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Wirtschaft: Zicken mit Zukunft

Wie bei Siemens 25 junge Frauen gemeinsam zu Elektronikerinnen für Betriebstechnik ausgebildet werden

Berlin - So ist das, wenn fremde Kulturen aufeinander treffen. Frauen und Männer sind eben verschieden. „Das Mitteilungsbedürfnis der Damen ist hoch. Es ist ganz schön laut hier“, sagt Bernd Dams (55) mit einem unter seinem grauen Bart kaum sichtbaren Anflug eines Lächelns. Er ist eben ein Mann, eher wortkarg. Die Mädchen reden anders über ihre Lehrwerkstatt bei Siemens in Berlin-Spandau. „Zickenalarm! Das kann echt anstrengend sein“, sagt Melany Gottschalk (20). „Mädchen quatschen gern. Aber gut, Diskussionen gibt es auch unter Jungs.“

Das mag sein, aber eben nicht in Melany Gottschalks Klasse, denn da gibt es keine Jungs. Siemens hat vor acht Monaten erstmals eine Ausbildungsklasse nur für Mädchen gestartet. Nach dreieinhalb Jahren sollen 25 Elektronikerinnen für Betriebstechnik aus ihnen geworden sein. Der Abschluss besteht in einer Prüfung bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) und – bei Interesse – in der Fachhochschulreife. Und danach kann die Ausbildung bei Siemens an der unternehmenseigenen Technikakademie oder an einer Fachhochschule weitergehen.

Die 25 jungen Frauen sind eine Avantgarde. Rund 1000 Auszubildende beschäftigt Siemens in Berlin, dem weltweit größten Produktionsstandort des Konzerns, pro Jahr werden 300 eingestellt. Es gibt die Technikakademie und eine eigene Berufsschule, die in diesem Jahr 100 Jahre alt wird. Aber trotz alledem bleiben technische Berufe eine Männerdomäne. Nur sechs bis sieben Prozent der Lehrlinge sind junge Frauen.

„Die, die wir bekommen, haben fünf Brüder zu Hause und laufen als sechster Bruder mit“, beschreibt Norbert Giesen (55), der sich „Leiter Bewerbermarketing“ nennt, das Problem. Ausnahmen gibt es: Anne-Kathrin Musiol (18) ist der seltene Fall einer jungen Frau, die sich brennend für Technik interessiert. „Ich habe mich auch als Sekretärin beworben, aber das war wirklich letzte Wahl.“ Eine Ausbildung zum Zweiradmechaniker erwog sie, dann las sie im Internet von den Siemens-Girls. Und am Ende war vor allem wichtig, nach der Realschule überhaupt eine gute Perspektive zu haben.

Bei Melany Gottschalk spielte der Zufall eine große Rolle. Nach angehender Elektronikerin sieht sie nicht aus – exakt geschminkt, kunstvolle Fingernägel, viele Ringe. Eine Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau hat sie abgebrochen. „Das war’s einfach nicht.“ Dann schickte das Arbeitsamt sie zu Siemens, und sie ließ sich begeistern. „Ich hatte von Technik überhaupt keine Ahnung. Aber das gefällt mir total. Nur die Schule ist manchmal ein bisschen viel“, sagt sie. „Vorher hat die Technik einfach funktioniert. Jetzt will ich wissen, wie.“

Denn Ausbilder Dams schont seine Mädchen nicht. So sollen sie demnächst eine Steuerung für ein Rolltor samt Innen- und Außenbeleuchtung fristgerecht abliefern. Das Tor muss man sich vorstellen, auf den Werkzeugbänken stehen nur die halbfertigen Schaltanlagen. Vorher muss ein Stromlaufplan gezeichnet werden, am Modell müssen die Kabel exakt sitzen, sonst setzt es Kritik. „Am Anfang stellt jedes Projekt eine Überforderung dar, und das muss so sein“, sagt Dams. Und es bleibt ja nicht so. „Im dritten Jahr sind die bestimmt besser als die Ausbilder. Die finden Lösungen, auf die wir alten Männer nicht kommen. Die gehen ganz anders mit der Technik um.“, sagt Giesen.

Die Ausbildung der Mädchen ist ein vom Senat gefördertes Programm namens Lernortkooperation, und deswegen gibt es keinen Azubi-Lohn, sondern monatlich rund 100 Euro und eventuell Schüler-Bafög. Auch wenn die Teilnehmerinnen keinen Azubi-Vertrag haben, dürften ihre Chancen dank der Sonderrolle sehr gut sein, in dem Weltkonzern Siemens voran zu kommen. „Wir zeigen eine interne Karriereleiter auf“, sagt Giesen.

Dabei will Siemens nicht oder zumindest nicht nur Gutes tun. Denn die demographische Entwicklung wird dazu führen, dass sich Unternehmen schon bald um Auszubildende bemühen müssen. Dass wie beim letzten Termin 5500 Bewerbungen für die rund 300 Lehrstellen in Berlin eingehen, wird es in ein paar Jahren nicht mehr geben. Deswegen schaut sich Siemens gezielt unter Mädchen nach Nachwuchs um, und deswegen will man auch bei der nächsten Mädchenklasse, die am 1. September starten soll, ungewöhnliche Wege gehen. „Vielleicht machen wir das diesmal mit einem Migrantenschwerpunkt. Aber wir wollen das behutsam machen, das muss ja auch mit der Sprache klappen“, sagt Giesen.

Und weil Mädchen sich – wenn überhaupt – häufig spät für technische Berufe entscheiden, sollen am heutigen Donnerstag, dem Girls’ Day, einige Sechsklässlerinnen die Lehrwerkstatt kennen lernen. „Ich finde das super. Wir werden mit den Mädels löten“, freut sich Melany.

Interessentinnen für die nächste Lernortkooperation bei Siemens können sich per Telefon unter (030) 386-26751 oder per Mail bei norbert.giesen@siemens.com melden. Siemens plant für den 3. Mai um 15 Uhr eine Informationsveranstaltung.

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