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Wirtschaft: Wo geht’s lang?

Sie haben die Qual der Wahl: Zwischen 350 Ausbildungen und Tausenden von Studienfächern können sich Jugendliche entscheiden. Was dabei hilft, den richtigen Weg zu entdecken

„Das größte Problem ist die Angst, sich zu entscheiden“, sagt die Berufs- und Studienberaterin Ina Orth, die für das bundesweit tätige Beratungsunternehmen Einstieg arbeitet. Zu Beginn der Gespräche sitzen ihr oft völlig überforderte Jugendliche gegenüber. Und das sei verständlich. Schließlich müssten sie eine der wichtigsten Entscheidungen ihres Lebens treffen und sich auf einen Berufsweg festlegen, der ihr Leben bedeutend prägen werde. Kein Wunder also, dass viele Jugendliche allein von der Tragweite der Entscheidung so eingeschüchtert sind, dass sie der Frage lieber ausweichen, statt sich ihr offensiv zu stellen.

Petra Kuberg von der Bundesagentur für Arbeit in Neukölln rät Jugendlichen, spätestens eineinhalb bis zwei Jahre vor dem Schulabschluss mit der Berufsorientierung zu beginnen. Dann bleibt genug Zeit, sich zu informieren sowie eventuelle Voraussetzungen wie Praktika und Bewerbungsfristen einzuplanen.

DER ERSTE SCHRITT

Doch wo fängt man an? Eine Antwort darauf liefert die aktuelle Studie „Abitur und was dann?“, die 60 Abiturienten fünf Jahre lang bei ihrem Einstieg in die Berufswelt begleitet hat. Verfasst wurde sie unter anderem von der Soziologie-Professorin Mechtild Oechsle von der Universität Bielefeld. Zum Abschluss der Studie nach Tipps für kommende Schülergenerationen befragt, rieten die 60 Teilnehmer vor allem zu einer realistischen Selbsteinschätzung. Wo liegen die eigenen Stärken, wo die Schwächen? Darüber sollten sich Jugendliche zu allererst klar werden.

Hilfreich bei dieser Selbstreflexion können Online-Tests zur Berufsfindung sein wie zum Beispiel das „Berufe-Universum“ der Arbeitsagentur. Auch die Einstieg-Beraterin Ina Orth begrüßt solche Tests als ersten Schritt in die Materie, weist aber zugleich daraufhin, dass viele Tests sehr standardisiert und wenig individuell gestaltet seien. Um Jugendlichen den Frust zu ersparen, Ergebnisse zu erzielen, mit denen sie sich nicht identifizieren könnten, sei eine differenziertere Auswertung gemeinsam mit Eltern, Lehrern oder Berufsberatern sinnvoll.

Auch der Austausch mit Freunden kann bei der Berufswahl weiterhelfen. So empfiehlt Ina Orth Jugendlichen, sich gegenseitig nach den Stärken zu fragen: Was schätzt du eigentlich an mir? Ist es die Fähigkeit, gut zuzuhören oder bin ich gut im Organisieren von Partys? Viele Jugendliche nähmen solche Talente als gegeben hin und wüssten gar nicht, dass sich daraus mitunter eine erste Berufsorientierung etwa im Sozial- oder Managementbereich ableiten lasse.

DIE ELTERN

Nicht zu unterschätzen bei der Berufswahl ist die Rolle der Eltern. Eine Studie des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) aus dem Jahr 2007 ergab, dass etwa 70 Prozent der knapp 3600 befragten Abiturienten ihren Eltern einen deutlichen Einfluss bei ihrer Studienwahl zuschrieben. Nur jeder fünfte Befragte stufte dagegen die Berater der Arbeitsagenturen als einflussreich ein.

Die Berliner Berufsberaterin Uta Glaubitz sieht daher auch die Milieuprägung durch die Eltern als eine der größten Herausforderungen bei der Berufswahl an. Arbeite etwa der Vater als Arzt und die Mutter als Krankenschwester, so sei die medizinische Welt für die Kinder so präsent, dass sie sich oft gar nicht trauten, andere berufliche Wege einzuschlagen. Selbst wenn die Eltern gar nicht explizit darauf bestünden. Wichtig sei es deshalb, dass die Eltern ihren Kindern einen starken Glauben an sich selbst vermittelten, den Nachwuchs bei der Berufswahl unterstützen – und nicht nach ihren eigenen Vorstellungen beeinflussen.

DER BERUF

Ist die Phase der Selbstreflexion abgeschlossen, folgt die Suche nach Berufen, die sich mit den Wünschen und Fähigkeiten decken. Dabei wissen Jugendliche oft gar nicht, wie viele Wege ihnen offen stehen. So zeigt eine Studie des Bundesinstituts für Berufsbildung (Bibb), dass im vergangenen Jahr drei von vier Azubis ihre Lehre in nur 44 von fast 350 angebotenen Berufen starteten. Die Männer entschieden sich vor allem für handwerkliche Berufe, insbesondere KFZ-Mechatroniker, die Frauen für kaufmännische Berufe, allen voran die Einzelhandelskauffrau. Weil sie sich nur auf wenige bekannte Berufe beschränkten, brächten sich viele Jugendliche um vielfältige Chancen in anderen Bereichen, bedauert der Präsident des Bibb, Manfred Kremer.

Dabei haben Schüler durch das Internet die besten Möglichkeiten, sich über Berufsbilder und Tausende von Studiengängen in Deutschland zu informieren, die in ihrem Alltag nicht vorkommen – aber unter Umständen viel besser als die bekannten Tätigkeiten zu ihnen passen. Das Berufenet der Arbeitsagentur etwa stellt 3100 Berufe detailliert vor. Und: Jedem Beruf werden dabei auch weniger bekannte und weniger umworbene Ausbildungsalternativen zugeordnet. Die Seite www.beroobi.de dagegen bringt Jugendlichen auf eher spielerische Art die unterschiedlichsten Ausbildungsberufe näher.

Im Netz verschafft man sich erste Einblicke. Mehr über den Wunschberuf erfährt man dann, wenn man, am besten noch in der Schulzeit, Praktika absolviert. Dazu rät der Berufsberater Jan Bohlken vom Profiling Institut in Düsseldorf. Selbst wenn das Praktikum nicht wie geplant verläuft, kann man danach immerhin einen Beruf von der Liste streichen.

Was man nicht tun sollte ist, seine Entscheidung allein von den künftigen Arbeitsmarktchancen abhängig zu machen. Bohlken betont: „Man muss vierzig oder fünfzig Jahre acht Stunden täglich in seinem Beruf verbringen. Da ist vor allem die eigene Begeisterung wichtig – und nicht die harten Fakten der Berufswelt.“

Florian Kuhlmey

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