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Wolfgang Franz: "Die Not ist groß"

Wolfgang Franz, der Chef der Wirtschaftsweisen, über die Finanzprobleme der Koalition, die Notwendigkeit von Entlassungen und den Aufschwung 2010.

Herr Franz, angenommen, Sie wären Bundeskanzler. Wie würden Sie das Volk in der Neujahrsansprache auf das schwierige Jahr 2010 einstimmen?

Ich bin froh, dass ich den Job nicht machen muss. Aber falls doch, würde ich sagen, dass die Aussichten gut sind, aus dem tiefen Rezessionstal allmählich herauszukommen. Wir haben das Schlimmste hinter uns. Um 1,6 Prozent wird die Wirtschaft im kommenden Jahr vermutlich wachsen, möglicherweise auch mehr, einige Prognosen sind optimistischer. Trotzdem müssen die Bürger auch wissen, dass es schwere Belastungen geben wird.

Welche?

Beim Arbeitsmarkt gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht: Die gute ist, dass die Arbeitslosenzahl mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht auf fünf Millionen steigen wird. Die schlechte ist, dass wir rund 500000 Arbeitslose mehr bekommen werden als 2009. Obendrein wird die Regierung sagen müssen, wie sie die extreme Neuverschuldung zurückfahren will. Vor 2011 darf sie damit nicht beginnen, sonst wäre die fragile Erholung gefährdet.

Reicht es, Ausgaben zu streichen, oder müssen die Steuern steigen?

Bis 2016 muss der Finanzminister auf insgesamt 37 Milliarden Euro verzichten. Hinzu kommen die Kosten für das Wachstumsbeschleunigungsgesetz. Ohne einschneidende Kürzungen bei den Ausgaben wird das nicht gehen. Hier sollte der klare Schwerpunkt liegen. Vorschläge gibt es ja, die FDP müsste nur ihr eigenes, allerdings vor der Wahl verfasstes "Liberales Sparbuch" umsetzen, das würde rund zehn Milliarden Euro bringen - durch viele Punkte wie die Streichung von Staatssekretärsposten oder Polizeiorchestern. Der Sparbedarf für 2011 und 2012 wäre dann bereits fast gedeckt.

Hinzu kommen die versprochene Steuersenkung von 24 Milliarden Euro. Kann die Regierung so viel Geld aufbringen, nachdem sie sich schon beim Wachstumsbeschleunigungsgesetz zerstritten hat?

Wie die Koalition Steuersenkungen in diesem Umfang finanzieren will, bleibt ihr Geheimnis. Ich halte derartige Summen für beinahe utopisch. Der Sparerfolg muss unbedingt bis 2016 umgesetzt sein, dann beginnt die grundgesetzlich verankerte Schuldenbremse.

Welche Steuer würde am wenigsten Schaden stiften und zugleich den höchsten Nutzen, sprich Einnahmen?

Es gibt keine Steuererhöhung, die Nutzen stiftet. Es gibt nur das kleinere Übel. Das ist die Umsatzsteuer. Ein Anfang wäre es, alle Ermäßigungen vom 19-prozentigen Regelsatz zu überprüfen. Es gibt sie, von der künstlichen Tierbesamung bis zu bestimmten getrockneten Schweineohren, oft ohne vernünftige Begründung. Die neue Ermäßigung für Hotelübernachtungen ist natürlich ein falsches Signal, der einen solchen Schritt massiv erschwert. Zumal die Aktion eine Milliarde kostet, die beim Sparen an anderer Stelle hereingeholt werden muss.

Was ist schlimmer für die Konjunktur: Steuern zu erhöhen, die eher Reiche treffen, oder Sozialleistungen für Arme zu kürzen?

Wenn man die Progression verschärft, geht es nicht nur um Reiche. Um nennenswert Geld einzunehmen, müssten Erhöhungen auch Facharbeiter treffen. Das würde aber die Leistungsbereitschaft vieler und damit das Wachstum drücken. Auf der anderen Seite kann man nicht die unteren Einkommensschichten belasten. Die Umsatzsteuer ist ein Kompromiss. Auch wenn die Kanzlerin dies ausgeschlossen hat - die Not ist groß. Eine andere Möglichkeit wäre, Zuschläge für Wochenend- und Nachtarbeit zu besteuern. Mir hat sich noch nie erschlossen, warum der Staat unterschiedliche Arbeitszeiten unterschiedlich besteuert. Eine Entschädigung für unbeliebte Arbeitszeiten ist Sache der Tarifvertragsparteien.

Wie sicher ist ein Aufschwung 2011? Besteht die Gefahr, dass die Sparpolitik die Konjunktur abwürgt?

Wenn es nicht wieder aufwärts geht, haben wir ein Riesenproblem. Doch es sieht konjunkturell nach etwas besseren Zeiten aus. Im nächsten Jahr wirken noch die Konjunkturprogramme und die Regierung hat zudem angekündigt, mehr in Bildung zu investieren, damit das Wachstumspotenzial wächst.

Viele Fachleute erwarten, dass die Nachfrage nach deutschen Exportgütern in den kommenden Jahren deutlich unter dem Niveau von 2008 liegen wird. Muss Deutschland sein Geschäftsmodell ändern?

Dem Export haben wir Millionen von Arbeitsplätzen zu verdanken. Trotz der nun starken Einbrüche ist dieses Modell nicht am Ende. Gefährlich wäre es, durch überzogene Lohnerhöhungen unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit zu ruinieren mit der Begründung, die Binnenwirtschaft müsse an Bedeutung gewinnen. Verbraucher aus Zehlendorf oder Pankow kaufen nun mal nicht Spezialmaschinen aus Baden-Württemberg. Ich empfehle einen anderen Weg: Die Regierung muss alles daran setzen, Investitionen hierzulande attraktiver zu machen. Dann würden deutsche Firmen mehr im Inland statt im Ausland investieren. Das würde dazu führen, dass hier mehr Arbeitsplätze entstehen und mehr konsumiert wird. Ginge dies zu Lasten des Exports, wäre es nicht schlimm.

Was kann die Regierung tun, damit investiert wird?

Bei der an sich vernünftigen Unternehmenssteuerreform müssen noch Unzulänglichkeiten beseitig werden. Bildung und Innovationen tragen zum Wachstum bei, ebenso ein flexibler Arbeitsmarkt.

Warum ist die Arbeitslosigkeit nicht in dem Maße gestiegen, wie es die Ökonomen über Monate vorhergesagt haben?

Die Unternehmen wollten ihre Fachleute unbedingt halten, deshalb haben sie die tarifliche Arbeitszeit reduziert, im großen Stil kurzarbeiten lassen und Arbeitszeitguthaben abgebaut. Dass dies so gut funktioniert hat, war die Überraschung des Jahres 2009.

Kommt die Katastrophe verspätet 2010?

Die Kurzarbeit wird nicht mehr lange tragen. Immerhin sinken damit die Personalkosten nur auf ein Drittel. Wenn die Auftragslage so miserabel bleibt, werden einige Unternehmen eben doch entlassen müssen, weil sie mit dem Rücken zur Wand stehen.

Ursache des Übels ist die Krise der Banken. Haben Politik und Finanzwirtschaft aus den Fehlern gelernt, die dazu geführt haben?

Es ist etwas geschehen, aber wir haben die Krise längst nicht hinter uns. Immer noch gehen Banken in den USA Pleite, immer wieder gibt es Zahlungsprobleme wie in Dubai, und die Kreditinstitute haben noch einen hohen Wertberichtigungsbedarf. Eine Reform der Finanzaufsicht ist noch immer unerledigt. Zudem sollten die Institute mehr Eigenkapital vorhalten müssen, und vor allem darf der Staat den Banken nicht weiter eine Rundum-Sorglos-Versicherung gegen Pleiten geben.

Die Branche lehnt es ab, sich an den Kosten der Krise zu beteiligen. Zu Recht?

Nein. Es darf nicht sein, dass immer nur der Staat haftet. Der Sachverständigenrat hat vorgeschlagen, Europas Banken in einen Fonds einzahlen zu lassen, mit dem angeschlagene, systemrelevante Institute gerettet werden können. Bis zur nächsten Krise, die hoffentlich erst in vielen Jahren kommt, ist Zeit, einen solchen Fonds aufzubauen.

Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann bezweifelt, dass es ohne den Staat klappt.

Bei extremen Krisen wird der Staat immer einspringen müssen. Doch erst einmal müssen die Banken selbst Vorsorge treffen und haften. Das wirkt sicherlich auch disziplinierend.

Ackermann plant 2010 einen Gewinn von zehn Milliarden Euro. Zugleich haben viele Firmen Probleme, einen Kredit zu bekommen. Wie passt das zusammen?

Es ist völlig in Ordnung, wenn Banken bestrebt sind, gutes Geld zu verdienen. Immerhin hat die Deutsche Bank kein staatliches Geld in Anspruch genommen…

Sie hat aber von der Zusage der Politik profitiert, keine Bank mehr Pleite gehen zu lassen.

Sicher. Aber direkte Hilfe ist nicht geflossen. Ob zehn Milliarden Euro Gewinn angemessen sind, hängt davon ab, wie der Wettbewerb international aussieht. Gerade eine so international agierende Bank wie die Deutsche Bank darf da nicht die Hände in den Schoß legen. Und im Moment ist keine flächendeckende Kreditklemme zu beobachten - es ist nur teurer geworden, sich Geld zu leihen. Die Banken sind gezwungen, genauer hinzusehen, weil sie Kredite mit Eigenkapital unterlegen müssen - je mehr, desto größer das Risiko ist. Und das Risiko nimmt in der Krise nun einmal zu.

Muss der Staat die Banken zwingen, Geld auszureichen, wenn sich die Situation verschärft?

Wie soll er das machen? Den Banken fehlt es an Eigenkapital. Hier müsste man ansetzen. Außerdem gibt es die staatliche Förderbank KfW-Bankengruppe. In jedem Fall muss die Politik Gewehr bei Fuß stehen, eine echte Kreditklemme würde uns wieder deutlich zurückwerfen.

Wie selten zuvor ist diese Finanzkrise auch eine moralische Krise der Wirtschaft und ihrer Akteure. Beobachten Sie ein Umdenken?

Mein Eindruck ist, dass zumindest in Deutschland viele Banker vorsichtiger werden und etwa Boni-Systeme auf mittel- statt auf kurzfristige Erfolge abstellen. Die Deutschen scheinen da mehr gelernt zu haben als das Ausland - anderswo fließen ja wieder unglaubliche Boni, selbst bei Banken, die der Steuerzahler retten musste. Allerdings finde ich nicht, dass der Staat durch Verordnungen oder Sondersteuern Bonuszahlungen wieder einsammeln sollte, sie unterliegen ja ohnehin der Besteuerung.

Welche Chancen geben Sie einer internationalen Steuer auf Finanz-Transaktionen?

Sie hilft nicht, die Fehlsteuerung auf den Finanzmärkten zu verhindern. Außerdem steht und fällt sie damit, dass alle mitmachen. Die USA lehnen die Steuer wohl ab, damit ist sie eigentlich obsolet. Alle, die trotzdem mitmachten, müssten mit massiven Nachteilen rechnen.

Herr Franz, kaum ein Ökonom hat 2008 vorhergesehen, dass 2009 so desaströs verlaufen wird. Was für ein Gefühl haben Sie nun, wenn Sie die Wirtschaftsentwicklung 2010 prognostizieren?

Jede Prognose, auch die des Arztes oder der Wettervorhersage, beruht auf Erfahrungswerten. Aber diese Wirtschaftskrise ist ohne verwertbares Beispiel. Daher fahren wir auf Sicht und hoffen auf ruhigeres Gewässer.

Das Gespräch führte Carsten Brönstrup.

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