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Wirtschaft: Zeitgeist des Jammerns

Mit seiner Kapitalismus-Kritik hat es sich Müntefering zu einfach gemacht Von Heinz Dürr

Franz Müntefering hat eine Rede gehalten. Er wollte über Demokratie sprechen und soll die Wirtschaft verschreckt haben. Ich bin Unternehmer, gehöre also zur Wirtschaft, und ich bin nicht verschreckt, aber bestürzt. Ich frage mich, ob Müntefering eigentlich weiß, wovon er spricht, wenn er von der Wirtschaft in Deutschland redet? Und warum sagt er nicht, wie er und die SPD die Demokratie voranbringen wollen? Will er vielleicht tatsächlich nur verschrecken? Damit fordert er Aufrufe wie den seiner Stellvertreterin Ute Vogt heraus, Unternehmen zu boykottieren, die Arbeitsplätze abbauen. Aber wenn ein Unternehmen, das in einer Sanierung oder Restrukturierung steckt, dadurch ruiniert wird, kann das Müntefering wohl genauso wenig wollen wie das FDPPlakat, das ihn in einer Reihe mit Marx, Engels und Lenin zeigt.

Dann prangert er „bestimmte Finanzunternehmen, die auf Dauer unsere Demokratie gefährden“, als Feinde unseres Gemeinwesens an. Was aber habe ich mir unter „bestimmten Finanzunternehmen“ vorzustellen? Solche Organisationen, die das Kapital in den Händen halten? Die in einer Strategie der totalen Ökonomisierung kurzfristigen Profits alles kurz und klein schlagen? Müntefering sollte doch beim Namen nennen, wen er meint, und nicht alle in einen Topf werfen und daraus eine Suppe des finanzbestimmten Klassenkampfes rühren. Oder soll die Finanzwirtschaft generell an die Kandare genommen werden? Soll Eichel keine Bundesanleihen auflegen dürfen?

Ich werde ja auch nachdenklicher, wenn ich lese, dass von den gewaltigen Geldmengen, die täglich elektronisch um den Erdball gejagt werden, nur ein kleiner Teil zur Finanzierung der realen Produktion benötigt wird.

Es wäre hilfreich gewesen, wenn Müntefering sich zur Globalisierung und zu ihren Auswirkungen auf unser Land geäußert hätte. So zu tun, als wären bei uns die Dinge schon in Ordnung, wenn es nicht die „international forcierten Profitmaximierungen“ gäbe, ist unredlich. Eine Grundsatzkommission, die es ehrlich mit den Menschen meint, sollte sich hier schon etwas mehr Mühe geben.

Als Unternehmer muss ich in einer schwierigen Zeit zuallererst Gewinn erwirtschaften. Nur so überlebt ein Unternehmen, nur dann gibt es dauerhaft sichere Arbeitsplätze. Die meisten Unternehmer denken und handeln so. Sie kalkulieren nicht mit dem „Sozialwesen Mensch“, sondern wissen um den Satz des Dichters Rainer Kunze: „Was zählt ist der Mensch, aber nicht der Einzelne.“

Betrübt muss man feststellen, dass die Rede Münteferings sich einfügt in den Zeitgeist des Jammerns. Eigentlich sagt die Rede nur etwas aus über die Hilflosigkeit unserer führenden Politiker. Vom Vorsitzenden der ältesten deutschen Partei hätte ich mehr erwartet.

Der Autor (71) ist Aufsichtsratschef der Stuttgarter Dürr AG, einem Technologiekonzern, der Lackierereien und Automontagesysteme für die Großserienproduktion anbietet. Er war von 1991 bis 1998 Chef der Deutschen Bahn.

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