zum Hauptinhalt
Explosives Wachstum. Der Untergang der Deepwater Horizon verursachte Milliardenschäden und forcierte zugleich das Wachstum.

© dpa

Wohlstand: Geld allein macht nicht glücklich

Immer höher, weiter, schneller – kann das gut gehen? Der Bundestag denkt über Alternativen zum Wachstum nach – ausgerechnet im stärksten Aufschwung seit Jahren.

Berlin - Als an einem Abend im April die Ölplattform Deepwater Horizon in die Luft flog, war das gut für die Wirtschaft. Zwar starben elf Menschen durch die Detonation, zwar ließen die Ölmassen im Golf von Mexiko Millionen Fische und Vögel verenden, zwar verödeten ganze Landstriche wegen der Folgen für Fischerei und Tourismus. Mit der Konjunktur ging es trotzdem bergauf – das viele Geld, das der Ölkonzern BP und die US-Regierung für den Kampf gegen die Ölpest zahlen mussten, floss in die Taschen von Reinigungsfirmen, Umweltfachleuten, Aufräumtrupps und PR-Beratern. Und immer zählten die Statistiker mit, Cent für Cent stieg das Bruttoinlandsprodukt Amerikas. Die toten Menschen und Tiere zählten die Beamten nicht mit – sie waren für sie keine relevante Größe.

Das BIP, das Bruttoinlandsprodukt, gilt als die wichtigste Messzahl für den Wohlstand einer Gesellschaft. Ob es um 0,9 Prozent steigt oder um 1,1 Prozent fällt, kann für einen Monteur, einen Banker oder einen Politiker ziemlich direkte Folgen haben. Allein: Das BIP hat eine ziemlich beschränkte Sicht auf die Welt – ob es steigt oder fällt, sagt noch nichts über die Lage der Umwelt, das Bildungsniveau der Bürger oder ihren Gesundheitszustand aus. „Wenn wir uns prügeln und Sie müssen ins Krankenhaus, dann steigt das BIP“, sagte Fritz Kuhn, Vize-Fraktionschef der Grünen, am Mittwoch im Bundestag zu einem Unions-Abgeordneten. „Besser geht es Ihnen hinterher aber nicht.“

Kuhn und seine Parlamentskollegen denken nun darüber nach, wie sich das BIP weiterentwickeln lässt. Der Bundestag setzte gestern die Enquetekommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ ein. Sie soll nicht nur herausfinden, wie sich das BIP erweitern lässt um soziale oder ökologische Werte, die ebenfalls wichtig sind für das Wohlergehen und den Erfolg einer Gesellschaft – die Verteilung des Reichtums oder die Zufriedenheit der Menschen. Es geht auch darum, herauszufinden, „ob und wie das Wachstum des BIP vom Wachstum des Verbrauchs an Ressourcen (...) dauerhaft entkoppelt werden kann“, schreiben Union, SPD, FDP und Grüne in ihrem gemeinsamen Antrag. Vierzig Jahre nach dem Bericht des Club of Rome zu den „Grenzen des Wachstums“ geht es also um Grundsätzliches – wie zukunftsfähig ist eine Ökonomie, die immer nur auf Zuwachs setzt? SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sieht die Welt in einer „Doppelkrise“ durch Klimawandel und Finanzkollaps. Es gebe „die berechtigte Sorge, dass unser Wirtschaftsmodell zu sehr auf Zukunft lebt und deshalb allein nicht tragfähig ist“, sagte er im Bundestag. Selbst Hermann Otto Solms von der marktverliebten FDP bezweifelte, dass „rein quantitativ und materiell ausgerichtetes Wachstum als Richtschnur für die Zukunft taugt“.

In Frankreich haben Experten schon 2009 unter Leitung von Nobelpreisträger Joseph Stiglitz einen Bericht zu diesen Fragen vorgelegt. In Deutschland beginnt die Debatte nun – ausgerechnet im stärksten Aufschwung seit Jahren. Wirtschaftsforscher warnen davor, die positiven Seiten einer zunehmenden Wirtschaftsleistung zu unterschätzen. „Die Welt verträgt es sehr wohl, wenn 1,2 Milliarden Chinesen auf unser Wohlstandsniveau kommen“, sagt der Münsteraner Ökonom Ulrich van Suntum. „Sie müssen nur die effizienteste Technik einsetzen und Anreize zum Energiesparen haben.“ Ohne das ständige Mehr gehe es schließlich nicht. „Wir können nicht den Milliarden Armen beibringen, dass sie ohne Wachstum leben sollen – denn ohne Wachstum gibt es weder Umweltschutz noch sozialen Fortschritt.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false