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Im Wirtschaftswunderland geht es wieder aufwärts. Die meisten Ökonomen hatten nicht mit der aktuellen Wachstumsdynamik gerechnet und korrigieren jetzt ihre Prognose nach oben. Die Politik freut sich.

© dpa

Wirtschaftswachstum: Wem gehört der Aufschwung?

Drei Bundesregierungen teilen sich den Verdienst am Aufschwung – und die gegenwärtige hat nach dem Urteil vieler Experten am wenigsten dazu beigetragen. Kanzlerin Merkel will diesen Eindruck ändern.

Düsseldorf - Angela Merkel verliert die Geduld. Die Bundeskanzlerin steht einem der ökonomisch erfolgreichsten Länder der Erde vor. Die Wirtschaft hat sich in atemraubendem Tempo erholt und wächst wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Doch genau so schnell wie die Wachstumsraten klettern, fallen die Umfragewerte ihrer Koalition.

Das soll sich nun ändern. Ab diesem Montag lässt die Kanzlerin – frisch erholt aus dem Sommerurlaub – an einer Strategie tüfteln, um den wirtschaftlichen Aufschwung für sich zu reklamieren. Die Regierungschefin will jetzt endlich auch selbst profitieren von der ökonomischen Erholung des Landes, von einem Aufschwung, der auch im Ausland viele Bewunderer findet. Nach Abwrackprämie, Kurzarbeitergeld und Haushaltskonsolidierung setzt Merkel jetzt auf Marketing in eigener Sache. „Angesichts der Umfragewerte müssen wir nach der Sommerpause wieder in die Offensive kommen“, heißt es in Merkels Umfeld.

Wenn es Deutschland wieder gut geht, so die zentrale Botschaft der Kanzlerin, liegt das an den richtigen politischen Entscheidungen der letzten Monate, ihren Entscheidungen: Die im Ausland oft kopierte Abwrackprämie, das in den USA als Kern des „German Jobwunder“ beschriebene Kurzarbeitergeld und auch die umstrittene Konsolidierung des Haushalts in Form von Sparpaket und Schuldenbremse.

Doch was ist PR-Kampagne und was die Wahrheit? Hat die Regierung tatsächlich entscheidend zum Aufschwung beigetragen oder waren es nicht eher die Unternehmen, die in der Krise an ihren Belegschaften festhielten, so dass sie nun schnell wieder durchstarten können? Oder die Gewerkschaften, die sich in den Tarifrunden zurückhielten? „Der Aufschwung ist nicht zuletzt ein Produkt der Weitsicht und Flexibilität deutscher Unternehmen“, sagt der Deutschlandchef von Goldman Sachs, Alexander Dibelius.

Eins ist klar: Der Versuch der Bundesregierung, den Aufschwung für sich zu reklamieren, wird heiße Diskussionen hervorrufen. Gegenwehr kommt schon jetzt von den Gewerkschaften und der SPD, die der Regierung vorwerfen, man habe sie mühsam zu den Konjunkturprogrammen überreden müssen. Prominente Ökonomen sehen das gelassener: Es sei eine Art deutscher Konsens, der besondere Zusammenhalt von Sozialpartnern und Politik, der den raschen Aufstieg aus der Krise ermöglicht habe. Deutschland habe sein exportorientiertes Erfolgsmodell klug durch die schwerste Rezession seit Jahrzehnten gerettet. „Die Union ebenso wie auch die SPD haben vieles richtig gemacht“, urteilt Gustav Horn vom gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie.

Die Grundlagen dafür habe aber zum Teil auch die rot-grüne Vorgängerregierung unter Gerhard Schröder geschaffen, sagt Dennis Snower, der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel. „Die Agenda 2010 der Schröder-Regierung zahlt sich im Jahr 2010 aus“, pflichtet ihm Jan-Egbert Sturm, Konjunkturforscher an der Technischen Hochschule Zürich, bei.

Drei Bundesregierungen teilen sich also den Verdienst am Aufschwung – und die gegenwärtige hat nach dem Urteil vieler Experten noch am wenigsten dazu beigetragen. „Ich verstehe, dass die Bundesregierung unzufrieden ist, dass sich die wirtschaftlichen Erfolge nicht in ihren Umfragewerten widerspiegeln“, sagt Michael Hüther vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft. Daran sei sie aber selber schuld: „Im Aufschwung fehlen jetzt leider klare wirtschaftspolitische Konzeptionen.“

Das sieht Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) anders. Aus seiner Sicht hat die aktuelle Koalition einen wichtigen Beitrag für den Aufschwung geleistet. „Schwarz-Gelb hat Investitionsbremsen wie die Zinsschranke gelockert und Vertrauenssignale an den Mittelstand ausgesendet.“ Steuererleichterungen, wie bereits zu Jahresbeginn, seien der richtige Weg, um das Konsumklima zu verbessern.

Dieses Ziel teilt IG-Metall-Chef Berthold Huber, doch den Weg dahin beurteilt er ganz anders: Mit Leiharbeit und einer Ausweitung des Niedriglohnsektors sägten die Arbeitgeber den Ast ab, auf dem sie säßen, kritisiert er. Die staatlichen Konjunkturprogramme hätten die Grundlage für den Aufschwung gelegt, sagt Huber. Dabei hätten „die Wirtschaftsliberalen in Berlin zum Jagen getragen werden müssen.“

Vor allem aber, da sind sich die Ökonomen einig, hätte es ohne die schnelle Belebung beim Export keinen Aufschwung gegeben. Sie hat den größten Anteil daran, dass Deutschland 2010 auf ein Wachstum von drei Prozent zusteuert. HB

D. Goffart, D. Heilmann

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