marke Deutschland AG angeblich ist.

Die EZB hilft

Noch sind die für die Exportwirtschaft so wichtigen Briten ja in der EU und noch ist Donald Trump, der sein Land offenbar abschotten will, nicht im Amt. Warum also sollten Nachrichten aus diesen Ländern unsere Konjunktur trüben? So könnte man fragen. Eine Antwort: weil Wirtschaft tatsächlich viel Psychologie ist. Jeder – vernünftige – Unternehmer oder Privatmensch, der vor einer größeren Investition steht, schaut sich die Welt an, fragt sich, ob es künftig besser oder schlechter laufen wird. Und angesichts von Krieg, Terror, politischem Chaos in so vielen Ländern könnte mancher Zeitgenosse geneigt sein, sein Geld beisammenzuhalten, nicht zu investieren.

Das Gegenteil ist der Fall. Was also ist passiert, dass aus der sprichwörtlichen German Angst so unfassbar viel German Mut geworden ist? Wahrscheinlich nicht besonders viel. Verbraucher und Unternehmer hierzulande sind mutmaßlich über die Jahre weder deutlich risikofreudiger geworden noch unvernünftiger. Das Doping für die heimische Konjunktur kommt nicht aus dem Trinkwasser, sondern wohl zentral aus Frankfurt am Main von der Europäischen Zentralbank (EZB). Es gibt hundert Gründe, deren Präsidenten Mario Draghi und seine Geldpolitik abzulehnen. Sie ist riskant, sie entwertet deutsche Spareinlagen und Altersversabsicherungen. Dafür bezieht der Italiener viel Prügel.

Für den Moment aber wirkt Draghis Politik des billigen Geldes extrem motivierend. Da Festgeldkonten angesichts von Minizinsen nichts abwerfen, fließt das Geld der Deutschen in Aktien, Anleihen und Immobilien. Auch kleine Firmen können leicht Geld aufnehmen, expandieren, Personal einstellen (wenn denn welches verfügbar wäre). Und, darauf weisen die Statistiker hin: Auch die Geflüchteten, die 2015 ins Land gekommen sind, beleben die Konjunktur. Denn auch sie sind Konsumenten. Auch ihre Unterkünfte wollen von Firmen gereinigt, bekocht, gesichert werden. Die viel beschriebene Exportnation Deutschland hat sich zur Konsumnation gemausert. Das ist gut.

2017 übrigens soll die Wirtschaft nicht mehr ganz so stark wachsen, sagen die Forscher voraus. Grund sind Feiertage, die diesmal besonders arbeitnehmerfreundlich liegen. Es gibt schlimmere Gründe für schlechtere Zahlen.

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